Sexualisierte Gewalt: Evangelische Kirche kommt endlich voran

Vor Kurzem hat eine Missbrauchs-Studie die evangelischen Kirche wachgerüttelt. Neue Gremien sorgen seitdem für frischen Wind bei der Aufarbeitung. Doch längst nicht überall.

Podiumsgespräch über die Folgen der „ForuM-Studie“: Die Betroffenenvertreter Nancy Janz (links) und Detlev Zander (rechts) sehen Fortschritte bei der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt ind er evangelischen Kirche.
Podiumsgespräch über die Folgen der „ForuM-Studie“: Die Betroffenenvertreter Nancy Janz (links) und Detlev Zander (rechts) sehen Fortschritte bei der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt ind er evangelischen Kirche.Evangelische Akademie Loccum/Justus Maier

Bei der Aufarbeitung von Missbrauch kommt die evangelische Kirche offenbar besser voran als bisher. „Wir stehen vor einem qualitativen Sprung“, gab sich der Betroffenenvertreter Detlev Zander am Rande einer Tagung in der Akademie Loccum optimistisch. In der Vergangenheit sei nicht im Sinne der Betroffenen, sondern im Sinne der Institution gehandelt worden. „Alle Verantwortlichen sind sehr sensibel geworden, dass sich das ändern muss. Jetzt müssen die Ärmel hochgekrempelt werden“, forderte Zander.

Auf der Liste der Maßnahmen stehe unter anderem eine bundesweite Vereinheitlichung der Anerkennungsverfahren und Leistungen für Betroffene von sexualisierter Gewalt, so Zander weiter. Derzeit werde darüber im Beteiligungsforum in der Evangelischen Kirche in Deutschland beraten. Eine Entscheidung treffe die EKD-Synode voraussichtlich im November.

In vielen Gemeinden wird das Thema sexualisierte Gewalt „wegdiskutiert“

Gleichzeitig wies der Betroffenenvertreter jedoch darauf hin, dass längst nicht alle Schwierigkeiten bei der Aufarbeitung gelöst seien. Es gehe zu zaghaft voran. Das Thema Missbrauch gehöre in jede Kirchengemeinde. „Es sind immer noch viel zu viele Gemeinden, in denen das Thema wegdiskutiert wird.“

Knapp 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet hatten sich am vergangenen Wochenende in der Akademie Loccum zu einer Bestandsaufnahme bei der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in Kirche und Diakonie seit der Vorstellung der Studie im Januar getroffen. Darunter seien Beratende und Mitarbeitende von kirchlichen Fachstellen, aber auch Betroffene gewesen, so Christian Brouwer, der die Tagung organisiert hatte.

Missbrauchs-Betroffene sind an allen Entscheidungen beteiligt

Zur Sprache kamen die Ergebnisse der „ForuM-Studie“, die grundsätzliche Mängel bei der Aufarbeitung ans Licht gebracht hatte. Vorgestellt wurden auch das Beteiligungsforum und die regionalen Aufarbeitungskommissionen, die noch geschaffen werden müssen.

Im Beteiligungsforum seien neben Kirche und Diakonie erstmals Betroffenenvertreter selbst an allen Entscheidungen im Umgang mit sexualisierter Gewalt beteiligt, erklärte Prozessberaterin Birgit Mangels-Vogt, die das Gremium moderiert. „Es gibt keine Entscheidung ohne ihre Zustimmung.“ Außerdem hätten sich Kirche und Diakonie zur Umsetzung der in diesem Gremium getroffenen Entscheidungen verpflichtet.

Zum Kulturwandel in der Kircher muss jeder beitragen

Von einem „frischen Wind“ sprach Mareike Dee von der Fachstelle Sexualisierte Gewalt der Landeskirche Hannovers. „Es ist so schlimm, wie die Studie sagt.“ Jetzt gehe es an die Umsetzung. So würden derzeit die Handlungsempfehlungen der Landeskirche über­arbeitet, sagte Dee.

Angesichts des Prozesscharakters vieler Maßnahmen sammelten die Tagungsteilnehmenden schneller umsetzbare Ideen, wie Missbrauch verhindert werden kann. Eine Teilnehmerin sagte, dass sie auf dem Frauenabend für das Thema sensibilisieren wolle. Eine andere schlug vor, über Handzettel mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Detlev Zander empfahl Barcodes mit Informationen in jedem Gesangbuch.

Eine positive Entwicklung sieht auch Betroffenenvertreterin Nancy Janz. „An vielen Stellen wird etwas getan.“ Doch zum Kulturwandel in der evangelischen Kirche müsse jeder beitragen. „Der fängt bei meiner Haltung an. Ich darf nicht warten, bis jemand kommt.