Urlaub bei den Taliban

Daniel Großhans schreit vor Aufregung in die Kamera. Der 27-Jährige trägt Sonnenbrille und Werder-Bremen-Trikot und sitzt auf einem vollgepackten Fahrrad, während an ihm die karge Steppe des westlichen Afghanistans vorbeirauscht. Schon seit 2021 ist er auf Fahrradweltreise, erst vor wenigen Minuten hat er die Grenze vom Iran nach Afghanistan überquert. „Ich bin jetzt schon sicher, dass der kommende Monat in Afghanistan der härteste meines Lebens werden könnte“, schreibt er später auf Instagram.

Es ist eine seltsame Szene aus dem Frühling dieses Jahres und aus einem Land, in dem Jahrzehnte lang ununterbrochen Krieg herrschte. Nachdem sich die radikalislamischen Taliban vor zwei Jahren an die Macht kämpften und damit ihr Krieg gegen die Regierung ein Ende fand, ist inzwischen jedoch eine relative Ruhe eingezogen.

Zwar gehört Afghanistan zu den Ländern mit den größten Krisen weltweit. Und die Taliban haben ihre radikale Politik zunehmend rigoros durchgesetzt und etwa die Rechte von Frauen und Mädchen massiv beschnitten. Dennoch lockt das Land wieder zunehmend Touristen an.

Einst Teil der Seidenstraße und später des Hippie-Trails nach Indien, verkörperte Afghanistan schon immer für viele Reisende den Reiz des Unbekannten. Für manche ist es bis heute eine Art Sehnsuchtsort, der aufgrund des jahrzehntelangen Kriegs unerreichbar blieb.

Die Taliban unterstützen den Tourismus: Es gibt ein zuständiges Ministerium und eine Schule für „Gastfreundschaft“, in der Afghanen sich als Touristenführer und im Management von Hotels weiterbilden können. 2023 hat sich die Zahl der ausländischen Touristen nach Angaben des Informationsministeriums mit mehr als 5.000 Besuchern im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt.

„Wenn diese Menschen kommen und sehen, wie es hier wirklich ist“, sagte der Informations- und Kulturminister Chairulla Chairchwa kürzlich in einem Interview, „werden sie ein positives Bild Afghanistans verbreiten“. Besonders offen sind die Taliban daher Reisebloggern und Influencern gegenüber, welche ihre Politik nur selten öffentlich hinterfragen.

Manche teilen ihre Erlebnisse später wie Fahrradfahrer Großhans in den Sozialen Medien und stellen ihre Reiseberichte als Videos ins Internet. Die Titel dabei lauten unter anderem „Das krasseste Land auf meiner Radreise“ oder „Urlaub bei den Taliban“.

Dabei warnen westliche Staaten bis heute ausdrücklich vor Reisen nach Afghanistan. Erst im Mai dieses Jahres gab es in der Stadt Bamian einen Anschlag, bei dem Bewaffnete auf einem Markt das Feuer auf eine ausländische Reisegruppe und ihre Begleiter eröffneten. Drei spanische Staatsangehörige sowie drei Afghanen verloren ihr Leben. Die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ übernahm die Verantwortung. Die Taliban hingegen verurteilten den Angriff.

Daneben kam es seit der Machtübernahme aber immer wieder auch zu willkürlichen Festnahmen von Touristen und Touristinnen in Afghanistan, teils für Wochen oder Monate. Denn während die Regierung in Kabul den Tourismus größtenteils begrüße, verstünden viele der einfachen Taliban-Kämpfer, die sich jahrelang gegen die afghanische Armee und ihre ausländischen Partner gewehrt hätten, ihn bis heute nicht, sagt Jagoda Grondecka. Die polnische Journalistin, die jahrelang aus Afghanistan berichtete, führt heute nebenberuflich Touristen durch das Land.

Kleine Missverständnisse könnten in Afghanistan schnell zu größeren Problemen werden, erklärt Grondecka. Aber sie ist überzeugt: Das Land sei heute sicherer als je zuvor. Und viele Teilnehmer ihrer Reisegruppen seien typische Reisende mit viel Erfahrung und bereit, ein Risiko in Kauf zu nehmen.

Dennoch dürfte es noch einige Zeit dauern, bis sich die Tourismusbranche richtig etabliert: Die Taliban sind bisher international nicht anerkannt. Und es herrscht ein anhaltender Machtkampf zwischen den Botschaften im Ausland, die noch von Mitarbeitern der früheren, vom Westen unterstützten Regierung besetzt sind, und der Taliban-Regierung in Kabul. Um Druck zu machen, haben die Taliban angekündigt, keine Dokumente mehr von Botschaften anzunehmen, die nicht mit ihnen kooperieren. Viele davon sind in Europa. Für Touristen dürfte sich der Weg nach Afghanistan damit erschweren.