„Wir brauchen eine Debatte“

Bevor die neue Wehrbeauftragte Dr. Eva Högl im Mai ihr Amt antrat, war sie lange Jahre Mitglied des Deutschen Bundestages und SPD-Vorsitzende des Kreisverbandes Berlin-Mitte. Mit ihr sprach Militärdekan AC Tübler über ihre bisherige sechsmonatige Amtszeit.

Die Wehrbeauftragte Dr. Eva Högl
Die Wehrbeauftragte Dr. Eva HöglInga Haar / Deutscher Bundestag

Liebe Frau Dr. Högl, wie fühlt sich das Amt und wie fühlt sich die Bundeswehr an?
Eva Högl: Ich betrachte es als eine große Ehre und auch große Freude, dieses wunderbare Amt der Wehrbeauftragten ausüben zu dürfen. Und die sechs Monate waren randvoll mit ganz vielen Gesprächen, glücklicherweise auch mit Truppenbesuchen.

Wie haben Sie diese Besuche in der Zeit der Pandemie gestaltet?
Corona ist natürlich nicht nur für unsere gesamte Gesellschaft, sondern auch für die Truppe eine echte Herausforderung: Lehrgänge können nicht stattfinden. Die Ausbildung muss unter ganz anderen Rahmenbedingungen ermöglicht werden, auch die Auslandseinsätze mit der Quarantäne. Das sind alles wirklich erschwerte Bedingungen: Auswahlkonferenzen sind ausgefallen, konnten nicht stattfinden. Also das setzt die Truppe enorm unter Druck. Aber ich stelle eins fest und das freut mich auch sehr: Überall dort, wo vor Ort verantwortungsvoll entschieden wird, wo mit Kreativität und Flexibilität auf diese schwierigen Rahmenbedingungen, die Corona leider erfordert, eingegangen wird, da funktioniert das gut. Und ich unterstütze auch aus voller Überzeugung und von ganzem Herzen das Kommando Sanitätsdienst mit dem strengen Hygienekonzept. Anders geht es nicht.

Sie werden Anfang nächsten Jahres Ihren ersten Jahresbericht im Bundestag präsentieren. Können Sie schon Inhalte und Tendenzen benennen?
Am Jahresbericht 2020 wird unter Hochdruck gearbeitet. Und ich werde ihn im Februar präsentieren. Das wird mein erster Bericht sein. Es überrascht jetzt nicht, wenn ich sage, dass ein Schwerpunkt Corona sein wird. Aber ich werde natürlich auch betonen, wie wunderbar die Amtshilfe funktioniert: Soldatinnen und Soldaten helfen in den Gesundheitsämtern bei der Nachverfolgung von Kontakten, beim Testen, sind jetzt engagiert dabei, zu unterstützen beim Aufbau von Impfzentren. Und dann haben wir natürlich in diesem Jahr auch ein unangenehmes Thema bearbeiten müssen, nämlich das Thema Extremismus, insbesondere Rechtsextremismus in der Bundeswehr. Und das ist etwas, wo ich mich persönlich natürlich auch sehr engagiert darum kümmere, dass da erstens aufgeklärt wird, zweitens die richtigen Maßnahmen ergriffen werden und alles getan wird, damit Rechtsextremismus tatsächlich keinen Platz in der Bundeswehr hat.

Wenn Soldaten in den Auslandseinsatz geschickt werden und dabei verwundet werden oder sterben, gibt es mitunter viel gesellschaftliche Kritik. Wenn sie – wie jetzt zur Zeit der Corona Pandemie – in den Gesundheitsämtern bei der Nachverfolgung helfen, gibt es dagegen viel Lob. Brauchen wir eine Debatte über die Funktion der Bundeswehr in der Gesellschaft?
Ja, diese Debatte brauchen wir. Und der Bundespräsident hat anlässlich der Feier 65 Jahre Bundeswehr etwas sehr Wichtiges gesagt. Er hat gesagt: „Es darf keine Distanz geben zwischen Gesellschaft und Bundeswehr!“ Wir haben eine Parlamentsarmee. Die Bundeswehr bekommt ihren Auftrag vom Deutschen Bundestag. Und deswegen braucht es eine enge Verbindung zwischen Politik, Gesellschaft und der Truppe.

Ein politisch umstrittenes Thema ist die Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf 2 Prozent des Bundeshaushalts. Die Partei „Die Grünen“ kann es sich wohl mittlerweile vorstellen, die CDU ohnehin. Bei der SPD weiß man nicht genau, in welche Richtung es gehen wird. Wie stehen Sie zu der Forderung der Verteidigungsministerin?
Das Zwei-Prozent-Ziel ist politisch vereinbart. Wir haben im Moment eigentlich einen sehr komfortabel ausgestatteten Verteidigungshaushalt mit 50 Milliarden Euro. Das ist eine stattliche Summe. Wir sind da noch nicht am Zwei-Prozent-Ziel dran. Aber das ist auf jeden Fall eine runde Summe. Und trotzdem landet das viele gute Geld, gut investiertes Geld in unsere Sicherheit, nicht immer an den richtigen Stellen und nicht immer vor Ort, bei der Soldatin, bei dem Soldat.

Frau Dr. Högl, der noch amtierende US-Präsident Trump hat überraschend den Teilabzug der US-Truppen aus Afghanistan angekündigt. Sie haben sich unlängst dahingehend geäußert, die Nato stärker in diesen Teilabzug einzubinden. Sehen Sie da eine Chance?
Natürlich atmen wir erst einmal auf, dass Joe Biden gewonnen hat. Und es gibt dadurch auch eine Chance, das transatlantische Verhältnis wieder auf eine gute Grundlage zu stellen. Was wir jetzt gar nicht gebrauchen können, ist ein überraschender Abzug oder solche Ankündigungen per Twitter, sondern es braucht eine solide Strategie. Das muss innerhalb der Nato besprochen werden. Es darf keine nationalen Alleingänge geben.

Die Bundeswehr ist auch darauf vorbereitet, neue Teilstreitkräfte zu generieren, zum Beispiel die Cyberabwehr zur Verteidigung des Weltraums. Wie bewerten Sie das ganz persönlich? Ist das eine notwendige technische Errungenschaft? Ist es jetzt an der Zeit sich damit zu beschäftigen, oder ist das übertrieben?
Ich halte das für absolut notwendig und richtig. Und ich interessiere mich sehr für diese Aspekte der Bundeswehr und für die Cyberabwehrstrategie. Ich habe mich schon als Innenpolitikerin viel damit befasst. Wir wissen auch, dass die künftigen Kriege, die künftigen Bedrohungen nicht mehr analog stattfinden werden, sondern digital. Wie schützen wir zum Beispiel kritische Infrastruktur? Wie reagieren wir auf Cyberangriffe? Es ist unbedingt erforderlich, dass wir uns da gut schützen und das ist eine wichtige Komponente der Verteidigungspolitik.

Ich denke, viele Vorgesetzte in der Bundeswehr stellen sich auf diese neuen Dimensionen der Technik ein. Auch die Militärseelsorge. Aber wie stellen wir uns ethisch darauf ein? Dürfen wir alles das, was wir können? Oder müssen wir auch gelegentlich – manchmal auch im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten – sagen: Nein, diesen Weg gehen wir nicht mit?
Ja, das sind genau die Fragen, die jetzt jahrelang diskutiert wurden: Welche ethischen Grundsätze haben wir? Was sagt das Völkerrecht? Was sagt unser Grundgesetz? Und das wurde über Jahre ausführlich diskutiert. Und natürlich ist das umstritten. Hinsichtlich der Bewaffnung von Drohnen bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass bewaffnete Drohnen die Einsätze für unsere Soldatinnen und Soldaten sicherer macht. Und selbstverständlich werden die Drohnen dann nicht so eingesetzt, wie das andere Staaten tun. Also keine völkerrechtswidrigen Einsätze. Sondern ganz klar benannt auf der Basis des Völkerrechts unter Berücksichtigung der ethischen und menschenrechtlichen Grundlagen und vor allen Dingen auch im Einsatz und nicht ferngesteuert von irgendwo dann im Einsatzland. Das sind die Rahmenbedingungen, die der Deutsche Bundestag mit dem Mandat festlegen kann.

Lassen Sie uns noch einmal auf das Verhältnis von Bundeswehr und Gesellschaft eingehen. Gibt es Rechtsextremismus in der Bundeswehr?
Die Bundeswehr ist ein Querschnitt und ein Spiegelbild der Gesellschaft. Was wir in der Gesellschaft haben, finden wir auch in der Bundeswehr. Jeder einzelne, der dort rechtsextrem ist, ist einer zu viel. Denn Soldat, Soldatin ist kein normaler Beruf, sondern das erfordert ganz besonders viel Verantwortung. Mir ist sehr wichtig, hier auch nochmal zu sagen: Ich treffe jeden Tag auf Soldatinnen und Soldaten, die verantwortungsvoll ihren Dienst leisten, die fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Das ist die absolute Mehrheit. Die müssen wir auch stärken. Deswegen ist eine Nulltoleranz Strategie richtig. Es muss aufgeklärt werden, diejenigen, die in der Bundeswehr rechtsextrem sind, sowohl das Gedankengut haben als auch sich betätigen: Die gehören entfernt. Die gehören nicht in die Bundeswehr. So konsequent muss man da auch sein. Und wir müssen auch viel tun im Sinne von Prävention. Dass wir viel investieren in politische Bildung, in die Stärkung der ethischen moralischen Grundlagen, Charakterfestigkeit, mentale Stärke. Das ist alles sehr wichtig und gefordert. Und ich unterstütze die Reformen, die jetzt auch in Gang sind.

Was wünschen Sie sich fürs nächste Jahr?
Ich wünsche uns allen vor allen Dingen Gesundheit, ganz, ganz viel Gesundheit, ganz viel Kraft für die Herausforderungen, die sicherlich auch 2021 kommen. Und deswegen viel Glück und alles Gute für 2021.

Info
Das vollständige Interview können Sie hören auf www.tuebler.de.