Welche Rolle spielt Kirche bei Demos gegen Rechtsextremismus?

Hunderttausende Menschen gehen derzeit gegen Rechtspopulismus auf die Straße. Auch Kirchen rufen dazu auf. Zum Beispiel in Lübeck am Wochenende. Doch wie politisch sollte Kirche sein?

Bei der Demo in Hamburg vergangenes Wochenende hatte die amtierende EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs gesprochen
Bei der Demo in Hamburg vergangenes Wochenende hatte die amtierende EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs gesprochenepd-bild/ Stephan Wallocha

100.000 in Hamburg, 250.000 in Berlin, mehr als 300.000 in München – Hunderttausende Menschen gehen seit Tagen in ganz Deutschland auf die Straßen, um ein Zeichen gegen Rechtsextremismus zu setzen. „Diese Demonstrationen bedeuten, Einspruch zu erheben. Einspruch zu einem Moment, zu rechten Gedanken, die salonfähig werden“, sagt Elisabeth Hartmann-Runge. Sie ist die Flüchtlingsbeauftragte im Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg.

Als Teil des Bündnisses „Lübeck gegen Rechts – wir können sie stoppen“ ruft sie zusammen mit 16 weiteren Organisationen am Samstag, 27. Januar, in Lübeck zur Demonstration auf. Der Termin steht schon seit Monaten fest. Denn im Januar jährt sich der Brandanschlag auf das Asylbewerberheim in der Lübecker Hafenstraße zum 28. Mal. Am 18. Januar 1996 starben dabei zehn Menschen. Darunter sieben Kinder.

Brandanschlag in der Hafenstraße verändert Lübeck

Der Brand stand in einer ganzen Reihe von aufgeklärten und unaufgeklärten Anschlägen und Verbrechen, die Mitte der 1990er-Jahre in Lübeck stattfanden und einen rechtsextremen Hintergrund hatten oder vermuten lassen. Auch Kirchen wurden damals beschmiert. Der Brandanschlag in der Hafenstraße verändert die politische Kultur in der Hansestadt. Immer mehr Lübecker engagieren sich seitdem ehrenamtlich für Geflüchtete. Auch die Kirche.

Joachim Nolte, ehrenamtlichen Kirchenkreisbeauftragten „Kirche und Rechtsextremismus“ und Elisabeth Hartmann-Runge, Flüchtlingsbeauftragte im Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg
Joachim Nolte, ehrenamtlichen Kirchenkreisbeauftragten „Kirche und Rechtsextremismus“ und Elisabeth Hartmann-Runge, Flüchtlingsbeauftragte im Kirchenkreis Lübeck-Lauenburgprivat

Heute ist der Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg der einzige Kirchenkreis mit einem ehrenamtlichen Kirchenkreisbeauftragten „Kirche und Rechtsextremismus“: Joachim Nolte. „Der gesellschaftliche Resonanzraum für Rechtsextremismus und Rechtspopulismus ist heute in Lübeck größer als noch Anfang der 2000er-Jahre“, sagt er. Als Bindeglied dient er seit Jahren zwischen Autonomen, Polizei, Kirche, Gewerkschaften und anderen.

„Wir brauchen eine Vermittlung zwischen den gesellschaftlichen Gruppen“

Doch welche Rolle spielt Kirche heute beim Widerstand gegen Rechtsextremismus? „Wir brauchen eine Vermittlung zwischen den gesellschaftlichen Gruppen, die das schon immer auf dem Zettel hatten, und dem Rest der Gesellschaft“, sagt Nolte. Dort sieht er die Aufgabe der Kirche. Es brauche eine Übersetzungsarbeit zwischen den Milieus, um sich gemeinsam gegen Rechtspopulismus zu stellen. Daneben brauche es Begegnungsräume, sagt Elisabeth Hartmann-Runge. In Gesprächskreisen, im Gemeindeleben insgesamt. „Begegnungsräume werden immer weniger.“

Dass sich Kirche gegen Rechtsextremismus stellt, sei auf Kirchenleitungsebene klar, sagt Nolte. Doch kann Kirche auch zu politisch werden? „Wenn man anfängt, über Gerechtigkeit nachzudenken, wird man politisch“, zitiert Hartmann-Runge Altbischof Gerhard Ulrich. Denn: „Die Toleranz hört da auf, wo sie bekenntniswidrig wird und da, wo sie selbst angegriffen wird“, fügt Nolte hinzu. Das Bekenntnis zum Christsein gelte es sich bewusst zu machen, zu besprechen und immer wieder auszubuchstabieren.

Die Lübecker Demo beginnt um 13 Uhr am Lindenplatz