Versteckte Vorurteile

Mit einer Broschüre will die Evangelische Kirche in Deutschland über versteckte Judenfeindlichkeit aufklären und Möglichkeiten zum Widerstand aufzeigen – auch in der Kirche

Jens Schulze

In Berlin droht ein älterer Mann einem jüdischen Restaurantbetreiber mit der Gaskammer. Moslemische Jugendliche verbrennen vor laufender Kamera selbst gebastelte Israel-Flaggen. Auf Schulhöfen gilt „Du Jude“ wieder als Schimpfwort, und den Satz „Israel sperrt Palästinenser in Konzen­trationslager“ wird man „ja wohl sagen dürfen“ …
Am 27. Januar ist Holocaust-Gedenktag, der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Mehr als 70 Jahre nach dem Mord an rund sechs Millionen Juden gehören antisemitische Äußerungen in Deutschland zunehmend wieder zum Alltag. Zwar spricht nur eine Minderheit der deutschen Bevölkerung noch von der „jüdischen Weltverschwörung“ – aber dem Vorwurf, dass „die Juden“ die Finanzmärkte kontrollieren, können erschreckend viele zustimmen. Genauso wie der Äußerung, dass „die Juden“ an einen Rachegott glauben, oder dass jetzt auch mal Schluss sein muss mit der Erinnerung an die deutsche Schuld.
Antisemitismus ist eine Realität in der Gesellschaft, und das nicht nur am rechten Rand oder bei radikalen Islamisten. Man findet diese Form des Rassismus auch in der Kirche. Dem will die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) mit einer Broschüre begegnen, die über die verschiedenen Erscheinungsformen von Judenfeindlichkeit informiert und Möglichkeiten zu deren Bekämpfung aufzeigt. Dabei wird neben den verschiedenen allgemein-gesellschaftlichen Spielarten des Antisemitismus ein Schwerpunkt auf innerkirchliche Judenfeindlichkeit gelegt (siehe Beispiele unten).
Antisemitismus, so führen die Autoren der Broschüre aus, ist eine spezielle Form „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“. Zu seinen Merkmalen gehören die pauschale Beschuldigung von Angehörigen einer Gruppe, die nicht mehr als Individuen gesehen werden, sondern nur noch als Kollektiv: „die Juden“. Einzelne Personen aus dieser Gruppe werden aufgrund von angenommenen negativen Merkmalen beschimpft und ausgegrenzt. Komplexe Zusammenhänge werden auf ein „Gut-Böse“-Schema reduziert, verbunden mit der Behauptung „Die Juden sind schuld“ in allen möglichen Varianten.
Zu den verdeckten Formen des Antisemitismus zählt die Broschüre etwa eine pauschalisierende Kritik an der Politik Israels, die unter dem Stichwort „Antizionismus“ immer mehr Zustimmung findet. Dem Staat Israel wird vorgeworfen, den Weltfrieden zu bedrohen. Die Autoren bemerken dazu: „Wie bei allen anderen Staaten darf auch die israelische Regierung selbstverständlich in sachlicher Weise kritisiert werden.“ Antisemitisch sei die Kritik dann, wenn sie dem Staat Israel das Existenzrecht abspreche oder ihn dämonisiere, wenn palästinensische Flüchtlingslager mit KZs gleichgesetzt würden oder wenn Demos gegen die israelische Politik gezielt vor Synagogen abgehalten würden.
„Christlicher Glaube und Judenfeindschaft schließen einander aus“, heißt es im Vorwort der Broschüre. Christinnen und Christen sollten daher gegen die Vorurteile, Ausgrenzungen und Bedrohungen angehen. Mögliche Schritte für den Einzelnen wären das Benennen von verstecktem Antisemitismus, klare Stellungnahme in der Öffentlichkeit und Parteinahme für bedrohte Menschen. Darüber hinaus müsse Bildung, Rechtsbewusstsein und Selbstbewusstsein der Menschen gestärkt werden und eine Vernetzung der gesellschaftlichen Gruppen gegen Antisemitismus stattfinden.

Die Broschüre als pdf im Internet: www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/2017_Antisemitismus_WEB.pdf. Bestellung per E-Mail: versand@ekd.de.