Seemannsmission: „Seeleute sind seelisch erschöpft“

Die Arbeitsbedingungen der Seeleute haben sich etwas verbessert, viele haben wieder mehr Landgänge und Internet an Bord. Warum das noch lange nicht reicht.

Seeleute haben einen harten Job
Seeleute haben einen harten JobImago / Blickwinkel

Über Seeleute gibt es viele Klischees: Nichts kann sie erschüttern, sie sind Weltenbummler und in jedem Hafen zu Hause. „Mit der harten Realität der Seeleute hat das nichts zu tun“, weiß Matthias Ristau, der seit 2022 die Deutsche Seemannsmission (DSM) leitet. Zuvor hatte er acht Jahre als Seemannspastor in Hamburg ein Ohr für die, die in Gesellschaft und Politik oft übersehen werden. „Seeleute fühlen sich unsichtbar“, berichtet Ristau anlässlich des internationalen Tags der Seefahrer am Sonntag, 25. Juni. Verstehen kann er das nicht: Ohne die weltweit etwa 1,7 Millionen Seeleute würde die globale Wirtschaft zusammenbrechen. Seit 1886 kümmert sich die DSM weltweit um Seeleute, unterstützt mit Gesprächen an Bord und Landangeboten.

Zwar hätten sich die Arbeitsbedingungen auf modernen Schiffen durchaus verbessert. Viele Reedereien bieten Internetzugänge für die Crews an, damit diese Kontakt zu ihren Familien und Freunden halten können. Aber: „Es gibt noch welche, die kein Internet an Bord für Seeleute haben. Das muss sich ändern, sonst finden sie keine maritimen Nachwuchskräfte mehr“, sagt Ristau. Der Job bleibt hart: Stressfaktoren an Bord sind Einsamkeit, lange Abwesenheiten von Zuhause, ständig Lärm und hohe Arbeitsbelastungen. Seeleute stünden weiterhin massiv unter Druck.

Psychische Probleme

Bei den jährlich rund 25.000 Bordbesuchen der DMS-Mitarbeitenden sind psychische Probleme immer wieder ein Thema. „Seeleute sind seelisch erschöpft“, sagt Ristau. Zumal für manche von ihnen die Corona-Einschränkungen noch nicht vorbei sind: Einzelne Länder und Reedereien würden den Landgang immer noch verbieten, weil sie Infektionen befürchten. „Es gibt keine Gründe, Landgang prinzipiell zu verbieten“, argumentiert Ristau. „Meiner Ansicht nach ist es ein Verstoß gegen die Menschenrechte, Seeleute an ihrem Arbeitsplatz monatelang einzusperren.“

Matthias Ristau, hier im Hamburger Hafen, leitet die Deutsche Seemannsmission
Matthias Ristau, hier im Hamburger Hafen, leitet die Deutsche SeemannsmissionDSM / Joseph Heicks

Dabei sei gerade die Pause an Land so wichtig für die mentale Gesundheit, betont auch Sören Wichmann. „Wer das Schiff verlässt, will nicht nur einkaufen und entspannen“, sagt der Leiter des Hamburger Seemannsclubs Duckdalben. Beim Landgang tanken Seeleute mental auf und erhöhen ihre Stressresistenz. Mindestens einmal im Monat sollte Landgang auf dem Dienstplan stehen.

Weltweit setzen sich an 33 DSM-Stationen rund 600 Mitarbeitende für Seeleute ein. Ristau beschreibt, in Seemannsclubs und bei Bordbesuchen könnten sich Crew-Mitglieder einfach mal als Menschen fühlen: „Wir fragen, wie es ihnen geht und nehmen uns Zeit.“ Gesundheit sei auch ein Thema: „Seeleute gehen oft zu spät zum Arzt – aus Angst, dass ihr Zeitvertrag nicht verlängert wird.“ Anders als hierzulande seien die Arztberichte an Bord nicht vertraulich, der Arbeitgeber lese mit. „Wenn etwa im Bericht der Verdacht auf Depression steht, befürchten Seeleute, keinen neuen Vertrag zu bekommen“, erklärt Ristau.

Neue Station in Panama

Nach Extremsituationen an Bord hilft die Psychosoziale Notfallversorgung. 45 ausgebildete DSM-Experten seien rund um die Uhr erreichbar und unterstützen bei der psychischen Bewältigung von schweren Arbeitsunfällen, Todesfällen, Piratenangriffen, lebensbedrohlichen Stürmen oder Schiffskollisionen. „Solche Situationen steckt keiner einfach so weg“, sagt Ristau. Das Angebot wurde in den vergangenen Jahren massiv ausgebaut.

Die DSM will weiter wachsen, in Panama wurde eine neue Station eröffnet. „Es gibt noch so viele Häfen, wo wir gebraucht werden“, sagt der DSM-Chef, der dabei nicht nur Arbeiter auf dem Frachtschiff, sondern auch Kreuzfahrt-Crews im Blick hat. Ihre mentale Belastung sei oft noch höher. Vor allem günstige Reedereien sparen am Personal, für sie gebe es nur laute Mini-Gemeinschaftskabinen, der Stresspegel sei hoch, die Müdigkeit auch. Noch dazu herrsche in Crews mit 1.500 Menschen „eine ganz andere Dynamik“ als auf Containerschiffen mit 20 Mann. Obendrein gelte für Service-Personal sowohl die „Immer-schön-lächeln-Regel“ als auch das „Gäste-haben-immer-Recht-Gesetz“. Ristau kritisiert: „Manche Gäste behandeln das Personal, als wären es keine Menschen.“ Belastende Konflikte, die Frachtschiff-Seeleute nicht haben. „Container diskutieren ja nicht“, sagt Ristau und lacht.