Schule ohne Grenzen: „Das Zauberwort heißt Begegnung“

„Es ist kalt, deshalb habe ich eine dicke Jacke an.“ „’Wie kann man den Satz umstellen?“ „Weil es kalt ist, habe ich eine dicke Jacke an.“ Zwölf Menschen aus Afghanistan, dem Irak, der Ukraine, Gambia und Eritrea sitzen an einem trüben November-Nachmittag im Willkommenskulturhaus in Hamburg-Altona um einen langen Tisch. Lehrerin Karin Ellies spricht über Nebensatz- und Hauptsatz-Konjunktionen, die Schülerinnen und Schüler bilden Beispielsätze.

Seit zehn Jahren bietet die „Schule ohne Grenzen“ in Hamburg Deutschunterricht für geflüchtete Menschen an. Sie entstand 2013, als Hunderte junge Afrikaner aus Libyen nach Lampedusa fliehen mussten und von dort nach Hamburg gelangten, wo sie in der St. Pauli-Kirche und später auch in der Christianskirche in Ottensen untergebracht wurden. Mit ihrem Wunsch, schnell Deutsch zu lernen, trafen sie auf Menschen aus dem Stadtteil, die gerne helfen wollten. Am 6. Dezember 2013 fand der erste Unterrichtstag im Büro der Pastorin im Gemeindehaus in Ottensen statt.

Heute unterrichten etwa 20 ehrenamtliche Lehrerinnen und Lehrer jeden Tag vier Kursgruppen mit jeweils etwa zwölf bis 15 Geflüchteten. „Die meisten Sprachkurse sind für schnell lernende Menschen konzipiert“, sagt Antje Kurz, zuständig für Bildungsarbeit im Willkommenskulturhaus, das 2017 aus der „Schule ohne Grenzen“ entstanden ist und diese heute beherbergt. Einige Menschen kämen in den klassischen Sprachkursen nicht mit, etwa wenn sie von ihren Fluchterfahrungen traumatisiert seien. „In der Schule ohne Grenzen kann jeder nach seinem Tempo lernen.“

Eine weitere Besonderheit: Hier fragt niemand nach dem Ausweis, dem Aufenthaltsstatus oder anderen Nachweisen. Jeder, der Deutsch lernen möchte, ist willkommen. Finanziert wird die „Schule ohne Grenzen“ von der Kirchengemeinde Ottensen und dem kirchlichen Entwicklungsdienst der Nordkirche; seit 2019 unterstützt das Bezirksamt Altona die Arbeit mit einem jährlichen Zuschuss.

Über die Jahre haben sich nicht nur die Herkunftsländer der Schülerinnen und Schüler gewandelt – waren es am Anfang vor allem afrikanische Geflüchtete, kamen ab 2015 viele Menschen aus Syrien dazu und seit 2022 aus der Ukraine. Auch der Frauenanteil ist stark gestiegen – von anfangs fast Null auf heute über 50 Prozent.

„Alle sind sehr nett hier“, sagt die 18-jährige Zeyneb Khavari aus Afghanistan in der Unterrichtspause. Seit einem Jahr kommt die junge Frau nachmittags in die „Schule ohne Grenzen“, vormittags besucht sie mittlerweile eine Berufsschule und bereitet sich auf ihre Ausbildung zur zahnmedizinischen Fachangestellten vor. Bis vor einem Jahr sprach sie überhaupt kein Deutsch – Englisch brachte sie sich im Flüchtlingslager Moria in Griechenland selbst bei. In der „Schule ohne Grenzen“ sei auch immer jemand da, wenn sie eine Frage außerhalb des Deutschunterrichts habe, sagt Zeyneb.

Zum Beispiel Waltraud Hornmann. Die 80-Jährige ist von Anfang an im Team dabei und übernimmt am liebsten Nachhilfestunden für einzelne Schüler. „Das Wichtigste an der Arbeit hier ist Zuwendung“, sagt die pensionierte Lehrerin. So bringt sie ihren Schützlingen nicht nur die deutsche Grammatik näher, sondern begleitet sie auch bei Behördengängen, übt mit ihnen Autofahren und ermutigt sie vor allem, ihre Pläne zu verfolgen. „Wenn ich dann ein Foto von einem Arbeitsvertrag geschickt bekomme, fühle ich mich großartig“, erzählt Hornmann und strahlt. Gerade erst hat eine andere Lehrerin einer jungen Afghanin geholfen, einen Praktikumsplatz in einer Apotheke zu bekommen. „Das Zauberwort in der Schule ohne Grenzen heißt Begegnung“, sagt Hornmann. „Und die Schüler unterstützen sich auch gegenseitig, wo sie können.“

Das bestätigt auch der 20-jährige Mahdi Saboori aus Afghanistan, der Deutsch lernt, um eine Ausbildung als Elektrotechniker beginnen zu können. An seinem ersten Tag in der „Schule ohne Grenzen“ sei er gleich sehr freundlich von einem Mitschüler begrüßt worden. „Alle hier sind sehr nett, die Schüler und die Lehrer“, findet er. „Und wenn sie nett zu dir sind, kannst du auch besser lernen.“