Zander: Missbrauchsskandal ist Genickschuss für die Kirche

Verantwortung übernehmen: Der Sprecher der Betroffen sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Detlev Zander, hat die bayerische evangelische Landeskirche ermahnt.

Detlev Zander, Sprecher der Betroffenen
Detlev Zander, Sprecher der Betroffenenepd-bild / Jens Schulze

Der Sprecher der Betroffenen sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Detlev Zander, hat die bayerische evangelische Landeskirche mit deutlichen Worten dazu aufgerufen, Verantwortung in der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt zu übernehmen. „Nicht immer sagen: ‘Wir werden. Wir sollten. Wir müssen -, sondern einfach machen“, sagte der Sprecher des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt (BeFo) der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vor der in Coburg tagenden Landessynode. Die Betroffenen „haben euch so viel gegeben. Jetzt macht was draus“, sagte er an die 108 Synodalen gewandt.

„Der Missbrauchsskandal ist ein Genickschuss für die Institution“, sagte Zander weiter. Die Aufarbeitung hänge davon ab, „wie ihr mit dem Thema umgeht“, ermahnte er die Synode. Konkret forderte er, dass die Beschlüsse der EKD-Synode im Herbst auch in den Landeskirchen und Kirchengemeinen umgesetzt werden. Hier brauche es ein gewisses Durchregieren der EKD. Denn bisher sei sexualisierte Gewalt nach seiner Erfahrung in den meisten Gemeinden kein Thema. Diese Einschätzung teilt auch Karin Krapp, ebenfalls Missbrauchsbetroffene und Mitglied des BeFo. Sexualisierte Gewalt dürfte nicht mehr wegmoderiert werden, betonten beide.

„Ich weiß, der Zander nervt”

Laut Forum-Studie seien nachweislich viele Fälle vertuscht und bis in die strafrechtliche Verjährung verschleppt worden, sagte Zander weiter und fragte, inwieweit man hier auch von „Unterlassung“ sprechen könne. Die Betroffenen hätten dadurch ein längeres Leid erlebt, außerdem seien dadurch mehr Taten ermöglicht worden. Diese Frage nach Verantwortung müsse diskutiert werden, vor allem auch, wenn es um Anerkennungszahlungen gehe.

„Ich weiß, das Thema nervt. Ich weiß, wir nerven. Ich weiß, der Zander nervt. Aber ich werde weiter nerven.“ Denn wenn die Betroffenen nicht immer wieder den Finger in die Wunde legen und in die Öffentlichkeit gehen würden, würde nichts geschehen. Zander räumte zugleich ein, dass er sich nach Veröffentlichung der Forum-Studie über Synodenpräsidentin Annekathrin Preidel und Landesbischof Christian Kopp geärgert habe – vor allem über deren Kommunikation.

Relativierung, dass die Kirche doch auch viel Gutes tue

Auch Karin Krapp sagte vor der Synode, dass viele Wortmeldungen nach der Veröffentlichung der Forum-Studie – gerade aus Bayern – sie stutzig gemacht hätten. Sie habe das Gefühl gehabt, dass geredet worden sei, bevor überhaupt die Ergebnisse der Studie wahrgenommen wurden. Sie habe gestaunt, dass die in der Studie beschriebenen typischen Abwehrreaktionen auch nach Studien-Veröffentlichung sichtbar geworden seien – nämlich, dass es doch nur um alte Fälle gehe oder die Relativierung, dass die Kirche doch auch viel Gutes tue.

Ende Januar hatte ein Forscher-Team seine Forum-Studie über sexualisierte Gewalt im Raum der evangelischen Kirche und der Diakonie vorgestellt. Darin ist von mindestens 2.225 Betroffenen und 1.259 mutmaßlichen Tätern die Rede. Die Forscher gehen aber von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus. Die bayerische Landeskirche hatte 129 beschuldigte Personen für den Zeitraum 1917 bis 2020 für die Studie identifiziert.

Kirche muss ihren Umgang mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt überprüfen

Laut der Leiterin der Fachstelle für den Umgang mit sexualisierter Gewalt in der bayerischen Landeskirche, Martina Frohmader, haben sich im vergangenen Jahr 32 Menschen an die Fachstelle gewandt. In den ersten drei Monaten des Jahres 2024 seien es bereits 20 gewesen.

 

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Landesbischof Kopp und Synodenpräsidentin Preidel hatten in ihren Berichten einen Schwerpunkt auf das Thema sexualisierte Gewalt gelegt und betont, dass diese im Raum der Kirche keinen Platz haben dürfe. Preidel kündigte an, dass die Synode das 2020 verabschiedete Präventionsgesetz im Licht der Ergebnisse der ForuM-Studie überprüfen und gegebenenfalls überarbeiten werde.

Kopp sagte, dass die Kirche ihren Umgang mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt überprüfen müsse. Es gelte, die betroffenen Personen zu hören. Statt einer Kultur des Wegsehens brauche es eine Kultur des Hinsehens. Zugleich müssten Betroffene ermutigt werden, ins Reden zu kommen. Es brauche daher eine zentrale unabhängige Ansprechstelle oder Ombudsstelle für betroffene Personen auf bundesweiter Ebene.