Auf dem Balkan drohen neue Kriege – zur Freude von Putin

Am Nationalfeiertag präsentierte Serbiens Regierung ein neues Militärarsenal: Drohnenabwehr, Panzer, Raketen – alle angeschafft aus Moskau. Balkan-Experten sehen dunkle Wolken aufziehen.

Demonstranten, die Brandbomben auf Nato-Soldaten werfen; Extremisten, die sich eine stundenlange Schießerei mit der Polizei liefern, und ein nicht unterschriebenes Normalisierungsabkommen. „Die Entwicklungen der vergangenen zwölf Monate lassen einen Schluss zu: Serbien und Kosovo stehen am Rande einer Katastrophe“, sagt Adnan Cerimagic. Für den bosnischen Analysten der Europäischen Stabilitätsinitiative (ESI) mit Sitz in Berlin steht auch fest, wer von einem neuen Krieg auf dem Balkan profitieren würde: Russlands Präsident Wladimir Putin. Sein Ziel sei, die Aufmerksamkeit des Westens von der Ukraine abzulenken.

Erst zu Wochenbeginn warnte der frühere Nato-Kommandant James Stavridis vor einer wachsenden Einflussnahme Moskaus auf dem Balkan. Seine Meinung spiegelt sich auch in der „jährlichen Bedrohungsanalyse“ der US-Geheimdienste wider. Demnach stünden der südosteuropäischen Region 2024 vermehrt Gewaltausbrüche aufgrund ethnischer Streitigkeiten bevor. Etwa in Bosnien und Herzegowina, wo der Serben-Führer Milorad Dodik in den vergangenen Monaten mit Abspaltung drohte. Seine nationalistische Politik könnte eine Reaktion der Bevölkerungsmehrheit, der muslimischen Bosniaken, provozieren – schlimmstenfalls gar einen Gewaltausbruch, der die Friedenstruppen in dem Balkanstaat überfordern würde.

Mindestens seit 2011 sei die EU-Friedensmission EUFOR in Bosnien unterbesetzt, warnt der Politologe Toby Vogel in Brüssel. „Sie wäre im Ernstfall nicht in der Lage, die Bevölkerung zu schützen.“ Zudem kritisiert Vogel die Verantwortlichen in Brüssel, Berlin und Paris. Ihnen sei viel mehr daran gelegen, ihre „auf Belgrad zentrierte Politik um jeden Preis weiterzuführen“, statt die blutige Spur zu untersuchen, die sich nach dem Terrorangriff im September 2023 bis in Serbiens Regierungsgebäude ziehe.

Bei dem Überfall serbischer Extremisten auf die nordkosovarische Stadt Banjska starben vier Menschen. In Belgrad gedachten Medien und Politiker der getöteten Angreifer als „Helden“ und „Märtyrer“. Bis heute erkennt Serbien den Kosovo, der 2008 seine Unabhängigkeit ausrief, staatlich nicht an.

Nun stehen die Zeichen erneut auf Konflikt. Etwa 400 Paramilitärs würden derzeit auf serbischer Seite der Grenze für den Angriff trainiert, warnte Kosovos Innenminister Xhelal Svecla zu Wochenbeginn. Für einen offenen bewaffneten Konflikt sei die Abschreckungswirkung der Nato noch zu groß, schätzt die Balkan-Expertin und Mitglied des Präsidiums der Südosteuropa-Gesellschaft (SOG), Johanna Deimel: „Serbien ist von Nato-Ländern wie Montenegro, Nordmazedonien, Albanien, Bulgarien und Kroatien umgeben.“ Wie andere Experten rechnet sie aber für die Zukunft mit vermehrten Übergriffen durch Paramilitärs.

Allerdings, so schätzt Nikola Burazer, Politologe in Belgrad, einen neuen Krieg brauche es gar nicht für Putins Machtspiel auf dem Balkan: „Vorherrschende Unsicherheit und mehrere Krisen, die es für den Westen zu lösen gilt – das sorgt bereits für eine willkommene Ablenkung.“ Putins oberstes Ziel sei, den Fokus vom Ukraine-Krieg abzulenken. Dafür sei Serbien laut Analyse des regionalen TV-Senders N1 der „perfekte Kandidat“.

Belgrad pflegt eine enge Beziehung zu Russland. Anders als der Kosovo lehnt Serbiens Regierung Sanktionen gegen das verbündete Moskau ab. Die beiden Völker verbindet ein enges Band, allem voran durch das orthodoxe, staatsnahe Christentum. Mitte Februar, an Serbiens Nationalfeiertag, präsentierte Vucic seinem Volk ein neues Militärarsenal: ein Drohnenabwehrsystem, Panzer, Raketen – alle angeschafft aus Moskau.

„Über Putins Beweggründe kann man nur spekulieren; es ist aber offensichtlich, dass er das westliche Politik- und Sicherheitsvakuum auf dem Balkan gezielt zu seinen Gunsten ausnützt“, so der Politologe Vogel. „Putin führt sich quasi kostenlos als Schutzherr Serbiens in Sachen Kosovo auf – und hat über seinen Klienten Viktor Orban auch dazu beigetragen, dass die EU-Politik in eine zunehmend proserbische Richtung gelenkt wurde.“

Als richtungsweisend sieht Balkan-Expertin Deimel auch die US-Präsidentenwahlen im Herbst. „Sollte Donald Trump gewinnen, wäre die Nato in ihrem jetzigen Bestand gefährdet – mit fatalen Auswirkungen für Europa und insbesondere für den Balkan.“ Putin wisse, dass der Balkan für die Sicherheit Europas essenziell ist. „Er kann damit die Nato unter Druck setzen und sogar eine weitere Front auf dem Balkan aufmachen, um Kräfte des Westens dort zu binden“, so Deimel.