Junge Erwachsene müssen sich künftig wieder mit Wehr-, Zivildienst und Musterung auseinandersetzen. Die genauen Regelungen für Freiwilligendienste sind noch unklar. Einige Grundzüge zeichnen sich bereits ab.
Nach der Schule in die Ausbildung oder zum Studium. Vorher vielleicht noch ein bisschen “Work and Travel” in Neuseeland? Vielleicht ein Freiwilligendienst bei der Caritas oder doch ein paar Monate Mitarbeit in einem Weltwärts-Entwicklungsprojekt in Indien? Bislang hatte die junge Generation nach dem Ende ihrer Schulausbildung große Freiräume, völlig eigenbestimmt die nächsten Schritte zu gehen. Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine, globaler Aufrüstung und von der Bundesregierung ausgerufener Zeitenwende verändert sich dies nun.
Erstmals nach dem Aussetzen der Wehrpflicht 2011 schickt sich der Staat an, über die Lebenswege von 17- und 18-Jährigen ein Wort mitzureden. Die jungen Erwachsenen hören vergessen geglaubte Begriffe wie Wehrpflicht oder Musterung. “Kann ich nach dem Abi noch mein ökologisches Jahr an der Nordsee machen? Oder ein Bonifatiuswerk-Praktikum im Norden in Oslo?”, fragen zwei junge Erwachsene in Freiburg beispielhaft für ihre Generation.
Was also gilt im nächsten Jahr? Und was ab Mitte 2027, wenn tatsächlich die verpflichtende Musterung für alle Männer ab Jahrgang 2008 beginnt? Eine Recherche bei Anbietern von Freiwilligendiensten, beim Verteidigungsministerium und beim Bundesbildungsministerium ergibt erste, vorläufige Erkenntnisse. Denn alle Akteure betonen, dass die genauen Details und Ausführungsbestimmungen zum geplanten neuen Wehrdienst und damit verknüpft zum Zivildienst noch in der letzten Abstimmung sein.
Es sei noch nicht “abschließend entschieden”, welche Freiwilligendienste im Sinne von Artikel 12a des Grundgesetzes, in dem das Recht auf Kriegsdienstverweigerung verankert ist, anerkannt werden, sagt eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums auf Anfrage der KNA. Aber noch vor Weihnachten, voraussichtlich in der kommenden Woche, will der Bundestag, so hat es die Regierungskoalition aus CDU und SPD angekündigt, als ersten Schritt das “Wehrdienstmodernierungs-Gesetz” beschließen.
Die Grundzüge scheinen klar: Zunächst erhalten alle jungen Erwachsenen ab Jahrgang 2018 per Post Infos über den freiwilligen Wehrdienst. Im Fragebogen will der Staat laut Auskunft des Bundesbildungsministeriums auch über Freiwilligendienste informieren. Beispielsweise über das Portal .
Wenn es beim freiwilligen Wehrdienst bleibt, dürfte sich auch für die Freiwilligendienste nicht viel ändern. Alles ist dann weiterhin möglich – vom Engagement im Kindergarten oder Altenheim in der Heimatstadt, über das Ökologische Jahr im Wattenmeer bis zu den Weltwärts-Angeboten rund um den Globus.
Dennoch trifft das neue Gesetz schon Vorkehrungen dafür, was passiert, wenn die Bundeswehr 2026 oder in den folgenden Jahren nicht genügend freiwillige Interessenten für den Grundwehrdienst und als Zeit-Soldaten und -Soldatinnen gewinnt. Dabei sind die Wachstumsziele der Truppe moderat: Zuletzt entschieden sich jährlich rund 15.000 Männer und Frauen für einen freiwilligen Bundeswehrdienst. Bei einer Gesamtjahrgangszahl von etwa 760.000. Laut Verteidigungsministerium sollen es 2026 etwa 20.000, im Jahr 2030 etwa 40.000 Freiwillige sein.
Gelingt dies nicht, kann die Wehrpflicht aktiviert werden – bislang nur für Männer. Und das hätte zur Folge, dass der Zivildienst wieder aufersteht: Gemusterte und dienstpflichtige junge Erwachsene könnten dabei dann das in der Verfassung garantierte Kriegsdienstverweigerungsrecht in Anspruch nehmen und statt zur Bundeswehr in den Zivildienst gehen. Mit welchen Strukturen und wie genau finanziert, ist derzeit unklar, wie das Bundesbildungsministerium betont.
Ein von der Politik gewollter Unterschied aber ist schon klar: Während Wehrdienstler monatlich 2.600 Euro erhalten sollen, gibt es für Freiwilligendienstler bislang nur ein Taschengeld von durchschnittlich etwa 500 Euro. Geplant ist allerdings, auch den Zivildienst – und auch die Freiwilligendienste – künftig finanziell besser zu stellen: von 50 Millionen Euro zusätzlich im kommenden Jahr ist hier die Rede.
Der Gesetzesentwurf berücksichtigt die in den vergangenen Jahren entstandenen vielfältigen Strukturen der Freiwilligendienste. In Paragraf 14 sieht der Gesetzestext vor, dass anerkannte Kriegsdienstverweigerer statt eines Zivildienstes auch einen Freiwilligendienst nach bisherigen Kriterien absolvieren können. Bedingung dafür ist, dass dieser Freiwilligendienst mindestens zwei Monate länger als der Wehrdienst dauern muss. Also wohl mindestens acht statt der angestrebten sechs Monate Wehrpflicht.
Und so geht die katholische Entwicklungsorganisation Misereor davon aus, dass auch die von ihnen angebotenen Freiwilligendienste im Zuge des Weltwärtsprogramms im Ausland weiter möglich sein werden. Der Deutsche Caritasverband fordert, den zweimonatigen Zuschlag bei den Freiwilligendiensten zu streichen.
Somit zeichnet sich bei allen Vorläufigkeiten bereits ab: Es wird auch künftig viele Chancen, Möglichkeiten und Wege geben, für junge Erwachsene, die sich statt Bundeswehr für einen Zivil- oder Freiwilligen-Dienst entscheiden.