Identität der EKBO gestärkt

Markus Dröge blickt zurück auf zehn Jahre als Bischof der EKBO. Am 16. Oktober feiert er seinen 65. Geburtstag und am 16. November verlässt er sein Amt. Zwei Anlässe für ein ausführliches Interview. Sibylle Sterzik wollte wissen, mit welchem Gefühl er den Stab an seinen Nachfolger weitergibt. Fällt es ihm schwer sein Amt loszulassen? Als was für ein Bischof möchte er in Erinnerung bleiben? Welche Themen lagen ihm besonders am Herzen? Bischof Markus Dröge zieht Bilanz.

Herr Bischof Dröge, welche Bilanz ziehen Sie persönlich nach zehn Jahren? Was ist gelungen, und was ist offen geblieben?Der Reformprozess, den ich übernommen und weitergeführt habe, war ein Schwerpunkt. Wir haben eine Linie miteinander als Kirche gefunden, was unsere Herausforderungen sind, wie wir sie angehen wollen und welche Kirche wir bleiben wollen, auch wenn wir kleiner werden: eine gesellschaftlich offene Kirche. Ich hoffe, dass das bleiben wird. Der Konsultationsprozess darüber hat die Identität der Kirche gestärkt.

Welche Themen waren es noch?Den Umgang mit der wachsenden Anzahl von Geflüchteten haben wir dankenswerterweise schon seit 2013 in den Blick genommen. 2014 haben wir die Flüchtlingskirche und eine Gesamtkonzeption der Flüchtlingsarbeit der EKBO entwickelt. Und 2015 kamen die vielen Flüchtlinge. Wir waren gut vorbereitet. Die Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus kam und kommt hinzu. Als EKBO haben wir damit sehr früh angefangen, weil wir danach gefragt wurden, wie die Kirche zum Rechtspopulismus steht. Wir haben uns juristisch damit auseinandergesetzt, wie wir damit umgehen würden, wenn Rechtspopulisten, die menschenfeindliche Thesen vertreten, in der Kirche Leitungspositionen übernehmen wollten. Dann war natürlich das Reformationsjubiläum 2017, und in den Jahren zuvor haben wir die Themen der Reformations-Dekade behandelt. Beim Kirchentag in Berlin war die gesamte EKBO Gastgeber. Beim wichtigen Thema Europa haben wir viele Partnerschaften gepflegt und intensiviert, besonders mit England, als der Brexit kam, und mit Polen auf dem Hintergrund der politischen Spannungen. Und als ich gewählt wurde, hatte die Synode gerade ihre Forderung „Einstieg in den Ausstieg“ aus der Braunkohle in der Lausitz beschlossen, das hat uns die ganze Zeit begleitet. Also eine Fülle von spannenden Themen.

Woran hätten Sie gern noch länger gearbeitet?Ich hatte zum Beispiel noch vor, das Konsistorium zu visitieren. Es ist auch in einem Erneuerungsprozess, sich umzubauen in Richtung zu mehr Dienstleistung, mehr betriebswirtschaftlichem Denken. Und ich hätte gern noch mehr Kontakt zu den Gemeinden anderer Kulturen und Sprachen in Berlin bekommen. Das evangelische Christentum in Berlin ist viel bunter als unsere Landeskirche. 2010 habe ich mit dem Berliner Missionswerk die jährlichen Gedenkgottesdienste zu Reminiscere eingeführt, um auf das Leiden bedrängter Christen weltweit hinzuweisen. Das hätte ich gern noch intensiviert.

Als was für ein Bischof möchten Sie in Erinnerung bleiben? Ich hoffe, dass ich das Gefühl, wir sind eine EKBO, stärken konnte. Der Begriff „Gemeinsam EKBO“ ist ja im Reformprozess und in der gemeinsamen Feier des Reformationsjubiläums entstanden. Nach außen bin ich sicherlich ein Bischof gewesen, der viel politisch Stellung genommen hat. Das war gar nicht mein Ziel. Aber ich habe gelernt, dass es die Aufgabe des Berliner Bischofs ist, ein politischer Bischof zu sein. Diese Aufgabe habe ich angenommen und gern ausgefüllt.

Alexander Gauland (AfD) sagte im Sommerinterview der ARD Mitte September, die Kirchen sollen sich nicht in die Politik einmischen. Was würden Sie ihm antworten?Jeder Pfarrer, jede Pfarrerin, alle Ordinierten sind auf die Barmer Theologische Erklärung ordiniert. Sie sind verpflichtet, Gottes Gebot, seine Gerechtigkeit und sein Reich in die Verkündigung aufzunehmen und die Regierenden und die Regierten daran zu erinnern. Wenn Herr Gauland behauptet, wir sollten uns aus der Politik heraushalten, dann verlangt er von uns etwas Bekenntniswidriges. Und er trifft damit eine politische Aussage. Er will nicht die Kirche des Evangeliums Jesu Christi. Er will eine völkische Kirche. Das können wir nicht bieten.

Macht es Ihnen Sorge, dass die AfD stärker wird und eventuell auch die Kirche unterwandert?Ich glaube, dass die geistliche Kraft unserer Kirche stark ist, auch weil wir aus der Zeit des Dritten Reiches gelernt haben. Wir sind hoffentlich nicht mehr anfällig für völkische Ideologien. Da muss die Haltung der Kirche eindeutig sein. Ich bin dankbar, dass unsere Synode das Papier „Haltung zeigen“ verabschiedet hat. Natürlich wird es nicht einfach werden. Ständige Auseinandersetzungen sind nötig. Aber so wie ich die Geschwister in der EKBO kenne, sind sie es ohnehin gewohnt, für ihr Christsein zu kämpfen. Es hat nie eine andere Zeit gegeben, als dass Menschen im Bereich unserer Landeskirche für ihren Glauben dynamisch kämpfen mussten.

Welche Aufgaben sehen Sie für die Kirche auf dem Land? Ich denke, wir haben in Brandenburg die Aufgabe, die Heimat zu bewahren. Die Evangelische Kirche ist seit der Reformationszeit Teil der brandenburgischen Heimat. Wir sind mit dem Netz von Gemeinden und Pfarrstellen, auch wenn die Maschen leider weiter werden, die Institution, die am weitesten verbreitet ist, auch in strukturschwachen Bereichen. Wir können unseren Beitrag zum Gemeinwesen leisten. Ich hoffe, dass wir die soziale Arbeit in den Dörfern ausweiten können, wenn wir noch enger mit dem Land Brandenburg und anderen Institutionen zusammenarbeiten. Das ist eine große Aufgabe für die nächste Zeit.

Wie ist das für Sie, Bischof zu sein und zugleich EKD-Ratsmitglied? Das erweitert den Horizont wie mit einem Weitwinkel. Aber es liegen auch Spannungen darin. In Berlin werde ich oft darauf angesprochen, wie die EKD sich positioniert. Aktuelles Beispiel: Wir haben Anfang September im Rat der EKD entschieden, uns mit anderen für ein Schiff zu engagieren, das Flüchtlinge im Mittelmeer aufnimmt. Dazu bekomme ich Briefe aus Berlin und der ganzen EKBO. Sehr viele positive und vereinzelt auch kritische. Durch die Mitarbeit im Rat kann ich auf die Expertise der EKD zurückgreifen.

Kritiker sagen, Seenotrettung sei keine Aufgabe der Kirche, sondern des Staates. Wie sehen Sie das?Wir schicken das Schiff genau deswegen, um darauf aufmerksam zumachen, dass die europäischen Staaten seit Jahren ihre Aufgabe nicht wahrnehmen. Wir brauchen dringend eine stabile europäische Flüchtlingspolitik. Die Staaten müssen selbst für die Seenotrettung sorgen. Weil dies bisher nicht passiert, setzen wir als Kirche ein Zeichen, indem wir exemplarisch Menschen retten und darauf hinweisen, dass Brot für die Welt und die Diakonie Katastrophenhilfe alles tun, um die Fluchtursachen zu beheben. Die Kritik, es wäre nicht unsere Kompetenz, Schiffe ins Mittelmeer zu schicken, ist richtig. Deswegen werden wir nicht selbst als Reeder auftreten, sondern das Schiff nur zur Verfügung stellen und mit einer Seenotrettungsorganisation zusammenarbeiten. Aber zu sagen, es wäre nicht unsere Aufgabe als Kirche, Menschenleben zu retten, das empfinde ich als zynisch.

Ist die Kirche für die kommenden Jahre gut aufgestellt?Wir haben in letzter Zeit zumindest viel dafür getan. Wir haben uns frühzeitig darüber Gedanken gemacht, welche Gremien wir brauchen und welche Entscheidungen wir treffen müssen, damit keine zu großen Härten entstehen, wenn die Höhe der Einnahmen durch die Kirchensteuer sinkt. Mit einer Strukturkommission haben wir Vorarbeit geleistet. Und wir beginnen jetzt schon zu sparen, damit eine spätere Generation, die weniger Geld haben wird, nicht zusätzlich durch hohe Versorgungslasten für die Pensionen belastet wird. Ich finde, die Arbeit an einem gemeinsamen Kirchenverständnis, das sich in den Zehn Thesen ausdrückt, die wir im Reformprozess verabschiedet haben, ist auch ein wesentlicher Punkt dafür, um als Kirche gut aufgestellt zu sein.

Wird es Arbeitsbereiche geben, die künftig kein Geld bekommen? Entscheidungen sind noch nicht getroffen worden. Wir werden versuchen müssen, Arbeitsbereiche mit anderen Institutionen gemeinsam zu tragen, wenn wir dies allein nicht mehr können. Etwa mit der katholischen Kirche oder nichtkirchlichen Trägern. Wir sollten frühzeitig schauen, auch andere Träger zu finden. Ein gutes Beispiel ist jetzt schon die Krankenhausseelsorge, die von Krankenhausträgern mitfinanziert wird, weil Kliniken erkannt haben, dass eine gute Seelsorge wesentlich zum Heilungserfolg beiträgt und das Profil eines Krankenhauses stärkt.

Was würden Sie Ihrem Nachfolger mitgeben im Blick auf dieses Amt?Von Anfang an erlebte ich, dass hier in der EKBO überproportional viele engagierte Menschen arbeiten, auf die ich mich im Bischofsamt verlassen konnte. Und dass kann Bruder Stäblein in Zukunft auch. Es macht Freude, kein Einzelkämpfer zu sein, sondern eingebunden zu sein in ein großes Team. Ob das die Generalsuperintendentinnen sind, die engagierten Superintendentinnen und Superintendenten, die Kirchenleitung, das Bischofsbüro mit der Pressestelle, das Medienhaus – wir haben wirklich tolle Leute.

Sie haben immer versucht, Konsultationsprozesse in Gang zu bringen in der Landeskirche. Dass ich sehr auf Basiskommunikation geachtet habe, hat zwei Gründe. Erstens weil ich selbst 25 Jahre Basisarbeit gemacht habe und dazu noch im Rheinland, wo Basisorientierung zum Selbstverständnisder Kirche gehört. Und zweitens habe ich eine Ausbildung als systemischer Berater gemacht. Ich weiß, dass Prozesse nicht hierarchisch funktionieren, sondern nur durch Einbeziehung vieler Perspektiven und durch Kommunikation in einem komplexen System.

Macht Glauben glücklich, was glauben Sie?Ja, Glauben macht glücklich. Aber im Sinne der Seligpreisungen, nicht im Sinne eines lockeren einfachen Lebens. Glauben macht glücklich, weil ich weiß, ich tue etwas Sinnvolles. Ich bin von Gott in diese Welt gestellt, um kreativ zu sein, Lösungen zu finden für Probleme. Nächstenliebe zu üben. Und wenn ich diesen Weg gehe, den Weg Jesu, dann empfinde ich ein tiefes inneres Glück, weil ich merke, es ist ein sinnvolles Leben, und ich kann auf der Seite Gottes stehen, wenn ich mich für Frieden einsetze und für Gerechtigkeit. Und ich spüre die Kraft Gottes, wenn ich mit Schwierigkeiten und Problemen zu kämpfen habe. Also ein Glück, das sich zeigt, im Kampf um Frieden und Gerechtigkeit.

Fällt es Ihnen schwer, nach zehn Jahren das Amt loszulassen?Vor zwei Jahren, als es näher rückte, konnte ich es mir noch gar nicht vorstellen. Aber ich hatte ja genug Zeit, mich darauf vorzubereiten. Inzwischen ist es für mich sehr schön, Dinge abschließen zu können, auch die Aussicht, nicht mehr non-stop diesen täglichen Mega-Stress zu haben. Dazu kommt, dass ich noch eine ganze Reihe von Aufgaben vor mir sehe. Ich bin gebeten worden, im Rat der EKD noch diese Wahlperiode weiterzuarbeiten und auch den Aufsichtsratsvorsitz im EWDE, also Diakonie Deutschland, Brot für die Welt und die Diakonie Katastrophenhilfe, weiter zu führen und die Mittelost-Kommission weiter zu leiten. Und ich werde die Arbeit in den Stiftungen des Heiligen Landes mit großen Projekten in Jerusalem in der Erlöserkirche und auf dem Ölberg fortsetzen. Ich bin auch schon gefragt worden, ob ich in der Stiftung Zukunft Berlin mitmachen will. Dieses bürgerschaftliche Engagement finde ich sehr reizvoll.

Haben Sie dennoch manchmal Sorge, dass sich ein Loch auftut?Ich weiß, dass man einen klaren Strich ziehen muss. Als mein Vater als Diplomat pensioniert wurde, zog er sich schlagartig aus den Arbeitszusammenhängen zurück und begann sich ehrenamtlich in der Kirche zu engagieren. Ich finde es wichtig, dass Pensionäre sich nicht aufdrängen, sondern sich dort einsetzen, wo sie gefragt werden.

Wo werden Sie künftig leben? Ich werde in den Prenzlauer Berg ziehen. Da haben wir eine kleine Wohnung gekauft, als man es sich noch leisten konnte. Zugleich werde ich ein zweites Standbein in Koblenz haben, wo meine Frau ihre Praxis noch sechs Jahre weiterführt. In Koblenz leben auch zwei meiner drei Kinder und meine drei Enkel. Bisher ist meine Frau gependelt. Das werde ich jetzt stärker machen.

Worauf haben Sie besonders Lust?Mit meinem alten Freund Gitarre zu spielen. Mit meiner Frau wie früher in einem gemieteten Campingmobil Urlaub zu machen. Und natürlich mehr Zeit für meine Enkel zu haben.