Diakonie im Ahrtal: Viele Menschen sind weiter auf Hilfe angewiesen

Gut zwei Jahre nach der Flutkatastrophe ist die Vorständin der Diakonie RWL gemeinsam mit dem Direktor der Diakonie Katastrophenhilfe, ins Ahrtal gereist. Es gibt immer noch viel zu tun.

Die Flut vor zwei Jahren hat nicht nur viele Häuser zerstört. Auch zahlreiche Brücken im Ahrtal stehen nicht mehr oder nur zum Teil
Die Flut vor zwei Jahren hat nicht nur viele Häuser zerstört. Auch zahlreiche Brücken im Ahrtal stehen nicht mehr oder nur zum Teilhomas Lohnes/Diakonie Katastrophenhilfe

Familien, die auf dem Dachboden kauernd die steigenden Wassermassen beobachten. Autos, Verkehrsschilder und Häuser, die wie Spielzeug von der Flut mitgerissen werden. Menschen, die sich in ihrer Verzweiflung an Bäumen festklammern. In den Köpfen der Menschen, die die Flut am 14. und 15. Juli 2021 erlebt haben, sind die Erinnerungen an die Katastrophe noch immer lebendig.

Ihre Gegenwart ist darüber hinaus häufig geprägt von finanziellen Sorgen, Erschöpfung und der großen Unsicherheit, ob und wie es weitergeht mit dem Wiederaufbau. „Allmählich kommt man zur Ruhe, der Aktionismus weicht einer gewissen Leere“, erzählt etwa Christian Kniel. Er lebt im Ahrtal und ist so gut wie fertig mit dem Wiederaufbau seines Hauses. Viele Nachbarn hingegen seien weggezogen. „Aber ich bin hier geboren und für mich war jederzeit klar: Ich will hier nicht weg.“ Der Webdesigner und Vater zweier Kinder war einer der ersten Betroffenen, die die Diakonie Katastrophenhilfe und Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe (Diakonie RWL) mit Spenden aus der Förderlinie Wiederaufbauhilfe unterstützen konnte. „Diese Unterstützung hat mir Mut gemacht, durchzuhalten. Dafür bin ich dankbar.“

Umfassende Unterstützung für Betroffene

„Solche Erfolge zeigen, dass die Spenden dort ankommen, wo sie benötigt werden“, sagt Kirsten Schwenke, Vorständin der Diakonie RWL. Dennoch habe sie nicht erst während der Reise erkennen müssen, dass der Wiederaufbau in vielen Orten noch stockt. „In einigen Regionen habe ich den Eindruck, dass sich in zwei Jahren kaum etwas getan hat.“ Deshalb sei es weiterhin wichtig, dass die Mitarbeitenden der mobilen Fluthilfeteams der Diakonie die Betroffenen persönlich ansprechen und ihnen umfassende Unterstützung anbieten. „Was die Teams hier vor Ort leisten, ist beeindruckend und emotional extrem fordernd“, sagt Martin Keßler, Direktor der Diakonie Katastrophenhilfe.

Noch Baustelle: Der Wiederaufbau im Zentrum von Bad Münstereifel ist auch im Sommer 2023 noch längst nicht abgeschlossen
Noch Baustelle: Der Wiederaufbau im Zentrum von Bad Münstereifel ist auch im Sommer 2023 noch längst nicht abgeschlossenDiakonie RWL / Verena Bretz

Zu den Menschen, die noch nicht in ihr Zuhause zurückkehren können, gehört Marc Bartholomies. Das Haus seiner Familie in Erftstadt-Blessem ist auch zwei Jahre nach der Flut noch unbewohnbar – kein Fußboden, keine Decke, kein Putz an den Wänden. Das Wasser hat den kompletten Keller, der als Wohnbereich ausgestattet war, geflutet. „Weil wir das Haus nach der Flut acht Tage lang nicht betreten durften, bildete sich Schimmel, der sich dann auch im Erdgeschoss verbreitet hat“, berichtet Bartholomies.

Die Wohnung im rund 20 Kilometer entfernten Hürth, die als Übergangslösung gedacht war, ist seitdem das Zuhause der Familie. „Ich bin ausgebrannt und platt“, so der Familienvater weiter, der im Wasser Erinnerungen wie seine Modelleisenbahn und sämtliche Fotos seiner Kindheit und Jugend verloren hat. „Das alles ist für immer weg. Und was mich zusätzlich belastet: Zwei Jahre nach der Flut stehen wir immer noch ganz am Anfang, das hätte ich nie gedacht.“

Gesprächstreff des Fluthilfeteams

Probleme mit der Gebäudeversicherung verzögern den Wiederaufbau seines Hauses. Bevor das nicht geklärt sei, könne er auch den Antrag beim Land nicht stellen, so Bartholomies. „Wenigstens konnte ich nun bei der Diakonie Haushaltsbeihilfe beantragen, um Teile des Hausrats neu zu kaufen“, sagt er. Mindestens genauso wichtig wie die finanzielle Unterstützung sei für ihn aber der seelische Halt, den ihm Fluthilfeberaterin Andrea Schnackertz vom mobilen Team in Erftstadt gebe. Batholomies: „Die einzige Konstante in meinem Leben ist momentan der Gesprächstreff des Fluthilfeteams. Den Termin verpasse ich eigentlich nie.“

Fluthelferin Angelika Obinwanne und Fluthilfekoordinator Markus Koth im Ahrtal
Fluthelferin Angelika Obinwanne und Fluthilfekoordinator Markus Koth im AhrtalDiakonie RWL / Verena Bretz

Auch Ana Paula Saraiva Goncalves Da Silva aus Bad Neuenahr im Ahrtal betont den Wert der psychosozialen Begleitung durch die mobilen Fluthilfeteams. „Es gibt so viele Dinge, die man bedenken muss. Für mich ist das fast alles gar nicht zu bewältigen, das ist es wichtig, dass da eine Person ist, die einen immer wieder motiviert, zuhört und beruhigt.“ Ihre Familie wird von Angelika Obinwanne begleitet. „Eine Nachbarin hat mir den Tipp gegeben“, sagt Da Silva.

„Frau Obinwanne unterstützt uns auch bei den Anträgen, denn auf Deutsch zu schreiben fällt mir nicht leicht. Mit ihr zusammen ging aber alles ganz schnell.“ Von der Diakonie Katastrophenhilfe RWL hat die Familie bereits Spenden aus sämtlichen Förderlinien bekommen. Nun wartet sie auf Handwerker. „Einige waren schon hier, haben versprochen, Angebote zu schreiben – aber seitdem sind schon wieder drei Monate vergangen.“

Seelische Wunden noch lange nicht geheilt

Florian Seiffert, zweifacher Familienvater aus Kreuzberg im Ahrtal, hat das Erdgeschoss und den Keller seines Hauses nach der Flut selbst entkernt, unterstützt von ehrenamtlichen Helfern. Probleme mit Gutachtern verzögerten einen schnellen Wiederaufbau. Nun ist aber alles so gut wie fertig, nur die Fassade muss noch gemacht werden. Sogar eine Wärmepumpe konnte eingebaut werden. „Mit Öl dürfen wir in dieser Zone nicht mehr heizen“, erklärt er. Was ihn und seine Frau besonders belastet: „Wir sind hier alle ein bisschen in Vergessenheit geraten. Die meisten denken, dass alles wieder in Ordnung sei. Dabei gleicht der Wiederaufbau eher einem Flickenteppich. Wir hangeln uns hier so durch und versuchen, ein Problem nach dem anderen aus dem Weg zu schaffen.“

Umso wichtiger sei es, dass Organisationen wie die Diakonie Katastrophenhilfe die Menschen immer wieder darauf aufmerksam machten, dass es Unterstützung gebe – sowohl finanziell als auch psychosozial. „Dafür sind wir alle dankbar“, so der 50-Jährige.

„Es ist schön zu sehen, wie weit die Unterstützung unserer mobilen Fluthilfeteams und der Einsatz von Spenden viele betroffene Menschen in den Flutregionen schon voranbringen konnte“, sagt Diakonie RWL-Vorständin Kirsten Schwenke. „Während der Reise wurde aber leider auch ganz deutlich, dass viele seelische Wunden längst nicht verheilt und die Schäden an Häusern und Wohnungen teilweise noch enorm sind. Auch wenn die Flut zwei Jahre nach der Katastrophe nicht mehr im Fokus der Öffentlichkeit steht, dürfen wir die Menschen nicht vergessen. Unsere Hilfe wird noch lange benötigt, sowohl finanziell als auch psychosozial. Deshalb bleibt die Diakonie Katastrophenhilfe RWL vor Ort, solange sie gebraucht wird.“

Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL).