Bundesverfassungsgericht: Bundesregierung muss Kritik aushalten

Die Bundesregierung muss polemische Kritik aushalten und kann sich nicht auf den im Grundgesetz verankerten Ehrenschutz berufen. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am Dienstag veröffentlichten Beschluss entschieden. Es gab damit dem Journalisten und früheren „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt recht, der der Bundesregierung unterstellt hatte, die Taliban in Afghanistan finanziell zu unterstützen. (AZ: 1 BvR 2290/23)

Reichelt hatte auf dem Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter) geschrieben: „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!)“. Ein Link verwies auf einen Artikel seines Portals „Nius“ mit der Überschrift „Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan“. Die Bundesregierung verklagte daraufhin den Journalisten wegen des Posts auf X auf Unterlassung und sprach von einer falschen Tatsachenbehauptung.

Das rechtspopulistische Medienportal „Nius“ ist seit Juli 2023 online. Es wurde von Reichelt und dem Medienunternehmer Frank Gotthardt gegründet.

Das Kammergericht Berlin gab der Bundesregierung recht. Auch juristische Personen könnten Ehrenschutz für sich reklamieren, wenn ihr Ruf in der Öffentlichkeit in unzulässiger Weise herabgesetzt werde. Hier sei der Eindruck entstanden, die Bundesregierung zahle Entwicklungshilfe an ein Terrorregime, obwohl tatsächlich diese der Versorgung der Bevölkerung diene.

Das Bundesverfassungsgericht entschied aber jetzt, damit sei Reichelt in seinem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt worden. Dem Staat stehe kein „grundrechtlich fundierter Ehrenschutz zu“. Er könne zwar vor verbalen Angriffen geschützt werden, um seine Funktion erfüllen zu können. Dieser Schutz dürfe aber „nicht dazu führen, staatliche Einrichtungen gegen öffentliche Kritik – unter Umständen auch in scharfer Form – abzuschirmen“.

Denn das Recht auf Meinungsfreiheit gehe darauf zurück, auch Machtkritik äußern zu können, führte das Gericht aus. Die Kritik an der Bundesregierung sei auch dann geschützt, wenn sich dabei Tatsachen und Meinungen vermengten. Hier habe die Bundesregierung weder bestritten, Zahlungen „für Afghanistan“ zu leisten, noch dass die Gefahr bestehe, dass das Geld den dortigen Machthabern mittelbar zugutekommen könne. Das Kammergericht habe dies falsch bewertet und den inhaltlichen Bezug zwischen Kurznachricht und dem verlinkten Nachrichtenartikel ausgeblendet. Das Kammergericht muss sich jetzt erneut mit dem Fall befassen.