So steht die Kirche zur AfD

An der AfD scheiden sich die Geister. Auch in der Kirche. Während leitende Geistliche vor der in Teilen als extremistisch beurteilten Partei warnen, gibt es unter konservativen Christen Fürsprecher.

Mit diesem Plakat wirbt die AfD vor einer Kirche für sich (Archiv)
Mit diesem Plakat wirbt die AfD vor einer Kirche für sich (Archiv)Imago / Steinach

Für Joachim Kuhs ist die Sache klar: Die AfD sei „für Christen noch immer erste Wahl“. Der ehemalige Rechtspfleger ist evangelischer Sprecher von „Christen in der AfD“, einem Verein, der nach eigenen Angaben über 300 Mitglieder hat. Viele davon kommen offenbar aus Freikirchen. So auch Kuhs, der Kirchenältester und Laienprediger in einer unabhängigen anglikanischen Kirchengemeinde in Baden-Baden ist. Kuhs steht damit in einer Linie mit der Bundessprecherin seiner Partei, Alice Weidel, die schon vor Jahren erklärte, die AfD sei „die einzige christliche Partei, die es noch gibt“.

Dass derzeit jedes Wochenende landauf, landab Hunderttausende auf die Straßen gehen, um gegen AfD und Rechtsextremismus zu demonstrieren? Dass seit Monaten Kirchenleitende sowohl aus evangelischen Kirchen als auch aus der katholischen vor der AfD warnen? Ficht Joachim Kuhs nicht im Geringsten an. Das alles zeige nur die „neuerliche Hexenjagd“ auf seine Partei.

Kuhs und sein Verein sehen sich als die wahren Vertreter des christlichen Glaubens. Sie machen das vor allem an folgenden Punkten fest: Abtreibungspolitik, Präimplantationsdiagnostik (PID), Sterbehilfe, traditionelles Ehe- und Familienbild, Haltung zum Islam. Nur die AfD, so argumentieren die „Christen in der AfD“, garantiere die Beibehaltung der christlichen Prägung des europäischen Abendlandes.

Die AfD widerspricht christlichen Grundwerten

Es ist erstaunlich, wie weit in diesem Punkt die Meinungen und Glaubensüberzeugungen auseinandergehen können. Die EKD-Synode, also das Parlament der Evangelischen Kirche in Deutschland, urteilte bei ihrer Herbsttagung im vergangenen Jahr: „Die menschenverachtenden Haltungen und Äußerungen insbesondere der rechtsextremen Kräfte innerhalb der AfD sind mit den Grundsätzen des christlichen Glaubens in keiner Weise vereinbar.“ Ähnlich äußern sich weitere Leitungspersonen der evangelischen Kirche. Auch Georg Bätzing, der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, warnt: Die Positionen der AfD und die Position der katholischen Kirche seien unvereinbar. Und Irme Stetter-Karp, Vorsitzende der katholischen Laien in Deutschland, fordert: AfD-Mitglieder dürfen kein kirchliches Laien-Amt bekommen.

Wollen wir mal hoffen, dass diese Forderung auf einer Demo gegen Rechtsextremismus in Köln etwas bringt
Wollen wir mal hoffen, dass diese Forderung auf einer Demo gegen Rechtsextremismus in Köln etwas bringtImago / Panama Pictures

Die AfD widerspricht zutiefst christlichen Grundwerten – das scheint die einhellige Meinung bei den Leitungspersonen in evangelischen Landeskirchen und katholischer Kirche zu sein. Die „Christen in der AfD“ sehen das anders. Was aber genau sind diese christlichen Grundwerte?

Achtung vor Argumentation mit der Bibel

Wer in die Bibel schaut, wird dort wenig Konkretes zu den aktuellen Streitthemen finden. Seenot-Rettung? Islam? Präimplantationsdiagnostik? Sterbehilfe? Gab es damals nicht. Aber auch bei Fragen wie dem Rollenbild von Mann und Frau, sexueller Orientierung und dem Verständnis von Familie ist man angesichts von 2000 bis 3000 Jahre Menschheits-Entwicklung und gesellschaftlichen Änderungen kaum in der Lage, die Texte der Bibel eins zu eins als Gebrauchsanweisung für das heutige, tägliche Leben zu übernehmen. Es kommt darauf an, die grundlegenden Prinzipien zu entdecken, die Überzeugungen und Werte der Heiligen Schrift. Den Geist, den die Bibel atmet. Oder, wie Martin Luther sagte: das, was Christum treibet. Und diesen Geist dann auf die aktuellen Verhältnisse und Fragen anzuwenden.

Einigkeit herrscht im Umgang mit der AfD in der Kirche nicht (Symbolbild von einer Demo gegen Rechtsextremismus)
Einigkeit herrscht im Umgang mit der AfD in der Kirche nicht (Symbolbild von einer Demo gegen Rechtsextremismus)Imago/ Willi Schewski

Was heißt Nächstenliebe – heute, konkret? Was bedeutet: Vor Gott sind alle Menschen gleich? Was ist Menschenwürde? Wie werden die Menschen ihrer Verantwortung vor Gott und der Welt gerecht? Da scheiden sich die Geister. Und zwar erheblich.

Unterschiedliche Haltungen zu Fragen von Glauben und Leben

Das war zwar schon immer so. Von Anfang an sind Christinnen und Christen bei der Auslegung der biblischen Schriften zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Kriege waren die Folge. Und das Entstehen von immer neuen Glaubensgruppen, Kirchen und Konfessionen. Auch in der gegenwärtigen evangelischen Kirche gibt es seit langem unterschiedliche Haltungen zu Fragen von Glauben und Leben. Die EKD und ihre Landeskirchen gelten gesellschaftspolitisch tendenziell als eher liberal. Konservative Haltungen gibt es zwar auch dort; sie zeigen sich aber vor allem in den Freikirchen.

Nun aber scheint mit der immer weiter fortschreitenden Radikalisierung der AfD eine Rote Linie überschritten. Auch für die Kirchen. Es geht nicht länger um Unterschiede in Einzelfragen. Sondern um das Große und Ganze. Kann man eine Partei unterstützen, die in drei Bundesländern – Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen – als gesichert rechtsextrem gilt und bundesweit vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft wird? Die sich nicht klar von völkischem Denken abgrenzt, von Antisemitismus, Rassismus, gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit? Die die Furcht nährt, ein gotteslästerliches, mörderisches und traumatisches Erbe krieche da aus den Schützengräben und Konzentrationslagern wieder hervor?

Kirchenvorstands-Wahlen: Kein Platz für AfD-Mitglieder

Eine Frage dieser Größenordnung lässt sich nicht mehr beantworten mit: „Naja, du siehst das so und ich halt anders.“ Hier geht es um alles. Auch darum, was man unter „christlichem Glauben“ versteht. Status confessionis nennt die Theologie so eine Situation, Bekenntnisnotstand – der absolute Notfall, in dem jeder Christ und jede Christin klar Farbe bekennen muss.

 

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Die Zeiten, in denen sich die Kirchen mit ausdrücklichen politischen Wahlempfehlungen zurückhielten, sind also vorbei. Kürzlich erst rief der leitende Theologe der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR), Präses Thorsten Latzel dazu auf, Kandidatinnen und Kandidaten der AfD grundsätzlich keine Stimme zu geben. Und der Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg, Thomas Adomeit, sagte im Blick auf die anstehenden Kirchenvorstands-Wahlen in den Gemeinden: Eine Kandidatur von Personen, die der „AfD nahestehen oder Mitglied sind und deren Parteiprogrammatik offen kommunizieren“, sei „grundsätzlich zu überprüfen“.

Gespräche mit AfD-Wählerinnen und Wählern in Gemeinden?

Bleibt die Frage, ob Kirchen, Gemeinden und ihre Repräsentantinnen und Repräsentanten überhaupt noch mit der AfD reden sollten. Die Antwort darauf ist nicht leicht zu finden, die Kirchen ringen damit. Sie unterscheiden dabei zwischen den Wählerinnen und Wählern, mit denen man im Gespräch bleiben müsse, und Parteifunktionären und -ideologen, denen man keine öffentliche Bühne geben dürfe

Im Kern aber haben sich die Kirchen entschieden. EKD, ihre Landeskirchen und die katholische Kirche erklären in aller Deutlichkeit: AfD – die ist auf gar keinen Fall mehr mit dem christlichen Glauben vereinbar.