Welt aus den Fugen: Aufbruch und Bedrohung im 16. Jahrhundert

Im 16. Jahrhundert geriet die Welt aus den Fugen. Die Europäer eroberten neues Land, während sie von den Osmanen bedroht wurden. Die Christenheit spaltete sich. Und, wie heute, sorgte eine Medienrevolution für Aufregung.

Was – außer der Reformation – ist im 16. Jahrhundert schon passiert? Meist widmen Historiker dieser Zeit keine gesonderte Aufmerksamkeit: Das 16. Jahrhundert wird als Teil der „Frühen Neuzeit“ interpretiert, die bis zum 18. Jahrhundert reicht. Und keiner eigenen Betrachtung für würdig befunden.

Die Dresdner Professorin für Mittelalterliche und Frühneuzeitliche deutsche Literatur und Kultur, Marina Münkler, findet das sehr verwunderlich. „Denn in kaum einer anderen Zeit bis in die Moderne hinein hat sich die Welt so fundamental verändert“, schreibt sie in dem jetzt erschienenen Buch „Anbruch der Neuen Zeit. Das dramatische 16. Jahrhundert“.

Münkler liefert einen grandiosen Überblick. Sie befasst sich insbesondere mit internationalen Konstellationen: dem Ausgreifen der Europäer nach Westen und nach Indien, der Begründung des Völkerrechts im Streit um die spanische Eroberungspolitik in Amerika, der Expansion des Osmanischen Reichs und Ausbildung eines europäischen Feindbilds.

Als Christoph Kolumbus 1492 einen bis dahin unbekannten Erdteil entdeckte und die Portugiesen immer weiter in den Indischen Ozean vordrangen, schickte sich Europa an, weite Teile der Welt zu beherrschen. Entdecker und Eroberer: Erst jetzt begannen die Europäer, ein europäisches Bewusstsein zu entwickeln. Das Christentum wurde zu einer globalen Religion. Eine Weltwirtschaft entstand, für die die indigenen Bevölkerungen in Amerika und Afrika den höchsten Preis zahlen mussten.

Doch der Kontinent erlebte im 16. Jahrhundert nicht nur Aufbrüche: Die nach Europa expandierenden Osmanen – 1529 standen die Türken vor den Toren Wiens – lösten eine riesige Angst vor der „Türkengefahr“ aus. Die Bedrohung aus dem Osten führte zu gravierenden Änderungen etwa bei Militär, in Kunst und Religion. Und zugleich zerbrach die Einheit der westlichen Kirche nach Luthers Thesenanschlag 1517. Die Reformation schuf neue Machtkonstellationen in Europa und veränderte das Verhältnis jedes Einzelnen nicht nur zur Kirche, sondern auch zu Glaube und Schicksal vollkommen.

Mancher Leser dürfte sich bei Münklers Beschreibung auf heutige Zeiten verwiesen fühlen: Über den Haufen geworfene Weltbilder, dramatische, die Identität erschütternde Konflikte und eine durch den Buchdruck ausgelöste Medienrevolution, die zu öffentlich ausgetragenen Polemiken, Hass-Propaganda und Meinungskämpfen führte und Ängste schürte.

Münkler beschreibt das 16. Jahrhundert als janus-köpfig: Auf der einen Seite als eine Zeit der Hexenverbrennungen, der Irrationalität und der Abwertung und Schmähung von Fremden und Andersgläubigen zu „Wilden“ oder „Kannibalen“. Auf der anderen Seite eine Blütezeit des Wissens: Wörterbücher und Statistik gewannen an Bedeutung. Die Wiederentdeckung antiker Schriften führte zur Entdeckung des Individuums in der Bildungsbewegung des Humanismus. Den europäischen Seefahrern und Kartographen gelang es, so gut wie jede Küste zu vermessen. Mit Hilfe der Sternenbeobachtung wurde die Navigation so ausgeklügelt, dass sich europäische Schiffe fast überall auf der Welt relativ präzise verorten konnten. Das kirchlich verbreitete Bild der Welt war angesichts des neuen Wissens nicht mehr zu halten: 1543 widerlegte Kopernikus die Lehre, nach der die Erde im Mittelpunkt des Universums stehe.

Münkler ermuntert dazu, das 16. Jahrhundert nicht nur aus einem europäischen Blickwinkel zu betrachten, sondern auch eine globale Perspektive einzunehmen. Dabei zeigt sich, dass dieses Jahrhundert eine Zeit der Kriege der europäischen Mächte war, die zunehmend auf dem Weltmeeren – also im Atlantik und im Indischen Ozean – und in nicht-europäischen Ländern ausgetragen wurden.

Dem spanisch-habsburgischen Großreich, das den Untergang der Reiche der Inka und Azteken in Amerika herbeiführte, standen auch drei islamische Imperien gegenüber: die Osmanen, deren Reich sich wie das spanisch-habsburgische ebenfalls über drei Kontinente erstreckte, die Safawiden in Persien und die Moguln in Indien. Auch die Ming-Dynastie in China begriff sich als Weltreich.