Gedanken zur Jahreslosung: 366 Tage, um zu lieben

„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ So lautet die Jahreslosung 2024. Darüber macht sich Ulf Schlüter, Theologischer Vizepräsident der Evangelischen Kirche von Westfalen, Gedanken.

Das Jahr über alle seine Taten in Liebe geschehen lassen - erst mal ein schöner Vorsatz
Das Jahr über alle seine Taten in Liebe geschehen lassen - erst mal ein schöner Vorsatzmelita

Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe. (Die Bibel, 1. Korintherbrief Kapitel 16, Vers 14)

Wie viele Paare haben sich diesen Satz schon als Trauspruch ausgesucht? Wer vor dem Traualtar steht, weiß, wie leicht es ist zu lieben, wie beflügelnd, wie schön. Das Leben, ja man selbst wird ganz leicht, wenn man liebt. Das fängt schon damit an, dass die Liebe einem in der Regel zufällt. Niemand kann sie sich verdienen. Und man muss es auch gar nicht. Wie wunderbar.

Die Liebe macht das Schwere leicht. Was dir sonst zu viel wird: Mit dem geliebten Menschen lässt es sich schaffen. Was nervig und lästig ist: Für den geliebten Menschen packst du’s an ohne Wimpernzucken. Was du bei anderen unschön findest: Beim geliebten Menschen bist du blind dafür.

Ulf Schlüter ist Theologischer Vizepräsident  der westfälischen Kirche
Ulf Schlüter ist Theologischer Vizepräsident der westfälischen Kircheepd-bild / Detlef Heese

Zum Glück beginnen die meisten großen Lieben mit dieser zauberhaften, manchmal rauschhaften Erfahrung. Die Liebe lässt uns schweben, sie ist und macht uns leicht.

In Korinth war Liebe nötig

Es ist gut, das zu erinnern, bevor man – abwinkt: Alles in Liebe? Unmöglich. Geht doch gar nicht! Denn auch das ist wahr: Die Liebe ist schwer. Durch wie viele Dramen lernen die Verliebten das in ihrem späteren Leben. Liebe will gelernt, geübt, manches Mal auch erduldet und durchlitten werden, ja: Sie kann scheitern. Sie ist nicht selbstverständlich, weder für Liebespaare noch überhaupt.

Paulus schreibt seine Mahnung nicht als Trauvers. Er schreibt an die Gemeinde in Korinth – ein bunter Haufen unterschiedlichster Leute. Aber: Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.

An Konflikten hatte es keinen Mangel in Korinth, leicht war da nichts. Warum sonst würde Paulus immer wieder einschärfen: Vergesst die Liebe nicht. Sie ist das Größte. Warum sonst würde er es den Adressaten hinter die Ohren und ins Herz schreiben: Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe. Nicht ein bisschen hier und ein bisschen da. Alles! Alles in Liebe!

Paulus: Ohne Liebe ist alles nichts

Paulus widmet der Liebe ein großes Kapitel. In ihm schreibt er ausführlich, was „alles“ ist. Es ist eine Liebeserklärung an die Liebe, und sie beginnt so: „Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete – und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle“.

Nüchtern ausgedrückt: Wenn ihr lieblos redet, redet ihr Blech, da kann es noch so gescheit und geschliffen sein. Und eindringlich schreibt er weiter: Prophetie und Zukunftsprognosen, Erkenntnis und Wissenschaft, Religion und Glaube – ohne Liebe sind sie nichts. Selbst wenn ein Mensch sein ganzes Vermögen den Armen gibt, sogar wenn er sein Leben aufs Spiel setzt für eine Sache – geschieht es ohne Liebe, dann nützt es nichts. Ohne Liebe ist alles nichts. Schlimmer noch: Was nicht in Liebe geschieht, gefährdet das Leben.

Alle Menschen sind Gottes geliebte Geschöpfe

Stimmt. Stimmt auch hundertprozentig für 2024! Wir müssen über vieles reden, in Politik und Gesellschaft und auch in unseren Familien. Ohne Liebe aber ist es Blech. Wir müssen überlegen, was wichtig für die Zukunft ist. Ohne Liebe aber werden wir verbissen. Wir müssen auf die Wissenschaft hören. Ohne Liebe aber werden wir rechthaberisch. Wir müssen stark im Glauben sein. Ohne Liebe aber werden wir fanatisch. Wir müssen großzügig spenden. Ohne Liebe aber ist das prätentiös.

Und es ist fast überirdisch, sein Leben freiwillig zu opfern. Ohne Liebe aber kann es zum unterirdischen Terror werden. Die Aufforderung ist also nicht von gestern. Überhaupt nicht. Sie ist für jetzt. Sie ist für morgen. Und für das kommende Jahr: Alles, was ihr tut, es geschehe in Liebe.

Um einem Missverständnis vorzubeugen: Dies ist nicht der Befehl, gute Gefühle für böse Menschen zu hegen. Die Zimtzicke darf eine Zimtzicke bleiben und der Armleuchter ein Armleuchter – aber eben nicht nur. Sie sind auch Menschen wie ich, Gottes geliebte Geschöpfe.

Lieben besteht aus vielen Verben

Das anzuerkennen, damit fängt die Liebe an. Liebe fließt aus dem Glauben: Gott hat uns zuerst geliebt. Überhaupt ist Liebe kein Substantiv. Liebe sind unendlich viele Verben; sie ist mehr tun als fühlen.

Beispiele: nachsichtig sein – sich das Widerwort verkneifen – mal unvernünftig sein – Platz freimachen – ehrlich die Meinung sagen – eine Geschichte nochmal anhören und nochmal – sich mitfreuen – statt Fehler Stärken suchen – zuhören statt selbst reden – gönnen können – erst nachfragen, dann kritisieren – streiten – sich vertragen – über sich selbst lachen.

Was noch? Sie haben 366 Tage (Schaltjahr!), um noch viele Antworten darauf zu finden. Wenn Sie jeden Tag eine finden, dann wird es ein gesegnetes Jahr.

Unser Autor
Ulf Schlüter (62) ist Theologischer Vizepräsident der Evangelischen Kirche von Westfalen.