Margot Käßmann: Waffen zum Schweigen bringen
Die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann erwartet in ihrem Gastkommentar Friedensinitiativen von Deutschland, um die Gewaltspirale in der Ukraine zu durchbrechen.
Die USA liefern Streumunition an die Ukraine. Die Reaktion in Deutschland wirkt wie ein achselzuckendes: „Na und?“ Bundespräsident Frank- Walter Steinmeier kommentiert: „Wir dürfen den USA nicht in den Arm fallen.“ Verteidigungsminister Boris Pistorius erklärt, es stehe ihm nicht zu, das Vorgehen von Ländern zu beurteilen, die die Osloer Streubombenkonvention nicht ratifiziert haben. Der Europaabgeordnete der Grünen, Sergey Lagodinsky, sagt, ein Völkerrechtsbruch sei das schließlich nicht.
Die Konvention aus dem Jahr 2008 ächtet Streubomben. Denn so eine Bombe verstreut im wahrsten Sinne des Wortes nach Abschuss oder Abwurf je nach Größe über 100 kleine Bomben, die noch Jahrzehnte später explodieren können. Kinder halten sie oft für Spielzeug und werden zerfetzt. In vielen Ländern sind die grauenvollen Folgen dokumentiert. Die Osloer Konvention wurde von 110 Staaten unterzeichnet, nicht aber von den USA, Russland und der Ukraine. Daher das Achselzucken: Was geht uns das an?
Wo bleiben Initiativen für den Waffenstillstand?
Ich finde, es geht uns etwas an. Denn inzwischen scheint der Zweck alle Mittel zu heiligen. Rückfragen zu Waffenlieferungen sind nicht mehr erlaubt. Der Kurs muss gehalten werden. Deutsche Panzer, F-16-Kampfflugzeuge, Streubomben – es gibt kein Limit mehr, allenfalls bei Atombomben vielleicht. Der Zweck lautet: Die Ukraine muss um jeden Preis gegen den Aggressor Putin siegen. Der setzt schließlich auch Streubomben ein. Das gleicht der Argumentation von Kindern: Er hat mich gehauen, also haue ich zurück.
Aber Erwachsene wissen eigentlich: Irgendjemand muss die Eskalationsspirale unterbrechen, damit Zusammenleben möglich ist! Und das bedeutet nicht Schwäche oder Kapitulation vor dem vermeintlichen Recht des Stärkeren, sondern Weitsicht und Klugheit. Auf der Homepage der Bundesregierung heißt es, die NATO verstehe sich als „Wertegemeinschaft freier demokratischer Staaten“.
Da dürfen die Mitglieder sich doch auch mal gegenseitig fragen, für welche Werte sie stehen. Warum wird in der NATO nicht auf Augenhöhe diskutiert? Die Ächtung aller Streubomben laut zu fordern, ist eine Frage der Haltung. Nein, das ist kein antiamerikanischer Reflex. Ja, Putin ist der Verbrecher. Er hat diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg begonnen, er könnte ihn sofort beenden. Aber ist denn die einzige Antwort des Westens: so viele Waffen wie möglich? Gibt es überhaupt keine anderen Überlegungen mehr? In der Konsequenz heißt das: So viele Tote wie nötig. Auf ganzer Linie siegen, koste es, was es wolle. Ganz gleich, wie lange der Krieg dauert und wie sehr das Land verwüstet wird.
Ich wünsche mir einen Aufschrei, der erklärt: Die Gewaltspirale muss durchbrochen werden!
Wo bleiben neben all den Militärstrategen die Diplomatiestrategen? Wo sind die großen internationalen Initiativen, die endlich einen Waffenstillstand herbeiverhandeln? Außenministerin Annalena Baerbock spricht von „wertegeleiteter Außenpolitik“. Werden wirklich unsere Werte in der Ukraine mit Streubomben verteidigt? Bitte nicht!
Apropos Werte: Was ist mit der Kriegsdienstverweigerung als Menschenrecht? Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen die Ukraine nicht verlassen. Wer den Kriegsdienst verweigert, erhält Gefängnisstrafen. Und russische Kriegsdienstverweigerer bekommen in Deutschland kein Asyl.
Ich wünsche mir einen Aufschrei, der erklärt: Die Gewaltspirale muss durchbrochen werden! Jesus hat uns dazu ermutigt. Die andere Wange hinhalten, die zweite Meile mitgehen bedeutet nicht, passiv zu sein. Es ist ein enormer Kraftakt, der Frieden möglich machen kann. Und um das klarzustellen: Als Deutsche formuliere ich keine Forderungen an die Ukraine. Aber ich erwarte Friedensinitiativen von meinem Land.
Margot Käßmann ist ehemalige EKD-Ratsvorsitzende, Theologin und Autorin