Lieferkettengesetz: Bundesregierung muss Farbe bekennen!

Die geplante Abstimmung über das EU-Lieferkettengesetz wurde vertagt. Doch es soll weiter verhandelt werden. Das ist auch bitter nötig, sagt unser Gastautor, Menschenrechtsexperte Berndt Hinzmann.

Baumwollfabrik
BaumwollfabrikImago / Joerg Boeth

Ein Lieferkettengesetz in der Europäischen Union (EU) und nicht nur in Deutschland sollte letzte Woche beschlossen werden. Der Koalitionspartner FDP in der Bundesregierung, der Justiz- und Finanzminister blockieren die Zustimmung der Bundesregierung. Beide Ministerien haben in diesen Verhandlungen nur beratende Funktion und ­repräsentieren eine Minderheit.

Die Bundesregierung, die neben dem Lieferkettengesetz in Deutschland auch maßgeblich die gesetzliche Ausgestaltung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht auf EU-Ebene vorangebracht hat, muss sich aufgrund der Blockade des Koali­tionspartners derzeit enthalten und das nach abgeschlossenen Verhandlungen im EU-Parlament, dem Rat und der Kommission. Die ­Entscheidung wurde auf ein Treffen des EU-Ministerrats (COREPER) vertagt.

Politik der FDP schadet mehrfach

Dieser Politikstil des Koalitionspartners ist nicht neu. Das Agieren der FDP schadet jedoch nicht nur den Menschenrechten und dem ­Klimaschutz, sondern auch der deutschen Wirtschaft und Deutschlands Ansehen als verlässlicher Partner in der EU.

Erschütternd ist, dass somit ­internationale Entwicklungen und auch Positionen von zahlreichen Unternehmen ignoriert werden, die sich eindeutig für die gesetzliche Regelung von menschenrecht­lichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten von Unternehmen aussprechen. Und nicht nur das: Auch umfangreiche Untersuchungen von renommierten Universitäten, wie die London School of ­Economics, stellen fest, dass Nachhaltigkeit und Menschenrechte in globalen Lieferketten eher einen Wettbewerbsvorteil darstellen und betriebswirtschaftliche Vorteile mit sich bringen.

Kompromiss für ein EU-Sorgfaltspflichtengesetz sichern

Die Bundesregierung und Kanzler Olaf Scholz sollten diesen Fakten und Erkenntnissen folgen und in Sachen Menschenrechte Farbe ­bekennen und nicht dem Taktieren einer Minderheitspartei folgen. Die Richtlinienkompetenz hat er. An den zuständigen Ministerien vorbei haben Finanz- und Justizministerium mit falschen Fakten – etwa kleinere Unternehmen würden in den Ruin getrieben – andere Europä­ische ­Regierungen kontaktiert, um das Europäische Lieferkettengesetz zu verhindern und letztlich auch das Deutsche Lieferketten­gesetz ­abzuschaffen.

Primark-Einkaufstüte
Primark-EinkaufstüteImago / Michael Gstettenbauer

Eine solche Politik ist angesichts der Krisen keinesfalls zukunfts­fähig. Diese Einschätzung teilen auch sehr verschiedene Unternehmen. So fordern 21 Unternehmen und Netzwerke, darunter Aldi Süd, Bayer, Mars, KiK, Tchibo, Vaude, Frosta und die Global Network Initiative, den Bundeskanzler dringend auf, den im Dezember 2023 ­erzielten Kompromiss für ein EU-Sorgfaltspflichtengesetz zu sichern. Diese Sichtweise hören wir auch als Nichtregierungsorganisation (NRO) im Textilbündnis.

Lebensbedingungen können mit Lieferkettengesetz verändert werden

Denn noch ist es Realität: Deutschland hat „im Jahr 2018 in den Bereichen Elektronik und Bekleidung Waren im Wert von 28,4 Milliarden US-Dollar bezogen, die möglicherweise unter Arbeitsbedingungen produziert wurden, die unter den Begriff der „modernen Sklaverei“ fallen, so das Handelsblatt Research Institute. An dieser Tatsache haben die unterschiedlichen Initiativen, wie beispielsweise das Textilbündnis, nichts geändert. Und gerade deshalb braucht es ein Europäisches Lieferkettengesetz.

Die Textilindustrie ist für viele asiatische Länder ein zentraler Wirtschaftszweig und erzielt je nach Land bis zu 80 Prozent aller Exporteinkünfte. Allerdings: Die Löhne, die den Arbeiterinnen und Arbeiter in der Lieferkette gezahlt werden, sind weit entfernt von existenzsichernden Löhnen. Diese sind nicht ausreichend für einen angemessenen Lebensstandard. Geringe Löhne und fehlender Zugang zu menschenwürdiger Arbeit haben unmittelbar negative Auswirkung auf die Familien und die Gesellschaft und schaffen wirtschaftliche Zwänge für Kinderarbeit. Es kommt zu Arbeitsrechtsverletzungen und Repressionen ­gegenüber Menschen, die für ihre Rechte kämpfen. Nicht nachhaltige und unfaire Einkaufspraktiken ­europäischer Unternehmen tragen dazu bei, dass ein Anstieg der Löhne kaum möglich ist und es zu Menschenrechtsverletzungen kommt.

Demonstration am 6.12.2022
Demonstration am 6.12.2022Imago / Ipon

Ein europaweiter gesetzlicher Rahmen, das Lieferkettengesetz, ist ein gutes Beispiel dafür, wie man global gleichermaßen für Demokratie und nachhaltige Wirtschaft eintreten kann. Das wären echte Entwicklungschancen. Ein Mindestlohn von 8000 Taka (circa 68 Euro) wie in Bangladesch wären dann nicht möglich. Ein nachhaltiges Wirtschaftsmodell würde würdige Arbeit und nachhaltige Entwicklung stärken. Durch die Krisen der ­vergangenen Jahre gerieten viele Arbeiterinnen und Arbeiter sowie ihre Familien in existenzielle Not. Die Gewerkschaften fordern deshalb in Bangladesch eine Lohnerhöhung auf 23000 Taka (195 Euro) pro Monat.

Berndt Hinzmann ist beim entwicklungspolitischen Netzwerk Inkota Referent für Wirtschaft und Menschenrechte

Anmerkung vom Autor: Noch hat Bundeskanzler Scholz Zeit, die deutsche Enthaltung zum EU-Lieferkettengesetz zu überdenken! Um ihn daran zu erinnern, haben wir mit unserer Mitgliedsorganisation Ekō eine Eil-Petition gestartet – denn Deutschlands Zustimmung kann das EU-Lieferkettengesetz retten!