Warum es sich lohnt, mit Andersdenkenden zu reden

Wie miteinander reden, wenn die Meinungen unüberbrückbar scheinen? Workshops im Kirchenkreis Schleswig-Flensburg sind gefragt wie nie.

Manche tragen ihre Meinung wie ein Schild vor sich her. Wer es anders sieht, sollte Fragen stellen.
Manche tragen ihre Meinung wie ein Schild vor sich her. Wer es anders sieht, sollte Fragen stellen.www.freepik.com

Die Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen, das Klima, Antisemitismus, vegane Ernährung, Gendern – die Liste der Themen, in denen Meinungen aufeinanderprallen, ist lang. „Warum lohnt es sich, mit Andersdenkenden zu reden?“ ist daher auch der Titel eines inzwischen schon zum dritten Mal stattfindenden Workshops im Kirchenkreis Schleswig-Flensburg.

Und die Nachfrage ist jedesmal groß, der Workshop ausgebucht. „Uns geht es darum, wie Menschen gut zusammenleben können“, sagt Mareike Brombacher. Sie ist Referentin für Erwachsenenbildung. Zusammen mit Johanna Bühr von der Stadt Flensburg hat sie die Workshops organisiert. Und weil die Nachfrage so groß ist, soll es auch im neuen Jahr einen geben.

Andersdenkende? Da kommen einem gleich Querdenker der Corona-Pandemie in den Sinn. Aber um sie geht es nicht. Oder zumindest nicht nur. Da sind Menschen, die auf einer Demo gegen die Corona Maßnahmen waren und sich plötzlich Anfeindungen gegenübersahen, sie seien rechtsradikal. Aber auch andere Bereiche.

Die Nachwehen der Corona-Pandemie

Dass apodiktische Wahrheiten aufeinanderprallen, habe in den letzten Jahren zugenommen, bemerkt auch Jörg Pegelow. Er leitet die Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen der Nordkirche. „Ich habe den Eindruck, dass durch die Krisen, die scheinbar alle gleichzeitig gelöst werden müssen, Menschen die unhinterfragbare Richtigkeit für ihre Meinung beanspruchen, um sich innerlich stabil zu halten“, sagt er. Während es in der Zeit der Corona-Pandemie noch die Ablehnung der damaligen Maßnahmen war, ist es heute die Kritik an der Einordnung der Kriege in der Ukraine oder im Gazastreifen. „Größere Teile der Querdenker sind in diesen Kreisen geblieben.“

Die Nachwehen der Pandemie quasi. Schwierig werde es dann, wenn rechtsextreme Kreise diese Themen aufgriffen. „Das lässt sich überall beobachten und macht mir mit Blick auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt Sorgen“, so Pegelow. „Ich vermute, wenn wir wieder in eine ähnlich krisenhafte Situation kommen würden wie während der Corona-Pandemie, hätten wir schnell wieder diese sich verhärtenden Meinungsfronten.“

Mareike Brombacher und Johanna Bühr wollen genau dem entgegenwirken. „Wer kann schon von sich behaupten, die Wahrheit zu kennen?“, fragt Brombacher. Eine Begegnung auf Augenhöhe ist da für alle Beteiligten hilfreich. „Es geht um eine neugierige Grundhaltung und auf die Reaktion, wenn mein Gegenüber eine andere Meinung vertritt.“ Und das Bewusstsein, dass auch die eigene Meinung nicht die einzig wahre sein muss. „Dann frage ich zum Beispiel einen Flatearther, wie er denn darauf kommt, dass die Erde eine Scheibe ist, und ob sich das erklären lässt.“ Denn: „Sobald ich das Gefühl habe, mein Gegenüber hört mir zu, muss ich gar nicht mehr so vehement meine Meinung vertreten. Das entspannt die gesamte Gesprächssituation.“

Eine Menschengruppe steht in einem Raum, an dessen Wand eine Präsentation prejeziert wird.

Weitere Workshops geplant

Der philosophische Blick auf den Umgang mit Andersdenkern wurde von den Dozenten Sanja Dembic und Björn Brodowski vom Berliner Forum für Streitkultur geleitet. Einen weiteren Workshop wird es in der ersten Jahreshälfte 2024 geben. Das diakonische Werk Schleswig-Holstein förderte die bisherigen Workshops. „Nur so war es möglich, die Veranstaltungen kostenlos anzubieten“, so Brombacher.

Leiteten die Workshops: Sanja Dembic und Björn Brodowski vom Berliner Forum für Streitkultur.
Leiteten die Workshops: Sanja Dembic und Björn Brodowski vom Berliner Forum für Streitkultur.

Und wie damit umgehen, wenn über die Feiertage ein Familienmitglied die Wahrheit für sich beansprucht? Das hinge davon ab, wie wichtig einem der Weihnachtsfrieden ist, sagt Pegelow und lacht. „Wichtig ist, um mit jemandem gut im Gespräch zu bleiben, sich nicht auf den Olymp der Richtigkeit zu setzen. Und es ist auch vollkommen legitim einem solchen Gespräch auszuweichen.“