Was die Jahreslosung 2024 für Bischof Stäblein bedeutet

Krisen und Kriege erschüttern unsere Welt. Bei Debatten, auch in der Kirche, sind die Zündschnüre für Empörungen kürzer geworden. In der Jahreslosung dagegen steht die Liebe ganz zentral für das neue Jahr.

rote Papierherzen als Muster
rote Papierherzen als Musterpixabay

Die ersten Tage eines neuen Jahres sind oft ein Übergang. Man schreibt noch versehentlich die falsche ­Jahreszahl ans Datum. Wo wir gerne schnell loslassen wollen, ist es nicht unbedingt einfacher, gerade wenn es so ein Jahr war wie das letzte. ­Krisenreich, voller schrecklicher Kriege im Osten Europas und in Nahost.

Da bleibt die Jahreslosung des vorigen Jahres umso mehr im Ohr: „Du bist ein Gott, der mich sieht“ (1. Mose 16,13). Dieser Satz aus dem ersten Buch der Bibel hat gutgetan, gerade in schwierigen Zeiten. Gott sieht dann eben nicht weg. Ein Gott, der mit aushält in den Härten, die Menschen sich antun. Du bist ein Gott, der mich sieht, ruft die fliehende Hagar in der Wüste. Migration. Man muss kein großer Prophet sein, um zu ahnen, dass das auch 2024 eine fundamentale Aufgabe für eine Welt im Umbruch sein wird. Sieh, Gott, und stärke uns, dass wir nicht weg­sehen. Um deiner Liebe willen.

„Alles, was ihr tut, geschehe in ­Liebe“

Die Liebe steht zentral in der ­Jahreslosung für das neue Jahr: „Alles, was ihr tut, geschehe in ­Liebe.“ Im Schlusskapitel im 1. Korintherbrief „versteckt“ sich dieser Satz, der nun für ein Jahr prominent nach vorne rückt. Die Schlussabschnitte von Briefen haben ja schnell etwas Formelhaftes. Grüßt schön. Wir freuen uns aufs Wiedersehen. Und passt auf euch auf.

Bischof Christian Stäblein
Bischof Christian StäbleinMathias Kauffmann / EKBO

Darauf könnte man auch die Jahreslosung reduzieren und also unter floskelhaft abhaken. Das wäre allerdings töricht, denn die Tiefe gewinnen derart geprägte Schlüsse durch die Beziehung, aus der sie kommen und die sie zugleich stärken.

Paulus hat mit „seiner“ Gemeinde in Korinth in den 15 Kapiteln des Briefes vorher vieles durchgesprochen: von hoher Theologie – die ­Bedeutung des Kreuzes – über konfliktbeladene Fragen – das gemeinsame Mahl – bis zu Auseinander­setzungen um die richtige Leitung in der Gemeinde. Es hat sozusagen gekracht zwischen dem Apostel und den Menschen in Korinth. Da ­gewinnt der Satz „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“ durchaus tiefere Bedeutung. Denn nur, wo das gilt, kann man auch richtig gut streiten. Oder umgekehrt: Wer richtig ­streitet, sollte das in Liebe – also Achtung, Wertschätzung – tun.

Was wir von Paulus lernen können

Es fällt uns ja trotz anders lautender Beteuerungen nicht mehr so leicht, ehrlich andere Meinungen –und das auch noch in der Kirche oder über die Kirche – auszuhalten. Die Empörungsbereitschaft ist schnell hoch, die Zündschnüre für Sätze wie „das ist nicht mehr meine Kirche“ sind kürzer geworden, die Blasen der Kommunikation, in denen ich nur noch höre, was ich hören will, sind oft längst geschlossen.

2024 können wir von Paulus lernen, was zum guten Debattieren und Auseinandersetzen dazugehört: es in Liebe geschehen lassen, also anerkennen, dass der andere auch ein Mensch, ein Kind Gottes ist. Und dass durch ihn Wahrheit in mein Leben kommt. Kirchen und Gemeindehäuser könnten, so ge­sehen, Demokratieschulen sein. Für die Demokratie eintreten, leidenschaftlich und, ja, auch liebevoll, das ­jedenfalls werden wir in diesem neuen Jahr, das ein Wahljahr wird, dringend brauchen. Wo alles in ­Liebe geschieht, zählt jeder und ­jede, das ist die Basis eines solchen Satzes und unseres demokratischen Miteinanders. Weil jeder und jede vor Gott zählt.

Ein Emoji für die Jahreslosung

In der Ursprache klingt ein bib­lischer Vers oft noch radikaler als in seiner deutschen Übersetzung. ­Unsere Jahreslosung heißt ganz wörtlich übersetzt: Alles bei euch geschehe in Liebe. Also nicht nur das Tun, auch das Hören, auch das Dasein, ich denke: auch etwa das Besuchen bei jemandem, der einsam ist. Einfach da sein. Wir wissen, dass in unserer von Kommunikationsmedien oft überfluteten und deshalb schnell überreizten Gesellschaft Einsamkeit zunimmt. Gerade wo ­alle immerzu im Gespräch scheinen, kann ich mich ziemlich einsam fühlen.

 

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Einfach Zeit haben ist ein Merkmal von Sorgen für die Seele. Zeit mit anderen, mit uns teilen, ist eine Gabe jenes Gottes, der sieht. Dich und mich. Dieses Sehen geschehen lassen in Liebe, das ist ein Moment, in dem, man könnte sagen, Gott passiert. Dass Ihnen das hier und da 2024 widerfährt, wünsche ich Ihnen. Kann man nicht „machen“, also kann man nicht garantiert einfach mal herstellen. Passiert einfach, gewiss. Es ist ein Gott, der uns sieht. Diese Losung gilt ja weiter – und zwar in Liebe, in seiner Liebe.

PS: Für diese Jahreslosung gibt es übrigens ein in der Tat sehr passendes Emoji, das man an den Schluss von Kurznachrichten setzen kann. Schon entdeckt? Die sogenannten sozialen Medien könnten deutlich mehr von der Jahreslosung gebrauchen.

Christian Stäblein ist Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.