Käßmann: „Das ‚Manifest für Frieden‘ würde ich wieder unterschreiben“
Die evangelische Theologin Margot Käßmann hat eine militärische Lösung des Ukraine-Krieges erneut infrage gestellt. „Das sinnlose Sterben der Zivilisten und der Soldaten“ müsse so schnell wie möglich enden, sagte die frühere hannoversche Landesbischöfin und ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Konflikt müsse auf dem Verhandlungsweg beigelegt werden, notfalls zum Preis der territorialen Integrität der Ukraine.
„Ich halte es für falsch, Menschenleben für Territorium zu opfern“, betonte Käßmann. Ein Besuch im Knochenhaus von Douaumont in Lothringen habe sie davon einmal mehr überzeugt. In der Grabstätte liegen die Gebeine von 130.000 französischen und deutschen Soldaten, die nach der Schlacht um Verdun nicht identifiziert werden konnten. „Da frage ich mich: War es das wert? Für ein paar Quadratkilometer Land?“ Die Theologin sprach sich für ein „Europa der Regionen“ aus. Darin „würde die nationale Zugehörigkeit einer Region eine viel zu geringe Rolle spielen, als dass dafür Tausende sterben müssten“.
Der russische Präsident Wladimir Putin sei „ein menschenverachtender Aggressor“, das sei keine Frage, sagte Käßmann. „Und doch habe ich große Zweifel, wenn mir gesagt wird, dass meine Freiheit in der Ukraine verteidigt wird.“ Europäischen Werten widerspreche es etwa, dass der ukrainische Staat das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung beschränke. Die Sorge, dass Putin in Nato-Länder einmarschieren könne, teile sie nicht. „Das halte ich für eine Drohkulisse, die uns ‚kriegstüchtig‘ machen soll.“
Vor politischer Vereinnahmung fürchte sie sich nicht, betonte die Theologin. „Ich bin ein unabhängiger Mensch.“ Das im Februar 2023 veröffentlichte „Manifest für Frieden“ von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer würde sie wieder unterschreiben, sagte sie. Man müsse „sehr viel hineininterpretieren“, um aus dem Text herauszulesen, er distanziere sich nicht genug von Russland. Die AfD indes könne kein Teil der Friedensbewegung sein, stellte Käßmann klar. „Die AfD gibt vor, eine Friedenspartei zu sein, aber das nehme ich ihr nicht ab, eben weil sie ständig Unfrieden sät.“
Käßmann begründete ihre pazifistische Haltung mit ihrem christlichen Glauben und verwies auf Jesu Gebot der Feindesliebe im Neuen Testament (Matthäus 5,43-48). Gleichwohl respektiere sie es, wenn sich Christen für Waffenlieferungen aussprechen. Indessen komme es darauf an, Fragen zu Krieg und Aufrüstung als schwerwiegende Gewissensfragen ernstzunehmen. „Mich hat immer irritiert, dass das Gewissen von Kriegsdienstverweigerern geprüft wurde, aber nicht das Gewissen von denen, die Kriegsdienst leisten.“