Warum Betroffene auf das Selbstbestimmungsgesetz setzen

Transmenschen sollen ihren Vornamen und den Geschlechtseintrag künftig schneller ändern können. Betroffene erzählen, was das geplante Selbstbestimmungsgesetz für ihren Alltag bedeutet.

Eine LGBTQ-Fahne flattert im Wind
Eine LGBTQ-Fahne flattert im WindImago / Le Pictorium

Patricia Pederzani wünscht sich den Tag herbei, an dem das geplante Selbstbestimmungsgesetz in Kraft tritt. Auch wenn sie nicht mit allen Details einverstanden ist und es ihr nicht weit genug geht. Ein wichtiger Fortschritt sei es dennoch.

Die 33-jährige Transfrau aus Koblenz hat noch auf Basis der aktuellen Gesetzeslage ihren Vornamen und den Geschlechtseintrag ändern lassen. Ein langer, bürokratischer, teurer und emotional aufwühlender Weg, wie sie berichtet. „Ich musste dazu drei fremden Menschen meine Lebensgeschichte und intimste Dinge erzählen.“

Psychologische Gutachten und Gerichtsverfahren sollen wegfallen

Bislang müssen Transmenschen, die ihre offiziellen Dokumente ändern wollen, mit zwei Gutachtern sprechen und zum Amtsgericht. Das entscheidet dann über den Antrag. Bei Pederzani dauerte das eineinhalb Jahre und kostete sie rund 1.500 Euro. Plus Fahrtkosten nach Frankenthal zum zuständigen Gericht in Rheinland-Pfalz und zu den Gutachtern nach Köln. Wenn sie sich daran erinnert, denkt sie vor allem an Angst und ein Gefühl von Abhängigkeit, sagt sie. Angst, dass ihre Identität nicht akzeptiert wird, dass sie nicht Frau genug sein könnte.

Die Minister Paus (rechts) und Buschmann bei der Vorstellung des Eckpunktepapiers zum Selbstbestimmungsgesetz
Die Minister Paus (rechts) und Buschmann bei der Vorstellung des Eckpunktepapiers zum SelbstbestimmungsgesetzImago / IPON

Die Bundesregierung hat nun ein neues Gesetz vorgelegt, das in den kommenden Wochen im Bundestag beraten und verabschiedet werden soll. Psychologische Gutachten und ein Gerichtsverfahren sollen wegfallen, Transpersonen den Vornamen und Geschlechtseintrag beim Standesamt mit einer einfachen Erklärung ändern können. Es würde schneller gehen und weniger kosten.

Lyas und Kyran berichten von ihren Erfahrungen

Für die Trierer Lyas und Kyran ein wichtiger Punkt. Kyran, 20, und sein Partner Lyas, 19, sind beide seit Jahren geoutet. Ihnen war schon in der Grundschule klar, dass sie sich nicht als typische Mädchen sehen, erzählen sie. Teilweise wurden sie schon damals von Freunden mit Jungennamen gerufen. Doch der Weg, das eigene Ich zu leben, war lang.

Kyran hat seit einem Jahr geänderte Dokumente. Seine Gutachter habe er als recht locker erlebt, berichtet er. Doch zuvor habe er „Horrorgeschichten“ von Bekannten gehört. Unter anderem musste er begründen, dass er seit mindestens drei Jahren als Mann lebt und sich mit seiner Entscheidung sicher ist. So fordert es derzeit das Gesetz. Inzwischen denkt Kyran über weitere Schritte nach, möchte unter anderem mit einer Operation die Brust entfernen.

Lyas wartet für offizielle Schritte auf das Selbstbestimmungsgesetz

Lyas dagegen lebt zwar auch als Mann, wartet für offizielle Schritte aber auf das Selbstbestimmungsgesetz – wie einige andere. Die Bundesregierung rechnet mit etwa 4.000 Anträgen pro Jahr, wenn das Gesetz da ist, wie ein Sprecher mitteilte. Nach dem aktuellen Transsexuellengesetz (TSG) haben 2021 bundesweit rund 3.200 Menschen ihren Namen und Geschlechtseintrag ändern lassen. Das lässt sich zählen – andere Daten werden nicht erhoben, etwa wie viele Menschen eine Hormontherapie beginnen. Deshalb gibt es nur Schätzungen, wie viele Menschen in Deutschland tatsächlich betroffen sind. Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) geht von 0,6 Prozent der Bevölkerung aus, das wären rund 500.000 Personen.

Einfach sei der Alltag in einer Art Schwebezustand nicht, meint Lyas. Er erlebe viele kleine Stiche, die Kraft kosten: Etwa wenn andere seine hohe Stimme hören und ihn mit „junge Dame“ anreden. Wenn er darum kämpfen muss, in der Fastnachts-Gardetanzgruppe im Anzug mitzutanzen. Wenn Familienmitglieder ihn auch nach Jahren immer noch mit dem alten Namen ansprechen. Wenn es mit der Schulleitung Diskussionen gibt, mit welchem Namen er sich vorstellt, welche Toilette und welche Umkleide er benutzt, in welchem Zimmer er bei der Klassenfahrt schläft. „Gut für das Selbstwertgefühl ist das nicht“, sagt Lyas.

Kraft durch Treffen mit einer Jugendgruppe für Transmenschen

Kraft geben ihm Freunde, Treffen mit einer Jugendgruppe für Transmenschen, Musik, die Beziehung zu Kyran. Lyas hat eine Therapie angefangen, möchte als nächstes eine Hormonbehandlung und dann Namen und Personenstand offiziell ändern. „Damit das Äußere und das, was auf dem Papier steht, zusammenpassen und es weniger Konflikte mit der Gesellschaft gibt“, sagt er. Ärzte weisen in dem Zusammenhang aber auch auf die Risiken einer Hormonbehandlung hin.

Das Selbstbestimmungsgesetz tritt frühestens zum November 2024 in Kraft. Bereits innerhalb der Bundesregierung gab es dazu schwierige Debatten. Auch der Bundestag wird vermutlich über einige Punkte und Befürchtungen kontrovers diskutieren. Gerade zu konkreten Folgen des Gesetzes in der Praxis gibt es Fragen und auch Kritik. Meist geht es um Themen mit unterschiedlichen Regeln oder Räumen für Geschlechter: Toiletten, Umkleiden, Saunen, Sport, Quoten-Regelungen. Denn Fragen dazu berühren auch die Perspektive anderer. Etwa wo eine Transperson im Gefängnis untergebracht wird oder wer auf einer Klassenfahrt in welchem Zimmer schläft. Im Gesetz heißt es dazu, dass genau in solchen Fällen unterschiedliche Behandlungen wegen des Geschlechts zulässig seien. In der Praxis scheinen da Konflikte unausweichlich.

Manche warnen, mit einfacheren Regeln könnten Menschen ihren Geschlechtseintrag künftig ändern, um sich dadurch Vorteile zu verschaffen oder sich übergriffig zu verhalten. Etwa um sich in Frauenschutzräume einzuschleichen, im Kriegsfall keinen Dienst an der Waffe zu leisten oder von Frauenquoten zu profitieren. Andere sprechen demgegenüber von einer Diskursverschiebung und kritisieren, anstatt Lösungen zu finden würden insbesondere Transfrauen als Gefahr dargestellt.

In Schwimmbädern fühlen sie sich unwohl

Pederzani, Lyas und Kyran kennen das Gefühl, sich als Transperson beweisen zu müssen und sich in sensiblen Räumen wie Schwimmbädern unwohl zu fühlen. Lyas nimmt oft einen prüfenden Blick der Gesellschaft wahr. Pederzani sagt, sie habe sich lange sehr weiblich gekleidet, mit viel Rosa und Pink, Röcken und Kleidern. „Das volle Programm, bis ich sagen konnte, das bin nicht ich – und ich bin niemandem schuldig, zu beweisen, dass ich trotzdem eine Frau bin.“

Lyas behilft sich im Alltag mit einem Ergänzungsausweis. Davon gibt die dgti 3.000 bis 5.000 im Jahr heraus. Sie sind auf den neuen Namen ausgestellt und zusammen mit dem amtlichen Personalausweis anerkannt. Lyas kann ihn beispielsweise in einer Polizeikontrolle vorzeigen und wird dann mit seinem männlichen Namen angesprochen. „Für unsere Community ist das im Alltag eine große Hilfe, weil sie nicht ihre Lebensgeschichte erklären müssen“, sagt Jenny Wilken, Leiterin der dgti-Bundesgeschäftsstelle.

Diskussionspunkt: Altersgrenze

Ein Diskussionspunkt dürfte auch die Altersgrenze sein. Künftig sollen Jugendliche ab 14 Jahren Namen und Geschlecht ändern können – brauchen dafür aber das Okay der Sorgeberechtigten. Für unter 14-Jährige entscheiden die Eltern. Der Gesetzgeber argumentiert, dass das in Deutschland für rechtlich verbindliche Erklärungen üblich ist. In Streitfällen kann zudem das Familiengericht eingeschaltet werden und entscheiden, was mit Blick auf das Kindeswohl das Beste ist.

Lyas und Kyran meinen, je früher man den Weg starten könne, desto besser. Die Pubertät im falschen Geschlecht zu erleben, wäre ihnen dann erspart geblieben. „Weniger Leidensdruck“, sagt Kyran. Und Lyas betont: „Für mich hat der Horror angefangen, als ich Brüste bekam.“ Pederzani, die inzwischen andere Transmenschen berät und Queerbeauftragte der Stadt Koblenz ist, fände es gut, wenn in Verfahren vor dem Familiengericht verpflichtend ein Experte für Transfragen einbezogen würde. Das sieht das Selbstbestimmungsgesetz nicht vor.

„Viele müssen das immer noch allein durchstehen“

Auch die Bundespsychotherapeutenkammer spricht sich dafür aus, dass Jugendliche bereits ab 16 Jahren ohne Eltern entscheiden können. Ein Verfahren vor dem Familiengericht belaste junge Transmenschen nur zusätzlich. Umgekehrt zeigten junge Transpersonen deutlich seltener psychische Belastungen wie Depressivität oder Suizidgedanken, wenn das Umfeld den selbst gewählten Namen und das Geschlecht unterstütze, so die Experten.

Pederzani hofft, dass das Selbstbestimmungsgesetz Betroffenen hilft. Einfach werde der Weg nie, meint sie. „Viele müssen das immer noch allein durchstehen, weil sie von Freunden, der Familie und der Gesellschaft abgelehnt werden.“