Mojib Latif, ist das Hochwasser eine Folge des Klimawandels?

Extreme Wetterereignisse wie Starkregen nehmen zu, sagt Klimaforscher Mojib Latif. Im Interview kritisiert er die Politik und verrät, warum das menschliche Gehirn Klimaschutz verhindert.

Klimaforscher Mojib Latif ist Seniorprofessor der Kieler Christian-Albrechts-Universität
Klimaforscher Mojib Latif ist Seniorprofessor der Kieler Christian-Albrechts-UniversitätImago / Rüdiger Wölk

Sind die Hochwasser in Niedersachsen und anderswo eine Folge des Klimawandels?
Mojib Latif: Das lässt sich bei einzelnen Ereignissen nie genau sagen. Da geht es um Wahrscheinlichkeiten. Tatsache ist aber, dass wir häufiger heftige Regenfälle sehen. Und das liegt an der Aufheizung der Meere und daran, dass wärmere Luft mehr Feuchtigkeit aufnehmen kann.

Werden die Menschen den Klimawandeln ernster nehmen, wenn sie die Folgen direkt vor ihrer Haustür zu spüren bekommen?
Nein, das glaube ich nicht. Das hat auch die Flut im Ahrtal gezeigt, die keine große Änderung bewirkt hat. Viele Menschen denken, dass es sich um ein singuläres Ereignis gehandelt hat. Solche Ereignisse werden sich aber häufen. Aus der Neurowissenschaft wissen wir: Das menschliche Gehirn ist so gestrickt, dass uns die Zukunft fast egal ist. Man kann die Zukunft leider nicht spüren. Wenn man schlimme Prognosen für einen Zeitraum von 30 Jahren hört, ist man im Moment natürlich betroffen, aber ändert sein Verhalten nicht.

Man kann die Leute nur über Anreize für den Klimaschutz gewinnen. Deshalb wäre auch das Klimageld eine gute Sache. Es steht im Koalitionsvertrag, ist bisher aber nicht gekommen. Auch pünktliche Bahnverbindungen mit sauberen Zügen und gutem Wlan wären ein solcher Anreiz, auf das eigene Auto zu verzichten. Da ist aber die Politik gefordert.

Auch für Staaten müssen Anreize geschaffen werden. Einem Öl-Land wie Saudi-Arabien kann man nicht einfach sagen: Ab morgen bitte kein Öl mehr fördern! Es braucht eine Perspektive. Das könnte zum Beispiel das Produzieren von grünem Wasserstoff sein. Aber leider tut sich in dieser Richtung viel zu wenig.

In Niedersachsen, wie hier in Rotenburg an der Wümme, stehen ganze Landstriche unter Wasser
In Niedersachsen, wie hier in Rotenburg an der Wümme, stehen ganze Landstriche unter WasserImago / Silke Heyer

Und warum macht die Politik nicht genug in Sachen Klimaschutz?
Jede Partei kocht ihr eigenes Süppchen, alle denken nur kurzfristig. Auch an sich gute Vorschläge werden in einem Parteien-Hickhack zerredet. Und weil die Ampel sich nur streitet, werden die Menschen immer verunsicherter. Davon profitieren extreme Parteien wie die AfD, die sogar den Klimawandel leugnet. Nicht mal eine Maßnahme wie ein Tempolimit bekommen wir hin, auch wenn das für sich genommen gar nicht mal so viel bringen würde.

Das Klimaproblem ist ein globales. Wir benötigen mehr internationale Zusammenarbeit. Die gibt es jedoch immer weniger. Das alles führt dazu, dass wir uns vom 1,5-Grad-Ziel verabschieden können. Wir müssen schauen, dass wir noch unter der Zwei-Grad-Marke bleiben, im Moment ist die Welt auf einem Kurs, der uns näher an die drei Grad bringt.

Wann erreichen wir den befürchteten „Kipp-Punkt“, an dem es kein Zurück mehr gibt?
Das ist eine sehr vage Frage. Viele reden darüber ohne zu wissen, was sie damit eigentlich meinen. Was ich sagen kann, ist, dass die Erde keinen „Runaway“ Treibhauseffekt erleiden wird, bei der die Erwärmung nicht mehr zu stoppen ist. Tatsache ist aber, dass wir bei weitem noch nicht genug machen.

Ich vergleiche das gern mit einem Autofahrer bei Nebel auf der Autobahn. Wenn man nicht genau weiß, was kommt, hält man ja auch nicht voll drauf, sondern sagt: Ich gehe runter vom Gas. Und genau so ist es auch beim Klima. Leider bleiben wir aber voll auf dem Gaspedal. Auch nach dem Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 sind die weltweiten CO2-Emissionen weiter gestiegen.

Frustriert es Sie als Wissenschaftler, dass trotz Ihrer jahrzehntelangen Warnungen bislang so wenig passiert ist?
Ja, das ist sehr frustrierend. Aber ich habe da eine Art Patientenverhältnis aufgebaut. Ich habe eine Diagnose gestellt und habe die Fakten genannt. Was der Patient daraus macht, ist nicht mehr meine alleinige Sache. Ich lasse das nicht nah an mich heran. Zum ersten Mal bin ich 1990 in einer Talkshow zu Gast gewesen und habe auf genau die Dinge hingewiesen, die jetzt eingetreten sind.

Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich in Sachen Klimaschutz?
Deutschland zählt zu den Guten, auch wenn wir eine historische Verantwortung haben, weil wir schon sehr lange Treibhausgase ausstoßen. Immerhin haben wir gegenüber 1990 unsere Emissionen um über 40 Prozent gesenkt, während sie global um ungefähr 60 Prozent gestiegen ist.

Dass wir im vergangenen Jahr mehr als 50 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien gewonnen haben, ist sicherlich sehr gut. Aber Strom ist nur ein Teil des Energiebedarfs. Heizung und Verkehr, wo sich seit 1990 nicht viel getan hat, kommen noch dazu. Wenn man das einrechnet, decken wir unseren Energiebedarf nur zu 20 Prozent aus erneuerbaren Energien ab.