Imam beklagt „Diskriminierung“ von Muslimen

Muslime auf der ganzen Welt begehen jährlich den Fastenmonat Ramadan. Er endet am 9. April mit dem Zuckerfest. Doch wie akzeptiert ist islamisches Leben in Deutschland? Ein Gastbeitrag.

Kadir Sanci ist Imam in Berlin und Gründungs- und Präsidiumsmitglied des House of One, ein interreligiöses Dialog- und Bauprojekt in Berlin.
Kadir Sanci ist Imam in Berlin und Gründungs- und Präsidiumsmitglied des House of One, ein interreligiöses Dialog- und Bauprojekt in Berlin.Klemens Renner

In den letzten Jahren hat sich die Welt stark verändert. Kriege und politischer Machtmissbrauch haben Fluchtbewegungen in demokratische Länder ausgelöst. Dadurch ist die Welt kleiner geworden, und verschiedene Religionen, Kulturen und Nationen leben oft an einem Ort. Auch wenn diese Veränderung als eine Bereicherung für die Gesellschaft zu verstehen ist, nutzen marginale Politiker diese Situation aus. Sie säen in unsere pluralistische Gesellschaft Keime des Nationalismus und versuchen sie zu spalten.

Obwohl ich fest davon überzeugt war, dass das Leben auf der Welt immer gerechter, friedlicher und somit auch lebenswerter wird, sind wir heute von mehr Hass, Gewalt, Terror und Krieg umgeben. Die ­Terrorereignisse vom 7. Oktober ­sowie der darauffolgende erbarmungslose Krieg in Gaza markierten einen Wendepunkt.

Die größten Leidtragenden sind zweifellos unschuldige Zivilisten auf beiden Seiten. Dieses Leid beschränkt sich nicht nur auf den Nahen Osten, sondern wird auch durch soziale Medien in unsere Gesellschaft getragen. Nationalisten nutzen diese Kon­flikte, schüren Angst und Hass und ­verstärken dadurch den Antisemitismus und die Islamfeindlichkeit in unserem Land.

An friedliches Miteinander glauben

Glücklicherweise habe ich eine aufgeklärte Gemeinde, die sich stets klar von Terror und Gewalt distanziert und immer auf Dialog und ­Bildung gesetzt hat. Dieser Weg ist keineswegs selbstverständlich. Frühzeitig haben wir uns für den Frieden entschieden und diesen konsequent verteidigt. Gemeinsam mit Juden und Christen haben wir als Muslime das House of One ­gegründet. Somit entstehen in Berlin unter einem Dach eine Synagoge, eine Kirche, eine Moschee und ein vierter Raum für alle – ein Haus, in dem der Frieden gelebt wird.

Kuchen zum Fastenbrechen
Kuchen zum FastenbrechenImago / ITAR-TASS

Dank dieser Erfahrungen konnte auch der 7. Oktober unseren Glauben an ein friedliches Miteinander nicht erschüttern. Dennoch bereitet die zunehmende Diskriminierung auch den Muslimen meiner Gemeinde ernsthafte Sorgen. Viele von ihnen sind bewusst nach Europa geflüchtet, weil sie sich für ­Menschenrechte und Demokratie entschieden haben. Heute befürchten sie, dass Europa seine hart erkämpften Werte verliert. Wohin sollen sie dann gehen, um ihren Kindern ein würdiges Leben unter demokratischen Bedingungen zu ermöglichen?

Aufgeben ist keine Option

Trotz allem ist Aufgeben keine Option für mich. Die aktuellen weltpolitischen und gesellschaftlichen Veränderungen sind Gründe, um uns verstärkt für den Frieden einzusetzen. Ich bewahre meine Hoffnung und werde sie niemals aufgeben. Der ehrenwerte Prophet Muhammed sagte: „Eine Krankheit, die bereits vor euch die Gemeinschaften befallen hat, ist der Neid und der Hass. Und Hass ist das Rasiermesser, welches die Religion abschneidet und nicht die Haare. Ich schwöre bei Dem, in Dessen Hand die Seele Muhammeds ruht. Ihr glaubt nicht (wahrhaftig), solange ihr einander nicht liebt. Soll ich euch etwas mitteilen? Wenn ihr es tut, werdet ihr Liebe füreinander empfinden: Verbreitet den Frieden unter euch!“ Möge Gottes Segen und Frieden auf ihm sein!

Wir nähern uns dem Ende des Fastenmonats Ramadan. In diesem Monat üben Muslime Enthaltsamkeit, was ihnen Raum zum Nachdenken gibt. Die Unterbrechung des ständigen Essens und Trinkens fördert ihr Bewusstsein für ihre Entscheidungen und motiviert sie, sich verstärkt für den Frieden einzusetzen. Ramadan ist die Zeit, in der Muslime Kranke besuchen, Armen helfen, über religiöse Grenzen hinweg Freundschaften stärken und den Hoffnungslosen Hoffnung spenden. Im Kern ist Ramadan die Zeit, um den Frieden einzuüben.

Was Muslime sich wünschen

Muslime benötigen dabei die ­Unterstützung aller friedliebenden Bürger dieses Landes. Nur gemeinsam können wir etwas bewirken. Muslime brauchen keine Sonderrechte. Sie benötigen mehr Demokratie, mehr Menschenrechte, mehr Frieden! Sie wünschen sich ­eine Gesellschaft, in der universelle Werte tatsächlich universell gelten – gleiche Rechte für alle Menschen, unabhängig von Religion, ethnischer Zugehörigkeit und Aufenthaltsort.

Unser Autor
Kadir Sanci ist 1978 in München geboren und arbeitet in Berlin als Imam, Religionswissenschaftler und Pädagoge.