Der Störenfried Gottes

Mit dem Schweizer Pfarrer begann vor 100 Jahren eine neue Epoche der Theologie. 2019 wird mit einem „Karl-Barth-Jahr“ an den evangelischen „Kirchenvater“ des 20. Jahrhunderts erinnert

Er stellte sich gegen Adolf Hitler, protestierte gegen die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik und warnte vor einer geistlosen Konsum-Gesellschaft. Der streitbare Schweizer Karl Barth (1886-1968) war jahrzehntelang die mutigste und prägnanteste Stimme des Protestantismus. Vor 50 Jahren, am 10. Dezember 1968, starb der „Kirchenvater des 20. Jahrhunderts“ im Alter von 82 Jahren in seinem Geburtsort Basel.
Barth – unter anderem Theologieprofessor in Bonn, Göttingen und Münster – polarisierte sein Leben lang, vielen galt er als unbequemer Störenfried. In seinen späten Jahren warf man ihm zu wenig Distanz zum Kommunismus vor. Schweizer Politiker gingen auf Abstand.

Unerschrocken im Konflikt mit den Mächtigen

In vielen Auseinandersetzungen agierte Barth „geradezu draufgängerisch“, schrieb die Theologieprofessorin Christiane Tietz in ihrer in diesem Jahr erschienenen Biografie über den Schweizer Gelehrten: „Wenn er es für nötig hielt – und das war oft der Fall –, legte er sich unerschrocken mit den politisch und kirchlich Mächtigen an.“
Das wohlgeordnete Weltbild von Karl Barth zerbrach zu Beginn des Ersten Weltkriegs. Der Spross einer evangelischen Theologendynastie, geboren am 10. Mai 1886, verzweifelte am Ausbruch des Nationalismus. Vor allem aber wuchs seine Skepsis gegenüber dem damals vorherrschenden Kulturprotestantismus, der die Brücken zwischen Religion und Zeitgeist schlug und zwischen Gott und Mensch vermitteln wollte.
Mit seiner 1919 erschienenen Auslegung des Römerbriefs begann eine neue Epoche. Barth forderte in dieser Frühphase eine Theologie „von oben“, die jede Möglichkeit einer Gottes­erkenntnis von menschlicher Seite her verneint. Gotteserkenntnis kann dem Menschen von Gott geschenkt werden, durch das göttliche Wort und durch die Menschwerdung Jesu Christi. Deutlich wird das in einem Sprachbild aus dem Römerbriefkommentar: „Jesus als der Christus ist die uns unbekannte Ebene, die die uns bekannte senkrecht von oben durchschneidet.“ Dieser Ansatz, der die Berührung von Gott und Mensch nur von Gottes Seite her kennt, wird auch als „Wort Gottes-Theologie“ bezeichnet. Die Bezeichnung „Dialektische Theologie“ stammt nicht von Karl Barth.
Aus heutiger Sicht kaum verständlich, ja geradezu borniert, erscheint Barths Festhalten an einem Absolutheitsanspruch des Glaubens an Jesus Christus. In seiner Kirchlichen Dogmatik, verfasst ab 1932, bezeichnet er vor allem nichtchristliche Religionen wie den Islam als „Unglaube“. Kritiker werfen Barth heute vor, den Anschluss an die Moderne verpasst zu haben.
„Barths schroffes ,Nein‘ gegen jede Art von Religion erscheint heute maßlos“, räumte der einstige Grandseigneur des deutschen Protestantismus, Heinz Zahrnt (1915-2003), ein: „Damals aber bedeutete es das energische Halt gegen alle Versuchungen, neben Jesus Christus auch noch andere Offenbarungsquellen anzuerkennen, als da waren Staat, Volk, Führer, Blut und Boden, Rasse und Nation.“
1934 wird Barth von seiner Bonner Professur suspendiert, weil er sich weigert, den Eid auf Adolf Hitler ohne einschränkenden Zusatz zu leisten. Diese Haltung mündete in die „Theologische Erklärung von Barmen“, als deren geistiger Vater Barth gilt.
Historiker werten die Thesen, die am 31. Mai 1934 in Wuppertal-Barmen verabschiedet wurden, als moralische Legitimation für den Neuaufbau des deutschen Protestantismus nach dem Zweiten Weltkrieg.
In der Barmer Erklärung grenzten sich evangelische Christen von der Ideologie des Nazi-Staates ab. Das zentrale Papier des Kirchenkampfes wurde weltweit auch zum Vorbild für christliche Befreiungsbewegungen in totalitären Staaten. „Der maßgebliche Anteil Karl Barths an der Barmer Theologischen Erklärung ist unbestritten“, bekräftigt der Kirchenhistoriker Thomas Martin Schneider.
In seinem Privatleben war der Gelehrte mit der großen Brille eher unorthodox: Barth heiratete seine frühere Konfirmandin Nelly Hoffmann, mit der er fünf Kinder hatte. Doch seine 13 Jahre jüngere Sekretärin Charlotte von Kirschbaum wurde der vielleicht wichtigste Mensch in seinem Leben. Gegen alle Widerstände und moralische Empörung integrierte er „Lollo“ als Lebensgefährtin in die Familie.
Eine Studie der US-amerikanischen Barth-Forscherin Suzanne Selinger zog Charlotte von Kirschbaum vor einigen Jahren aus dem Schatten des großen Theologen. Selinger beschreibt sie als Denkerin und Feministin, die das Werk Barths wesentlich mitbeeinflusste.

Im Himmel zuerst nach Mozart erkundigen

„Es ist wohl nicht zu viel gesagt: Eine theologische Ära ging zu Ende, als Karl Barth starb“, würdigte ihn der evangelische Theologe Werner Thiede. Wenn er je in den Himmel kommen sollte, soll Barth einmal gesagt haben, werde er sich dort zunächst nach Mozart erkundigen. Der einstige Bundespräsident Johannes Rau gab gerne eine andere Anekdote zum Besten. So soll Barth gefragt worden sein: „Herr Professor, werden wir droben unsere Lieben wiedersehen?“ Seine Antwort: „Ja, aber die anderen auch.“

Reformierte und lutherische Kirchen erinnern 2019 mit einem Karl-Barth-Jahr an den Schweizer evangelischen Theologen.