So sieht EKD-Chef Bedford-Strohm die Weihnachtsbotschaft heute

Das Wort „Fürchtet Euch nicht“ sei gerade in Zeiten des Terrors wichtig, sagt der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm, der im Interview auch zum Thema Flüchtlinge eine klare Meinung hat. Von Thomas Schiller

Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm
Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-StrohmNorbert Neetz / epd

Hannover. Für den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, steht Weihnachten im Zeichen der Zuversicht – trotz der Ängste der Menschen nach den Terroranschlägen von Paris und der großen Zahl von Flüchtlingen in Deutschland. Mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) sprach der bayerische Bischof über die Aufnahme von Menschen in Not und das Engagement für ihre Betreuung, über die Diskussion um Obergrenzen und Kontingente und seine Erwartungen an Muslime zur Integration in Deutschland.

Was ist für Sie heute die Kernbotschaft der Weihnachtsgeschichte?
Heinrich Bedford-Strohm: In diesem Jahr steht besonders im Zentrum der Ruf der Engel: "Fürchtet Euch nicht." Dieses Wort hat eine Bedeutung erlangt wie selten zuvor in der jüngeren Vergangenheit. Denn viele Menschen haben Angst.
Angst wovor?
Viele Menschen fürchten, dass der Terror nun auch zu uns kommt. Die Pariser Anschläge haben diese Angst verstärkt. Wenn heute schon von Manchen die Frage gestellt wird, ob es sicher ist, in ein Fußballstadion zu gehen oder Weihnachtsmärkte zu besuchen, dann hat die Botschaft "Fürchtet Euch nicht" eine ganz neue Bedeutung. Viele Menschen haben aber auch Angst, wie es werden wird, wenn weiterhin so viele Flüchtlinge kommen: Werden wir es schaffen, sie zu integrieren? Wird es kulturelle Konfliktpotenziale geben? Wie werden wir damit umgehen können?
Was sagen Sie denen, die Angst haben?
Wir dürfen auch in diesen Zeiten mit Zuversicht in die Zukunft schauen. Wir wissen, dass dieses "Fürchtet Euch nicht" auch uns gilt. In allen Risiken des Lebens, seien es persönliche oder politische, wissen wir, dass wir immer von Gott begleitet und in Gottes guter Hand sind.
Die Terroranschläge vor wenigen Wochen in Paris hatten einen religiösen Hintergrund. Spielt das Thema Sicherheit in diesem Jahr für die Weihnachtsgottesdienste eine stärkere Rolle?
Zunächst einmal waren die Täter Verbrecher, die die Religion für ihre Taten missbraucht haben. Wir dürfen uns davon nicht einschüchtern lassen. Wir können voller Freude in die Kirchen kommen und die wunderbare Weihnachtsbotschaft mit allen Sinnen aufnehmen und in unser Herz lassen. Die Polizei wird besondere Maßnahmen ergreifen, wenn sie irgendwo Erkenntnisse über eine besondere Gefahr hat. Ich sehe aber derzeit keinen Grund, dass dies in den Weihnachtsgottesdiensten akut wird.
Die Politik streitet darum, ob für Flüchtlinge noch "Platz in der Herberge" ist, um im Bild der Weihnachtsgeschichte zu bleiben. Wie schätzen Sie das ein?
Wir haben im zu Ende gehenden Jahr eine Zahl von Flüchtlingen aufnehmen können, die niemand vorher für möglich gehalten hätte. Das zeigt deutlich, dass es keinen Sinn macht, Zahlen für irgendwelche Obergrenzen nennen. Wir sollten unsere Möglichkeiten, Menschen in Not aufzunehmen nicht kleinreden. Die Fluchtursachen sind ja längst nicht beseitigt.

SPD und CDU wollen europäische Kontingente, die Christdemokraten verbinden damit die Erwartung einer spürbaren Verringerung der Flüchtlingszahl – was erwarten Sie von der Bundespolitik?
Kontingente können sinnvoll sein, weil sie sichere Wege für Flüchtlinge bedeuten. Ich erwarte von der Politik vor allem, dass lösungsorientiert gehandelt wird.
Was heißt für Sie lösungsorientiert?
Lösungsorientiert handeln heißt, die auf dem Tisch liegenden Vorschläge wirklich in ihren humanitären Konsequenzen zu durchdenken und erst dann zu handeln, wenn auch hinreichend klar ist, dass sie zu verantworten sind und funktionieren. Wenn von Reduzierung hier die Rede ist, muss auch mitgedacht werden, wie Flüchtlinge, die künftig nicht bei uns unterkommen sollen, sicher und menschenwürdig anderswo untergebracht werden können. Ich glaube, niemand will Bilder von Flüchtlingen, die bei Kälte in Slowenien oder Kroatien in den Wäldern umherirren. Das können wir nicht in Kauf nehmen.

Was ist für Sie der Maßstab?
Aus christlicher Sicht hat Verantwortung keinen nationalen, sondern einen universalen Horizont. Wir müssen erreichen, dass Flüchtlinge in allen Ländern Europas aufgenommen werden – da haben wir als Kirchen Europas eine Verantwortung, auf unsere jeweiligen Regierungen entsprechend einzuwirken. Und die Flüchtlingslager rund um die Konfliktherde müssen so ausgestattet werden, dass dort ein Leben in Würde möglich ist. Gegenwärtig ist die Ernährung nicht auf längere Zeit sichergestellt, und viele Kinder können nicht zur Schule gehen. Es gibt noch sehr viel zu tun.
Die Euphorie des "Wir schaffen das" klingt in der Politik ab. Wie wirkt sich das auf die Motivation der vielen Menschen aus, die sich weiterhin ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagieren?
Ich erlebe eine ungebrochene Bereitschaft, die Not anderer Menschen nicht an sich abprallen zu lassen, sondern zu helfen, trotz der großen Anstrengungen, die hinter uns liegen. Das Mitgefühl gegenüber denjenigen, die aus großer Not hierher kommen, ist ungebrochen.
Welchen Beitrag leisten die Kirchen dabei?

Der größte Schatz sind die Hunderttausenden Ehrenamtlichen die sich in den Kirchen für Menschen in Not engagieren. Umso wichtiger ist es, dass eine hauptamtliche Koordination für Ehrenamtliche geschaffen wird, damit Hilfe in die richtigen Kanäle gelenkt wird. Menschen sollten sich dort engagieren, wo sie auch gebraucht werden. Das will gut organisiert sein. Wir haben in den Landeskirchen sehr viel zusätzliche Mittel bereitgestellt, die genau dazu eingesetzt werden sollen: Die Arbeit von Ehrenamtlichen soll vernünftig koordiniert und begleitet werden. Das ist wichtig für die Nachhaltigkeit des Helfens.
Darf man sich an Weihnachten angesichts der Not noch guten Gewissens gegenseitig beschenken?
Es wäre schlimm, wenn wir durch die Not, die uns zu Herzen geht, die Weihnachtsfreude erdrücken würden. Beides gehört zusammen: Wir können nur dann anderen Menschen helfen, wenn wir die Liebe Gottes im Herzen spüren und unter uns auch wirken lassen – und dazu gehört auch das Schenken.

Also passen Nothilfe und Schenken zusammen?
Ja. Das lässt sich im Übrigen sogar auch direkt miteinander verbinden. Man kann etwa einen Gutschein dafür verschenken, die Situation in Flüchtlingslagern zu verbessern. Es macht Menschen Freude, wenn in ihrem Namen anderen geholfen wird. Man kann zum Beispiel verschenken, dass ein Kind ein Jahr lang die Schule bezahlt bekommt. Ich habe auf einen solchen Gutschein einmal die Antwort bekommen: "Das war mein schönstes Weihnachtsgeschenk."

Der weitaus größte Teil der nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge ist muslimischen Glaubens. Welche Herausforderung bedeutet das für die christlichen Kirchen?
Man muss sich klar machen, dass in Deutschland etwa 50 Millionen Christinnen und Christen leben. Diese Dimension darf nicht aus dem Blick geraten, wenn jetzt ein oder zwei Millionen Muslime nach Deutschland kommen. Niemand muss Angst haben, dass die christliche Kultur zurückgedrängt wird. Jetzt geht es darum, dass die Integration gelingt. Vielleicht kann das auch Anlass dazu sein, unseren eigenen Glauben neu zu entdecken.
Was muss konkret geschehen?
Ganz wichtig sind Begegnungen. Kirchengemeinden können eine Rolle dabei spielen, dass die Ankommenden unsere Gesellschaft mit einem freundlichen Gesicht verbinden. Und dann muss der Status jedes einzelnen Flüchtlings so schnell wie möglich geklärt werden. Der momentane Antragsstau muss zügig abgearbeitet werden. Integration kann erst dann richtig beginnen, wenn Menschen verlässliche Perspektiven haben. Wichtig ist natürlich das Erlernen der Sprache, um in der deutschen Gesellschaft Fuß zu fassen. Da kann nach den Erfahrungen der Gastarbeiter vieles besser gemacht werden als vor Jahrzehnten. Viele Unternehmen haben ein großes Interesse, Menschen auszubilden und in den Arbeitsprozess zu integrieren. Es ist von vielen Seiten eine große Bereitschaft da – das lässt mich zuversichtlich sein.
Sind die großen christlichen Kirchen da im Gespräch mit den muslimischen Verbänden?
Wir sind im Gespräch. Die muslimischen Verbände sind in der Tat ganz wichtige Akteure. Sie können am besten die Übersetzer sein. Sie kennen die deutsche Kultur, und sie können deren Stärke den Ankommenden vermitteln. Ich setze sehr auf die muslimischen Gemeinschaften. Die Muslime haben kein Hilfswerk wie Diakonie oder Caritas, aber ich spüre eine große Bereitschaft, jetzt auch mitzuhelfen. Das Münchner Forum für Islam hat gerade eine Broschüre herausgegeben, die reißenden Absatz findet. Dort werden in verschiedenen Sprachen die Grundregeln unseres Zusammenlebens hier in Deutschland erklärt und muslimischen Migranten auch mit Hilfe von Koranzitaten nahegebracht.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hat angesichts muslimischer Zuwanderung Befürchtungen in Bezug auf drohenden Antisemitismus geäußert. Teilen Sie die Sorge der jüdischen Gemeinden?
Ich habe Josef Schuster kennengelernt als einen sehr klugen und bedächtigen Akteur. Man muss auf das, was er sagt, also immer sehr genau hören. Er hat bewusst keine Panik machen, sondern auf ein Problem hinweisen wollen. Es muss ganz klar sein, dass in Deutschland null Toleranz gegenüber Rassismus und Antisemitismus herrscht. Wer mit anderen Vorstellungen hierher kommen sollte, muss das in aller Deutlichkeit von uns hören. (epd)