Ökumene-Pastorin wird BSW-Mitglied: “Gegen den Riss in der Gesellschaft”

Melanie Dango, Ökumene-Pastorin in Rostock, deutet die hohe Zustimmung zur AfD in Mecklenburg-Vorpommern als Indiz für Frust – und geht nun selbst in die Politik.

Wurde für das Bündnis Sahra Wagenknecht in den Kreistag Mecklenburgische Seenplatte gewählt: Ökumene-Pastorin Melanie Dango aus Rostock
Wurde für das Bündnis Sahra Wagenknecht in den Kreistag Mecklenburgische Seenplatte gewählt: Ökumene-Pastorin Melanie Dango aus Rostockprivat

Melanie Dango, wie geht es Ihnen mit dem Wahl-Ergebnis, vor allem mit dem starken Abschneiden der AfD?
Dass die AfD so viele Stimmen bekommen hat, treibt mich sehr, sehr um. Wobei ich es schon geahnt habe, das haben viele Umfragen ja prognostiziert. Außerdem habe ich in den letzten Wochen nicht nur beruflich als Pastorin, sondern auch ehrenamtlich politisch als Mitglied im Bündnis Sahra Wagenknecht mit unzähligen Menschen auf den Straßen und Märkten in Mecklenburg-Vorpommern gesprochen.

Ich habe von vielen gehört, dass sie Angst haben um ihre Zukunft, Angst vor sozialem Abstieg, Angst vor Menschen aus anderen Kulturkreisen, dass sie sich abgehängt und nicht anerkannt fühlen von den Politikern. Mein krassestes Erlebnis war das Gespräch mit vielen jungen Menschen, bestimmt 50 bis 80, die auf ihrem Schulweg waren und auf meine Frage „Und, wen wählt Ihr?“ zum Teil in Sprechchören „AfD“ gesungen haben! Das hat mich wirklich erschüttert.

Wie erklären Sie sich, dass es im gesamten Osten eine hohe Zustimmung zur AfD gibt?
Das nur als Ost-Phänomen zu verstehen, greift zu kurz. Oder zu behaupten, die Ossis hätten immer noch nicht begriffen, wie Demokratie funktioniert. Im Ruhrgebiet, wo ich aufgewachsen bin, hat die AfD zum Teil 18 bis 25 Prozent eingefahren –  und zwar dort, wo die Kohleindustrie abgewickelt wurde, die Menschen sich ebenfalls abgehängt fühlen. Das Ruhrgebiet war mal Kernland der SPD! Ich bin aufgewachsen mit einem Großvater, der eng mit Walter Arendt, dem Sozialminister unter Willy Brandt, befreundet war. Er würde die Welt nicht mehr verstehen.

Die Europawahl hat gezeigt: Ost- und Westdeutschland unterscheiden sich stark
Die Europawahl hat gezeigt: Ost- und Westdeutschland unterscheiden sich starkImago / BildFunkMV

Ich glaube, viele der sogenannten „kleinen Leute“ fühlen sich von den Politikern heute einfach zu wenig gesehen, gehört und wertgeschätzt, sie erleben Politik als abgehoben. Und die neue Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung deutet darauf hin, dass es ihnen mit der Kirche leider ähnlich geht.

Meine Erklärung lautet also: Die Menschen, die AfD gewählt haben, glauben irrtümlich, dass die AfD sie mit ihren Sorgen und Nöten ernst nehmen würde. Wenn man sich das Parteiprogramm anguckt, sieht man, dass die tatsächlichen Vorhaben der Partei höchstens den oberen Zehntausend zu Gute kommen würden. Die AfD stilisiert sich auch als Friedenspartei, hat aber im Bundestag am 14. Juni gerade drei Anträge gestellt, um die Rüstungsindustrie zu unterstützen.

Wie reagieren Sie jetzt?
Ich will etwas tun: gegen diesen tiefen Riss in unserer Gesellschaft, gegen das Gefühl, abgehängt zu sein – und für Frieden, soziale Gerechtigkeit und gegenseitige Wertschätzung! Deshalb habe ich mich entschieden, mich politisch zu engagieren und Menschen eine seriöse Alternative  zu bieten. Ich bin in den Kreistag Mecklenburgische Seenplatte gewählt worden, wo das BSW 14 Prozent erreicht hat, und habe vor, das Mandat anzunehmen.

Als Pastorin für Mission und Ökumene setze ich mich für die Verständigung unter den Völkern ein, für Freiheit, Menschenrechte und die Menschenwürde. Das Wort „Ökumene“ meint „den ganzen bewohnten Erdkreis“: alle Menschen. Und darum geht es mir auch als Ehrenamtliche in der Politik: dass wir Gerechtigkeit für alle brauchen, besonders auch soziale Gerechtigkeit und Frieden.

Im Bereich der ökumenischen Arbeitsstelle arbeite ich sehr eng mit den kirchlichen Flüchtlingsbeauftragten zusammen. Auch hier höre ich oft, dass hinter der vermeintlichen Angst vor Überfremdung bei den Menschen eher die Angst steckt, selbst zu kurz zu kommen. Da müssen wir ansetzen. Die Menschen mit ihrer Lebensleistung anzuerkennen, das sehe ich als Grundprogrammatik des BSW.

Das Bündnis Sahra Wagenknecht tritt allerdings für eine sehr restriktive Migrationspolitik ein, manche bezeichnen es deshalb schon als rechtsextrem.
Ja, „populistisch“, „linksautoritär“, „rechtsextrem“, solche Diffamierungen habe ich alle schon gehört. Ich wünsche mir da ein differenziertes Hinsehen und einen fairen Umgang. In der Bibel heißt es “An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen”.  Ich bin bereit, mich an meinen Taten messen zu lassen. Und immer offen für sachliche Gespräche.

Sicher vertritt das BSW bei der Migrationspolitik eine restriktive Linie, aber wenn man mit Landräten, Bürgermeistern und Flüchtlingshelfern spricht, sagen auch sie: Es kann nicht so weiter gehen wie bisher, wir sind überfordert. Kein Mensch darf im Mittelmeer ertrinken! Aber es braucht Lösungen, die für alle tragfähig sind. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschenwürde der Geflüchteten gewahrt wird und zugleich die Menschen vor Ort mit ihren Sorgen und Ängsten ernst genommen werden. Das BSW tritt letztlich ein für eine Welt, in der die Ursachen von Flucht bekämpft sind. Natürlich ist es bis dahin noch ein langer Weg, aber umso wichtiger ist es, dass wir losgehen!

Wie wollen Sie mit AfD-Wählen in Ihrer Umgebung, aber auch mit AfD-Politikern im Kreistag umgehen?
Ich will weiter den Spagat hinkriegen, einerseits klare Kante zu zeigen – eine aktive Zusammenarbeit mit der AfD schließe ich kategorisch aus – andererseits geduldig zuzuhören, auch AfD-Wählern und -Funktionären. Denn Freiheit ist immer auch die Freiheit des Andersdenkenden. Natürlich hat das Grenzen: Da, wo die Menschenwürde verletzt wird, wo jemand anderen den Wert abspricht oder rassistisch argumentiert, ist für mich Schluss. Aber vieles höre ich mir bewusst erstmal an. Das mache ich auch als Ökumene-Pastorin.

Wenn ich zum Beispiel unsere Partnerkirche in Kasachstan besuche, bewege ich mich in einer Kirche, die keine Frauen ordiniert! Das finde ich schwierig, das kann ich nicht gutheißen und sage das auch klar. Aber ich bleibe verbunden mit meinen Gesprächspartnern und frage nach dem Kontext. Aus dem lebensweltlichen Kontext der orthodoxen Kirche heraus ist die Ablehnung der Frauenordination durchaus nachvollziehbar. Das ist etwas, was unsere Gesellschaft neu lernen muss: zuzuhören, verstehen zu wollen, Unterschiede auszuhalten. Ambiguitätstoleranz. Oft wird sofort dichtgemacht, moralisch aufgeladen oder emotional draufgeschlagen, leider auch unter Politikern. Wenn ich mir Fernseh-Debatten anschaue, denke ich, kein Wunder, dass bei uns kaum noch ein sachlicher Dialog möglich ist.

Ich glaube, es ist essentiell, dass wir unsere Debatten wieder versachlichen und dass Menschen sich gegenseitig als gleichwertig anerkennen, auch wenn sie in ihren Positionen voneinander abweichen. Nur wo diese gegenseitige Anerkennung da ist, kann der Dialog gelingen. Ich bin okay, Du bist okay. Das ist für mich auch der Kern des christlichen Glaubens: dass jeder Mensch zu Gottes Ebenbild geschaffen ist und damit eine unantastbare Würde hat.