Selbstversuch im Schlaflabor: Verkabelt durch die Nacht

Unser Kollege Florian Riesterer wagt den Selbsttest und begibt sich in die Hände des Schlaflabors des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit. Dort untersuchen Experten Schlafstörungen.

Bereit für eine Nacht im Schlaflabor – Redakteur Florian Riesterer ließ sich verkabeln. Ein eindrückliches Erlebnis – auch ohne im Schlaflabor übernachtet zu haben
Bereit für eine Nacht im Schlaflabor – Redakteur Florian Riesterer ließ sich verkabeln. Ein eindrückliches Erlebnis – auch ohne im Schlaflabor übernachtet zu habenLauer

Bettdecke, Kopfkissen und eine weinrote Wärmflasche. Das Zimmer könnte fast heimelig sein, wären da nicht das metallene Bettgestell in Krankenhausoptik und etliche Kabel an der Wand sowie die Haube aus Stoff über einem Kunststoffkopf, der etwas deplatziert wirkt. Die Haube dient zum Verkabeln des Kopfes, um die elektrische Aktivität des Gehirns zu messen: Das weiß ich mittlerweile, bin ich doch selbst in einer rund einstündigen Prozedur im Schlaf­labor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim verkabelt worden. Und wäre es jetzt nicht 10 Uhr morgens, sondern abends und ich von Schlafproblemen geplagt, stünde der Messung meines Schlafs nichts mehr im Weg – sollte ich mit den Kabeln am Körper Schlaf finden.

Michael Schredl, wissenschaftlicher Leiter des Schlaflabors sowie Laborleiterin Claudia Schilling gehen Ein- und Durchschlafstörungen jenseits organischer oder psychischer Erkrankungen auf die Spur. Sie ermitteln auch, wie sich der Schlaf solcher Patienten von jenen mit Schizophrenie oder Border­linestörungen unterscheidet und welchen Einfluss genetische Faktoren haben.

Je nach Maßstab bis zu 25% der Deutschen von Schlafstörungen betroffen

Wie viele Menschen in Deutschland unter „Schlafproblemen“ leiden, hänge etwas davon ab, wie der Maßstab angelegt werde, erklärt Schredl. Wenn man von mindestens drei Tagen die Woche ausgehe, an denen schlechter Schlaf auch tagsüber die Menschen deutlich einschränke, müsse man von rund 10 bis 15 Prozent der Gesamtbevölkerung ausgehen. Fasse man kurz- und langfristige Schlafstörungen zusammen, gehe diese Zahl hoch bis auf ein Viertel aller Deutschen.

17 Elektroden sind mir allein auf Kopf und Gesicht geklebt worden. Dafür ist der Mittelpunkt meines Kopfes, wissenschaftlich „Cz“, nun erstmals exakt vermessen. Dass es so viele Messpunkte sind, hat mit Sicherheitsgründen zu tun, erklärt eine Mitarbeiterin des Labors. Eigentlich­ würde eine Gehirnhälfte reichen, um verwertbare Ergebnisse zu bekommen. Wenn sich eine Elektrode löse, wolle man den Probanden­ aber ungern wecken.

Eine Karte bündelt die Karten der Elektroden und zeigt an, welche auf welcher Partie des Gesichts klebt
Eine Karte bündelt die Karten der Elektroden und zeigt an, welche auf welcher Partie des Gesichts klebtLauer

Ein leichtes Ziehen spüre ich an den Kopfseiten. Dort zeichnen Elektroden die Bewegungen der Augen auf. Vor allem im sogenannten REM-Schlaf, benannt nach den schnellen Augenbewegungen, dem Rapid Eye Movement, sind hier Reaktionen messbar. Die Kabel münden in einem Kästchen, das an einem schwarzen Band am Oberkörper befestigt ist. Mit jenem Thoraxgürtel können die Schlafforscher das Heben und Senken des Brustkorbs aufzeichnen.

Unsere Gene bestimmen, wie lange wir schlafen

Rund siebeneinhalb Stunden schlafen die Deutschen im Schnitt pro Nacht, sagt Michael Schredl. Empfohlen seien acht Stunden. „Wir haben alle ein chronisches Schlafdefizit in Deutschland.“ Und während manchen sechs Stunden reichten, seien andere erst nach zehn Stunden ausgeschlafen. Wann der Schlaf einsetze und wie lange er dauere, sei stark genetisch bedingt.

Die eigene molekulare Uhr sei mit dem Licht synchronisiert und laufe in einem 24-Stunden-Rhythmus. „Diese Laufzeit ist aber manchmal verschoben“, sagt Schredl über spät zu Bett gehende „Eulen“ und den Tag früh begrüßende „Lärchen“. Mit dem oft gehörten Vorurteil der senilen Bettflucht räumt Schredl direkt auf. Das sei individuell verschieden, so der Forscher. Allerdings verändere sich ab dem Alter von etwa 30 der Schlaf, nächtliches Aufwachen etwa nehme zu.

Neues Forschungsfeld: Schlafstörungen bei Menschen mit psychischen Erkrankungen

Zwei Nächte verbringen Patientinnen und Patienten im Labor. Vermieden werden soll, dass die ungewohnte Umgebung und damit verbundener Stress in der ersten „Adaptionsnacht“ die Ergebnisse verfälschen. Nachtschwestern an Computern einen Raum weiter überwachen den Schlaf, der neben der Bluetooth-Datenübertragung auch mit Video aufgezeichnet wird, um grafischen Ausschlägen Schlafereignisse zuordnen zu können. „Es kann ja auch sein, dass Sie nachts nur das Kissen neu aufschütteln“, sagt eine Schlaflabormitarbeiterin. Sollten Patienten schlafwandeln, greifen die Labormitarbeiterinnen ein und sprechen die Patienten an. Am Folgetag vergleichen sie das subjektive Schlaf­erleben der Patienten mit den Messungen.

Noch wenig untersucht seien Schlafstörungen bei Menschen mit psychischen Erkrankungen, sagt Michael Schredl. Häufig werde angenommen, sie seien Teil der psychischen Erkrankung, nennt der Schlafforscher das Beispiel eines Mannes, der Antidepressiva einnehme. Da Schlaflosigkeit eine Neben­wirkung sein könne, habe er das erst einmal so akzeptiert. Später habe sich herausgestellt, dass er an einem Schlafapnoe-Syndrom gelitten habe.

Sensoren zeichnen keine Träume auf

Ein Kabel reicht quer durch meinen Ärmel zum Ringfinger und kontrolliert dort die Sauerstoffsättigung des Blutes. Misst der Sensor in meinen Nasenlöchern, dass der Atem abfällt oder kurz aussetzt, ist er einer der Referenzpunkte zur Ursachenklärung. Dazu kommt die Herzfrequenz über Sensoren am Oberkörper für das Elektrokardiogramm. Der Sensor am Kinn zeichnet Muskelbewegungen des Kiefers auf.

Während des Traumerlebens in den REM-Schlaf-Phasen sorgt der Körper dafür, dass die Muskulatur erschlafft. Schließlich will die Natur verhindern, dass das Erleben des Gehirns Arme und Beine in Bewegung setzt. Wo das aus Krankheitsgründen nicht mehr funktioniert, fuchteln Menschen unkontrolliert mit den Armen, etwa bei Parkinson.

Auch Muskelreflexe an den Beinen bleiben dank zweier Sensoren an beiden Schienbeinmuskeln niemandem verborgen. Beim Restless-Leg-Syndrom spüren die Betroffenen abends und nachts einen unangenehmen Bewegungsdrang. Was das Schnarchmikrofon seitlich des Kehlkopfes aufzeichnet, erklärt sich von selbst.

Bewusstes Träumen lässt sich trainieren

Eines können die Sensoren zumindest bildlich nicht aufzeichnen, obwohl es unabhängig von der Qualität des Schlafs immer vorhanden ist: Träume. Selbst unter Narkose und im Koma träumten Menschen, sagt Schredl. „Eben solange das Gehirn aktiv ist.“ Lediglich das Erinnern sei unterschiedlich stark, Frauen könnten das im Schnitt besser als Männer. Auch kreativere, sensiblere Menschen hätten Vorteile – und Kinder: „Weil sie mehr schlafen und die Fantasie größer ist.“ Wer regelmäßig Traumtagebuch schreibe, lerne, sich besser zu erinnern, sagt Schredl.

Trainieren lasse sich auch das Klar­träumen, das bewusste, gesteuerte Träumen. Nötig dafür sei über mehrere Tage hinweg fünf bis zehn Mal am Tag ein Realitätscheck mit der Frage „Träume ich oder ist das gerade real?“ Irgendwann finde sich diese Frage im Traum wieder, sagt Schredl. Dann gelte es, die physikalischen Gesetzmäßigkeiten zu prüfen und im Idealfall festzustellen, dass man träume. Manche seien Naturtalente bei dieser Methode, „ich musste hart trainieren dafür“. Die Methode sei nicht nur Spielerei, sondern könne gegen Albträume helfen, indem man sich Verfolgern etwa bewusst entgegenstelle. Effektiver sei aber immer noch eine Gesprächstherapie über Albträume, um Wege zu suchen, wie sich die Situation lösen lasse.