Das sagt die palästinensische Pfarrerin Sally Azar zum Weltgebetstag

Christliche Palästinenserinnen kritisieren die Änderung der Weltgebetstagsliturgie in Deutschland. Das sagt die palästinensische Pfarrerin Sally Azar aus Jerusalem dazu.

Sally Azar ist Pfarrerin der Evang.-Luth. Kirche in Jordanien und im Heiligen Land
Sally Azar ist Pfarrerin der Evang.-Luth. Kirche in Jordanien und im Heiligen LandELCJHL / Ben Gray

In diesem Jahr kommt die liturgische Ordnung des Weltgebetstages am 1. März aus Palästina. Der Text ist wegen der enthaltenen Israelkritik umstritten. Das Deutsche Weltgebetstagskomitee veränderte ihn deshalb in Teilen. Die palästinensische Pfarrerin Sally Azar aus Jerusalem von der Evangelisch-Lutherischen Kirche im Heiligen Land und Jordanien erläutert ihre Kritik im Interview mit Sibylle Sterzik.

Welche Botschaft wollen die palästinensischen Frauen mit ihrer Weltgebetstagsordnung 2024 weitergeben?
Sally Azar: Unser größtes Anliegen ist, dass die Stimmen der palästinensischen Frauen gehört werden. Sie leben seit Jahren unter der Besatzung Israels. Morgens stehen wir damit auf und abends gehen wir damit schlafen. Uns ist wichtig, dass die Welt hört, wie wir leiden.

Das Deutsche Weltgebetstagskomitee hat Ihren Text verändert. Wurde das mit Ihnen besprochen?
Uns wurde gesagt, dass sie kontextualisieren wollen, Einführungen ergänzen, aber die Texte nicht ändern. Das fanden wir anfangs in Ordnung. Aber dann wurde doch vieles mehr geändert. Unsere Wortwahl drückt aber genau unsere Perspektive aus, auf das, was wir erleben. Das stört offenbar das Deutsche Weltgebetstagskomitee. Uns stört es auch, unter Besatzung zu leben.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Sie haben in den Lebensgeschichten, die palästinensische Christinnen erzählen, einige Worte gestrichen, Israel als Besatzer oder die Vertreibung ihrer Großeltern, von der eine Frau erzählt. Wir schildern unsere Erfahrungen, und Frauen in Deutschland verändern sie, als ob Palästinenserinnen die Unwahrheit sagten. Warum ändert man etwas, was für uns existenziell ist?

Nahostkonflikt, Westjordanland, Eindrücke aus Dschenin
Nahostkonflikt, Westjordanland, Eindrücke aus DscheninImago / APA Imgages

Gab es Gespräche über diese Änderungen?
Ja wir hatten ein Zoom-Gespräch und Austausch über E-Mails. Im dem Gespräch waren wir ganz klar und haben gesagt, dass wir eine neue Liturgie nicht akzeptieren können. Wir haben dem Deutschen Weltgebetstagskomitee geschrieben, dass uns ihre Absicht verletzt. Da sagten sie uns, die Ordnung werde verändert, weil es in Deutschland mit einigen Formulierungen Probleme gibt. Ich bekam dann die neue Liturgie, konnte sie aber so kurzfristig nicht mit den Frauen besprechen. Nicht alles, das jetzt drinsteht, ist mir so vorgezeigt worden. Nach intensiver Besprechung und der letzten Ausgabe stellten wir fest, wie viel geändert wurde. Es war schon von Anfang an klar, dass wir etwas Neues, in unserem Namen geschrieben, nicht akzeptieren würden. Es geht uns nicht um die Änderungen, sondern darum, dass wir uns nicht gehört fühlen. Ich respektiere natürlich, was die Frauen vom Deutschen Weltgebetstagskomitee machen, weil ich weiß, dass sie unter Druck stehen. Trotzdem wäre es schön gewesen, wenn die unsere Liturgie nicht ganz von der Website entfernt hätten, statt den Leuten zu überlassen, wie sie mit uns beten.

Wie haben die palästinensischen Frauen reagiert?
Sie waren nicht überrascht, aber enttäuscht. Auch Palästinenserinnen in Deutschland sagen: Das ist nicht mehr das, was wir erleben. Das wollen wir nicht beten. Vor einem Jahr besuchte uns eine deutsche Delegation und sagte, sie würden unsere Ordnung so lassen, wie sie ist. Warum wurden diese Änderungen dann vorgenommen? Wir würden als palästinensisches Weltgebetstagskomitee keine antisemitische Liturgie beten. Geändert wurde, wie wir Israel sehen und erleben.

Der Deutsche Koordinierungsrat der christlich-jüdischen Gesellschaften hat in einer Erklärung vom Oktober 2023 antisemitische Tendenzen in der Ordnung kritisiert und Änderungen gefordert.
Ich kann nicht nachvollziehen, dass uns jemand Antisemitismus unterstellt. Wir haben unsere Texte mehrmals daraufhin geprüft. Palästinenser werden immer verdächtigt, etwas gegen Israel zu tun. Es geht aber nicht um Politik, sondern darum, dass wir miteinander beten. Wenn das nicht möglich ist, was bedeutet der Weltgebetstag dann eigentlich? In jeder Weltgebetstagsordnung gibt es Kleinigkeiten oder theologische Aussagen, die man vielleicht nicht unterstützt. Aber trotzdem beten wir miteinander. Das macht gerade den Weltgebetstag aus: dass wir als Frauen überall auf der Welt eine Ordnung entwerfen, unsere Perspektive teilen und miteinander beten.

Manche Gemeinden in Deutschland sagen den Weltgebetstag ab oder entwerfen eine alternative Ordnung, etwa ein Friedensgebet. Wie erleben Sie das?
Wenn Frauen in deutschen Gemeinden sagen, wir beten das nicht mit, finde ich das problematisch. Wo ist da die christliche Geschwisterlichkeit und die Liebe untereinander? Es gibt viele Kirchengemeinden in Deutschland, die uns schreiben und sagen: Wir wollen eure ursprüngliche Liturgie beten. Dafür sind wir sehr dankbar.

Hinter Kritik an Israel kann auch versteckter Antisemitismus stehen. Das können Gemeinden besonders nach dem Massaker der Hamas in Israel nicht akzeptieren, denn sie stehen an der Seite Israels. Und sie vermissen Kritik an der Hamas. Können Sie das auch nachvollziehen?
Ich verstehe, dass Christen in Deutschland an der Seite jüdischer Menschen stehen, weil sich die Vergangenheit nicht wiederholen darf. Wir sind auch nicht gegen jüdische Menschen, sondern gegen die israelische Regierung und ihre Besatzungspolitik. Aber das zu sagen, ist nicht antisemitisch. Hier muss man klar trennen zwischen Judentum und dem Staat Israel. Auch viele Israelis kritisieren ihre Regierung. Es geht nicht darum, sich entweder für Israel oder für Palästina zu entscheiden, sondern darum, sich an die Seite der Menschen hier zu stellen. Niemand will, dass Menschen ermordet werden, das ist schrecklich. Es leben auch Christinnen in Gaza. Wir sind gegen jede Art von Gewalt von beiden Seiten. Wir wollen keinen Krieg, sondern einen Waffenstillstand.

Wie leben Christinnen in Gaza derzeit? Wie halten Sie Kontakt?
Wir rufen ständig unsere Gemeindeglieder an und fragen, wie es ihnen geht. In Gaza gibt es zwar keine lutherische Kirche, aber ungefähr 700 bis 1000 orthodoxe, anglikanische und katholische Christinnen und Christen. Im Oktober war ich in der Stadt Beit Sahour östlich von Bethlehem im Westjordanland. Eine Frau aus meiner Gemeinde dort stammt aus Gaza. Seit fünf Jahren durfte sie nicht nach Gaza, wo ihre Familie lebt. Durch den Krieg hat sie drei ihrer Geschwister verloren, die getötet wurden. Sie konnte nicht zur Beerdigung fahren und Abschied nehmen.

Die Menschen suchen auch Schutz in Kirchen?
Christen in Gaza verstecken sich in Kirchen, denn sie haben kein Zuhause mehr. Eine Frau der orthodoxen Kirche verlor zwölf ihrer Familienmitglieder in Gaza, alle Christinnen, darunter vier Kinder. Als der Beschuss anfing, waren sie in der Kirche. In den israelischen Medien heißt es, Kirchen würden nicht angegriffen. Aber das stimmt nicht. Zwei Frauen, die sich auf dem Kirchengelände befanden und nur von der Kirche bis zur Toilette gehen wollten, wurden erschossen. Ich glaube, das wird nicht genug berichtet.

Es gibt Gewalt und Terror von palästinensischer Seite. Das kommt in der Weltgebetstagsordnung nicht vor.
Zuerst war die Besatzung und dann kam der palästinensische Widerstand. Den gibt es natürlich. Das gehört in den geschichtlichen Teil der Materialien, wo es auch erwähnt ist, nicht in unsere Liturgie. Wenn wir beten, dann beten wir für einen Frieden, für alle Menschen.

Wie ist die Atmosphäre in Jerusalem?
Langsam normalisiert sich das Leben in Jerusalem. Aber trotzdem herrscht eine Anspannung auf beiden Seiten, sowohl bei den Israelis als auch bei den Palästinensern. Man traut sich gegenseitig nicht mehr. Viele Siedler oder Israelis laufen mit Waffen durch die Straßen. Das verunsichert uns. Es gibt natürlich viele Angriffe von beiden Seiten.

Wie werden Sie jetzt in Ihrer Gemeinde den Weltgebetstag feiern?
Da es nicht möglich ist, dass wir alle an einem Ort zusammenkommen, feiern wir in drei Orten und Tagen. Den ersten feiern wir am Freitag, 1. März, in Jerusalem, den zweiten in Ramallah und den dritten in Bethlehem. Wir werden den Weltgebetstag ökumenisch begehen, einmal in der lutherischen, in der anglikanischen und in der katholischen Kirche. Es kommen Frauen aus den verschiedenen Kirchen, auch einige Pfarrer und Bischöfe. Wir freuen uns darauf, dass wir zusammenkommen können und werden auch versuchen, die Gottesdienste zu streamen. Den Link werden wir auf unserer Seite veröffentlichen.