Sport-Licht im Förder-Schatten

Verena Bentele, die ihre Behindertensportkarriere 2011 beendete und bei den Paralympischen Sommerspielen vom 7. bis 18. September in Rio als Behindertenbeauftragte der Bundesregierung dabei ist, nennt im Gespräch ihre Erwartungen und Hoffnungen

Vorbei sind die Zeiten, in denen die Paralympics ganz im Schatten der Olympischen Spiele standen. Spätestens seit den Sommerspielen in London 2012 würden beide Veranstaltungen gleichermaßen gefeiert, findet die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Verena Bentele. Im Interview mit Birgit Wilke wünscht sich Bentele, die selbst mehrere Medaillen als Biathletin bei den Paralympics gewann und jetzt als Behindertenbeauftragte bei den Spielen in Rio vom 7. bis zum 18. September dabei ist, dass auch die Aktiven mit Behinderungen ähnlich gefördert werden wie die nichtbehinderten Aktiven.

Frau Bentele, die Paralympics in London vor vier Jahren waren ein großer Erfolg. Was erwarten Sie sich von den Spielen in Rio?
Die Messlatte liegt seit London natürlich extrem hoch. Ich hatte das erste Mal das Gefühl, dass die Olympischen und die Paralympischen Spiele von der Bevölkerung gleich wahrgenommen werden. Die Stadien waren jeweils sehr gut besucht und die paralympischen Sportlerinnen und Sportler im Stadtbild präsent. Für uns ist das etwas ganz Besonderes, und wir hoffen natürlich, dass es in Rio ähnlich wird.

Zumindest die Wege zu den Stadien sind dort weiter…
Ja, das stimmt. Die Wege sind sehr weit, und wir wissen nicht genau, wie es mit der Infrastruktur sein wird – etwa, ob die U-Bahn zum Stadion rechtzeitig fertig sein wird und ob die Sicherheitsvorkehrungen ausreichend sind. Und es ist natürlich grundsätzlich klar, dass es in dem Land ganz andere Herausforderungen gibt als in Westeuropa. Hier geht es oftmals um existenzielle Fragen. Auch das wird die Spiele sicher prägen. Da steht derzeit die Barrierefreiheit sicher nicht ganz oben auf der Agenda. Ich hoffe natürlich, dass die Bevölkerung begeistert sein wird und auch nachhaltige Vorteile durch die Spiele haben wird.

Was können die Paralympics mit Blick auf die Inklusion für die Region bringen?
Paralympische Spiele sind für das Land und die Bevölkerung immer ein großer Gewinn. In China etwa, so habe ich gehört, wo die Olympischen Sommerspiele 2008 stattfanden, haben Menschen mit Behinderungen heute einen viel höheren gesellschaftlichen Stellenwert. Sie sind jetzt viel präsenter, während sie vorher oftmals versteckt wurden. Für Rio wünsche ich mir natürlich auch möglichst viele positive Effekte, vor allem für Menschen, die in Armut leben und eine Behinderung haben. Für sie müsste viel mehr getan werden.

Sie werden selbst auch bei den Paralympics dabei sein. Wie sieht Ihr Programm aus?
Ich werde dort deutsche Athleten treffen und mit ihnen ins Gespräch kommen. Natürlich nutze ich die Reise auch für politische Gespräche. Ich möchte dort Behindertenverbände und Beauftragte der Regierung treffen, die sich um die Belange von Menschen mit Behinderungen kümmern. Zudem stelle ich dort zusammen mit der Deutsch-Brasilianischen Industrie- und Handelskammer ein deutsch-brasilianisches Inklusionshandbuch vor. Ich freue mich auch sehr darauf, dass ich bei den Wettkämpfen dabei bin und die Sportler anfeuern und nach ihren Erfolgen bejubeln kann.

Welche Medaillenchancen haben die deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer?
Ich hoffe natürlich, dass sie beim Medaillenspiegel möglichst weit vorne stehen. Das hängt sicher von vielen Faktoren ab, nicht zuletzt von den Wettkampfbedingungen. Eine sichere Bank ist bestimmt der Weitspringer Markus Rehm. Nicht nur sportlich hat Rehm, der mit einer Prothese springt, viel geleistet, sondern auch politisch: So hat er der Inklusion einen Riesendienst erwiesen, indem er in Deutschland eine Debatte darüber angestoßen hat, ob unter bestimmten Umständen nicht auch Sportler mit einer Behinderung an olympischen Wettkämpfen teilnehmen können.

In welchen Bereichen bräuchten die Sportler mit Behinderungen mehr Unterstützung?
In den vergangenen Jahren ist viel passiert. Als aktive Biathletin habe ich mich bei den Paralympics 2010 in Vancouver zusammen mit anderen etwa dafür eingesetzt, dass die Medaillenprämien angepasst werden. Ähnlich wie beim Frauen-Fußball fielen die vorher bei den Sportlern mit Behinderungen sehr viel niedriger aus. Zudem bräuchten die Aktiven eine bessere Förderung, wenn sie neben dem Sport auch noch eine Ausbildung oder ein Hochschulstudium absolvieren. Das war bei mir mit meinem Studium nicht immer ganz einfach. Es müssten auch mehr Stellen für sie bei der Bundeswehr oder im öffentlichen Dienst geschaffen werden. Der Staat sollte da alle Sportler gleichermaßen fördern.
Und ich wünsche mir natürlich, dass Sportler mit und ohne Behinderungen mehr miteinander trainieren. Für mich ist es nicht das wichtigste Ziel, dass die olympischen und die paralympischen Spiele parallel stattfinden, aber es wäre toll, wenn beispielsweise Weltcups und Weltmeisterschaften zusammengelegt würden.

Sie selbst sind zwar vor ein paar Jahren von Ihrer aktiven Laufbahn als Biathletin zurückgetreten, der Sport nimmt aber weiterhin in Ihrem Leben eine zentrale Rolle ein. Was sind Ihre nächsten Ziele?
Ich bin in den vergangenen Monaten sehr viel Rad gefahren und habe im Juli ein 24-Stunden-Rennen vom Bodensee nach Burgund absolviert. Nächstes großes Ziel ist der Marathon in Berlin am 25. September. Dafür muss ich noch sehr viel trainieren.