Friedensinitiativen sind in die Kritik geraten

Friedensinitiativen sind in die Kritik geraten. Aber ist es wirklich naiv, sich für gewaltfreie Konfliktlösungen einzusetzen? Zum Weltfriedenstreffen ein Interview mit Antje Heider-Rottwilm.

Friedrich Kramer EKD-Friedensbeauftragter
Friedrich Kramer EKD-FriedensbeauftragterIMAGO/ epd

Unter dem Eindruck des Ukrainekrieges findet vom 10. bis 12. September das internationale Treffen der Gemeinschaft Sant‘Egidio unter dem Motto „Den Frieden wagen“ statt. Teilnehmerin Antje Heider-Rottwilm, Vorsitzende von „Church and Peace“ und Pfarrerin im Ruhestand, sprach mit Tilman A. Fischer über die Bedeutung aktiver Gewaltfreiheit und den gegenwärtigen friedensethischen Diskurs.

Welche Bedeutung hat das Welttreffen der Gemeinschaft Sant‘Egidio in Berlin?

Antje Heider-Rottwilm: Ich bin froh, dass Sant‘Egidio gerade jetzt nach Berlin kommt. Für mich ist an der Gemeinschaft überzeugend, dass das globale Friedensengagement sich entwickelt aus dem konkreten Mitleben mit Menschen am Rande der Gesellschaft weltweit. Sie teilen mit anderen Gemeinschaften – wie etwa den Quäkern und Mennoniten – die Erfahrung gelebter Gewaltfreiheit sie etwa in Afrika seit Jahrzehnten praktiziert wird, wenn das auch hier kaum wahrgenommen wird. Dies ist ein wichtiges Zeugnis hier in Berlin, gerade angesichts des Krieges in der Ukraine.

Dieser währt nun bereits im zweiten Jahr. Wie reflektieren Sie die dortigen Entwicklungen?

Die Befürchtung, dass es eine Eskalation der Waffenlieferungen geben würde, hat sich bewahrheitet: Erst Munition, dann ging es um die Panzer – und immer gab es ein Zögern der deutschen Regierung, mit guten Gründen für die Zurückhaltung. Dann war jedoch der Druck so groß, dass man mitzog. Jetzt geht es um Kampfjets und Marschflugkörper, die sogar nuklear bestückt sein könnten.

Auch wenn man sich diese Eskalation von Anfang an eingestanden hätte: Die andere politische Option wäre doch gewesen, die Ukraine den Invasoren zu überlassen.

Wahrscheinlich ist verhindert worden, dass der russische Überfall über die jetzigen Stellungslinien hinausgegangen wäre. Aber es ist ein grausamer, brutaler Stellungskrieg, der jetzt in der Ukraine stattfindet. Das US-Verteidigungsministerium spricht von einer halben Million Menschen, die getötet oder verletzt wurden. Das ist unglaublich – und das muss uns, egal auf welcher Seite die Toten sind, zutiefst verstören und erschrecken. Für mich als Christin steht im Vordergrund: diese Trauer über die Opfer auf allen Seiten – auch die Wut auf dieses russische Regime, das sich nicht stoppen lässt. Aber natürlich auch Zweifel.

Woran?

Ob der Weg, der im vergangenen Jahr eingeschlagen wurde, der richtige ist, oder ob es Alternativen gegeben hätte. Damals habe ich gesagt, dass für viele von uns im europäischen Netzwerk von „Church and Peace“ und in den deutschen Friedensgruppen die Suche nach Alternativen bereits vor Kriegsbeginn nicht glaubwürdig war und die Kompetenz von Friedensforschung und Konfliktprävention, die seit Jahrzehnten global entwickelt worden ist, nicht in dem Maße genutzt wurde, wie dies notwendig und verantwortlich gewesen wäre.

Schreibt sich diese Wahrnehmung fort?

Vom Anfang des Krieges gab es Stimmen, die gesagt haben: Auch wenn das eine Katastrophe ist, was die russische Regierung da im Moment tut, auch wenn dieser brutale Überfall in keiner Weise zu akzeptieren ist, müssen wir trotzdem versuchen, einen Waffenstillstand zu erreichen, um dann alles Weitere zu verhandeln. E

Antje Heider Rottwilm
Antje Heider RottwilmIMAGO / Lars Berg

s hat seit März letzten Jahres in der internationalen Politik eine Fülle von Vorschlägen für einen Waffenstillstand gegeben. Ich werde mich vor Schuldzuschreibungen hüten aber die Themen „Waffenstillstand“ und „Friedensverhandlungen“ wurden in der Öffentlichkeit diskreditiert zugunsten der dominanten Frage nach militärischer Aufrüstung der Ukraine mit dem Ziel, Russland zurückzudrängen und zu schwächen.

Wenn ich Sie recht verstehe, diagnostizieren Sie quasi „blinde Flecken“ im deutschen Diskurs über den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.

Durchaus. Mein Blick ist auf diejenigen Facetten dieses Krieges gerichtet, in denen etwas wahrnehmbar wird, das gestärkt werden muss, und nicht erschlagen werden darf durch den Fokus auf die militärischen Optionen. Ein Beispiel: Bereits im Sommer 2022 gab es eine Studie zu aktiver Gewaltfreiheit in der Ukraine, die über 200 Beispiele zivilen Widerstands seitens Ukrainerinnen und Ukrainern dokumentiert. Oder auch: Die Wohnung des Generalsekretärs der ukrainischen pazifistischen Bewegung, Yurii Sheliazhenko, der Kriegsdienstverweigerer unterstützt, wurde unlängst durchsucht. Er ist angeklagt, die russische Aggression zu rechtfertigen, die er jedoch konsequent anprangert. Das Friedensnetzwerk der Quäker hat in einem offenen Brief an Präsident Selenskyj die Hoffnung ausgebrückt, dass die Anklage fallengelassen wird und die ukrainische Friedensbewegung ungehindert ihr legitimes Eintreten für Gewaltlosigkeit fortsetzen kann.

Im Windschatten der militärischen und politischen Ereignisse hat sich auch die kirchliche Debatte weiterentwickelt. Wie haben Sie die Diskussion wahrgenommen?

Im vergangenen Jahr wurde hart diskutiert, das heißt auch, dass die seit 2007 formulierte Friedensethik der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) als naiv hingestellt wurde. Etwas feinsinniger hat Militärdekan Roger Mielke einer „pazifistischen Pflichtethik“ eine „realistische Güterethik“ gegenübergestellt und davor gewarnt, die Balance zwischen beiden aufzulösen. In dieser Debatte ist auch der Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Friedrich Kramer, sehr attackiert worden, der sehr glaubwürdig geblieben ist – sowohl mit Blick auf seine Biografie als Kriegsdienstverweigerer und damit Bausoldat in der DDR als auch in seiner Position als Friedensbeauftragter des Rates der EKD. Nachdem alles viele Male gesagt worden ist, warten nun alle darauf, was in der vom Friedensbeauftragten einberufenen Friedenswerkstatt geschehen wird.

Welche Erwartungen verknüpfen Sie hiermit?

Die zentrale Herausforderung ist es, der Komplexität im Blick auf die unterschiedlichen Einschätzungen der Ursachen sowie der gegenwärtigen Situation gerecht zu werden. Zugespitzt stellt sich die Frage: Heißt „Anschlussfähigkeit der Friedensethik“, politische Codes zu übernehmen und theologisch zu legitimieren? Oder heißt es, im Wissen um die Brisanz der Situation zu fragen, was die Aufgabe der Kirche auf dem Hintergrund des biblischen Zeugnisses ist?

Tilman Fischer ist freier Autor