Zwischen Selbstbestimmung und Lebensrecht des Ungeborenen

Die von der Regierung eingesetzte „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ soll eine Streichung der Abtreibungsregelung aus dem Strafgesetzbuch ausloten. Jetzt nehmen Verbände Stellung.

Die Ampel-Regierung trat auch mit dem Versprechen an, eine Regelung der Abtreibung außerhalb des Strafgesetzbuchs zu prüfen. Das Grundgesetz und das Bundesverfassungsgericht stellen einer Liberalisierung der Regelungen zum Schutz des ungeborenen Lebens hohe Hürden entgegen. Deshalb will die Bundesregierung durch eine Kommission vorab klären lassen, ob – und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen – solche Regelungen möglich sind. Am Donnerstag findet dazu in Berlin eine erste nicht-öffentliche Anhörung von Verbänden und Religionsgemeinschaften statt.

Die Erwartungen an das Gremium sind unterschiedlich. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sieht in Paragraf 218 eine Kriminalisierung der Abtreibung und erhofft sich von der Kommission Vorschläge, „wie die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen in Zukunft gestärkt werden kann“. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wünscht sich bei der Einsetzung der Kommission wiederum Lösungsvorschläge „die gesellschaftlich konsensfähig sind“. Und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) will vor allem verfassungsrechtlich wasserdichte Vorgaben.

In der Kommission sitzen 18 Experten und Expertinnen aus den Bereichen Medizin, Recht und Ethik. Zu ihnen gehören etwa die frühere Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Christiane Woopen, und die Vorsitzende des Deutschen Juristinnenbundes, Maria Wersig. Der Juristinnenbund hatte bereits ein Gutachten erstellt, wie Paragraf 218 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden könnte. Die Sexualwissenschaftlerin Maika Böhm und die Gesundheitswissenschaftlerin und ehemalige Pro-Familia-Vorsitzende Daphne Hahn, die in der Kommission sind, sind an einer vom Gesundheitsministerium geförderten Studie beteiligt, die die Situation und Versorgung ungewollt Schwangerer untersucht.

Nach derzeitiger Gesetzeslage ist ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich rechtswidrig. Er bleibt aber straffrei, wenn er in den ersten zwölf Wochen vorgenommen wird. Zudem muss die schwangere Frau sich zuvor beraten lassen und darf die Abtreibung frühestens drei Tage nach dem Gespräch vornehmen lassen. Ausdrücklich nicht rechtswidrig ist ein Schwangerschaftsabbruch nach einer Vergewaltigung sowie bei Gefahr für das Leben, die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren. Dem heute geltenden „Abtreibungskompromiss“ von 1995 waren jahrelange zermürbende Auseinandersetzungen und schließlich ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorausgegangen.

Darauf verweisen auch manche der 40 eingereichten Stellungnahmen zur Anhörung. Sie stammen von Kirchen, Verbänden, Vereinen oder Interessengruppen aus den Bereichen Medizin, Menschenrechte, Recht, Wohlfahrt und Soziales und spiegeln die gesamte Bandbreite wider.

Nach Überzeugung des Lebensschutz-Vereins „Aktion Lebensrecht für Alle“ (ALfA) etwa würde eine Regelung außerhalb des Strafgesetzbuchs Menschen in Deutschland in zwei Klassen teilen – „eine, deren Tötung unter Strafe verboten ist, und eine, deren Tötung keinen Straftatbestand darstellt“. ALfA sieht darin einen Verstoß gegen die Verfassung und die EU-Grundrechtecharte. Statt einer Rechtsänderung müsse es eine bessere Unterstützung und Beratung ungewollt Schwangerer geben.

Auf der anderen Seite sehen etwa die „Doctors for Choice Germany“ und der Deutsche Juristinnenbund Schwangerschaftsabbrüche als Menschenrecht an. Für sie steht das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren im Mittelpunkt. Dabei verweisen die Juristinnen auch auf entsprechende Tendenzen des Bundesverfassungsgerichts, den Stellenwert der autonomen Lebensführung in den Mittelpunkt zu stellen, etwa bei der Entscheidung zur Suizidhilfe oder zur „Dritten Option“ bei der Geschlechterwahl.

Die Bundesärztekammer (BÄK) beschränkt sich in ihrer Stellungnahme auf medizinisch-wissenschaftliche Fragen. Sie verlangt weiter den Respekt vor der Gewissensfreiheit des Arztes, eine Abtreibung durchzuführen oder nicht. Mit Blick auf die Grundrechte des Ungeborenen sei die ergebnisoffene Beratung beizubehalten. Gleichzeitig sollten Hilfsangebote vor, während und nach der Schwangerschaft und Geburt ausgebaut werden. Grundsätzlich hält die BÄK an der geltenden Regelung fest.

Bei den Stellungnahmen der Religionsgemeinschaften sorgten die Schreiben der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Diakonie für Aufsehen. Im Gegensatz zur bisherigen Linie erwägen sie ein abgestuftes Schutzkonzept und halten unter bestimmten Bedingungen Regelungen außerhalb des Strafgesetzbuches für vertretbar. So betonte der Rat der EKD, so sehr der „Schutzstatus des werdenden Lebens bereits ab dem Zeitpunkt der Empfängnis“ beginne, erscheine es fragwürdig, „ihm zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft mit Mitteln des Strafrechts Geltung zu verschaffen“.

Das Papier spricht von einer „kontinuierlichen Zunahme des Lebensrechts des Ungeborenen und der Schutzpflicht ihm gegenüber“. Denkbar sei etwa, bis zur 22. Schwangerschaftswoche Abtreibungsregeln ohne Verweis auf das Strafrecht zu finden. Die 22. Woche gilt medizinisch als Schwelle für eine Lebensfähigkeit des Kindes bei einer Frühgeburt. Zugleich wandte sich die EKD aber gegen eine vollständige „Entkriminalisierung“ des Schwangerschaftsabbruchs.

Die katholischen Bischöfe halten dagegen eine Regelung außerhalb des Strafrechts für nicht vertretbar. Ihre Stellungnahme betont, „dass das ungeborene Leben wie das geborene Leben zu schützen ist“. Andernfalls bestehe die Gefahr, die Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens auch in anderen Lebenssituationen abzustufen und aufzuweichen. Für sie ist zudem nicht ersichtlich, dass sich die Situation von schwangeren Frauen in Konfliktsituationen durch eine Streichung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch verbessern könnte. Hierfür brauche es „andere Anstrengungen der Gesellschaft und des Sozialstaats“. Auch halten die Bischöfe an der Beratungspflicht für die Schwangeren fest. Diese eröffneten einen Schutzraum vor äußerem Druck, verwiesen auf Hilfsangebote und unterstützten eine eigenverantwortliche Entscheidung.

Vor der Kommission werden alle eingeladenen Gruppen am Donnerstag Rede und Antwort stehen. Das Gremium selbst will dann im kommenden Frühjahr Empfehlungen vorlegen.