Schriftstellerin Anne Hansen über Lebensfreude – dank Schafen

Schafe und Hoffnung – diese Themen gehören zu Ostern. Und um sie geht es auch im neuen Buch von Anne Hansen, „Und dann kam Lämmchen“. Wie beides zusammenhängt, erklärt die Bestseller-Autorin im Interview.

Unter dem Künstlernamen Rosa Schmidt hat Anne Hansen bereits Bestseller veröffentlicht. Ihr neuestes Buch erzählt eine persönliche Geschichte: Ausgebremst von einer Erkrankung, kehrt sie mit ihrem Mann von Berlin zurück in ihre nordfriesische Heimat – und findet durch Schafe wieder Lebensfreude. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht Hansen über „Lämmchen“ und seine Herde, über Haus- und Nutztiere und über das kleine Glück.

KNA: Frau Hansen, Ihr Buch handelt vom „unterschätztesten Tier der Welt“ – warum sind Schafe so unterschätzt?

Anne Hansen: Ich bin in Nordfriesland quasi mit Schafen aufgewachsen – nicht direkt, aber hier trifft man gefühlt alle paar Meter ein Schaf. Obwohl ich 20 Jahre hier gelebt habe, sind Schafe immer komplett an mir vorbeigegangen. Sie laufen weg, wenn man sich ihnen nähert, und sie haben nicht das beste Image: Viele halten sie für ein bisschen doof, sie scheinen kopflos hintereinander herzurennen und nur zu fressen. Ich fand sie zwar immer hübsch, habe aber erst jetzt gemerkt, dass ich ihnen Unrecht getan hatte.

KNA: Warum?

Hansen: Am meisten hat mich erstaunt, dass Schafe wirklich Individuen sind. Das kenne ich von anderen Tieren, ich war eine begeisterte Reiterin, und bei Pferden zum Beispiel ist klar, dass sie unterschiedliche Charaktere haben. Bei Schafen wäre ich im Traum nicht darauf gekommen. Optisch konnte man manche von ihnen kaum unterscheiden, aber im Charakter waren sie so verschieden, dass es eigentlich Wahnsinn ist, diese Tiere zu essen. Außerdem hat mich von den Socken gehauen, dass sie eine eigene Motivation hatten, Zeit mit uns zu verbringen. Wir haben sie nie gefüttert, um sie anzulocken oder ihnen etwas beizubringen, und die Erkenntnis war wunderschön: Die hängen einfach gerne mit uns ab!

KNA: Oft haben Schafe ein qualvolles, kurzes Leben, bevor sie auf dem Teller enden – während Menschen ihre Haustiere verwöhnen …

Hansen: In unseren Breitengraden ist es undenkbar, einen Hund oder eine Katze zu essen. Die liegen auf dem Schoß, man lebt mit ihnen unter einem Dach und will nur das beste Futter für sie. Allerdings: Das Futter, das viele Hunde und Katzen bekommen – das waren auch mal Tiere. Wir Menschen haben ein schizophrenes Verhältnis zu Tieren entwickelt, und Nutztiere sind uns oftmals ziemlich egal.

KNA: Was kann man dagegen tun?

Hansen: Mir geht es nicht darum, zu missionieren im Sinne von „alle müssen vegetarisch leben“. Aber es wäre viel wert, sich bewusst zu machen, dass es Individuen sind, die wir verspeisen. Vor diesem Hintergrund konsumiert man vielleicht bewusster und bewahrt Respekt vor dem Tier. Viele Menschen sind schockiert, wenn sie Bilder von Schlachthöfen sehen oder von Ställen, in denen sich die Tiere kaum bewegen können Es würde mich sehr freuen, wenn mein Buch zu diesem Bewusstsein ein klitzekleines Bisschen beitragen könnte.

KNA: Sie erläutern auch einige fachliche Hintergründe zu Schafen. Hat Sie eine Erkenntnis besonders überrascht?

Hansen: Einige – zum Beispiel, dass diese Tiere intuitiv wissen, was sie fressen können und was ihnen nicht gut tut. Sie sind laut Studien außerdem viel schlauer, als wir denken. Zum Beispiel können sie sich menschliche Gesichter über längere Zeiträume merken und erkennen die Personen wieder, auch aus verschiedenen Perspektiven oder auf Fotos. Ebenso haben sie untereinander Freundschaften und Antipathien.

KNA: Könnten wir von Schafen etwas lernen?

Hansen: Ich gehöre zur Fraktion der Grübler, hänge oft in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Wenn ich mich von den Schafen verabschiedet habe, hätte ich mich durchaus gefreut, wenn „Lämmchen“ mir am Gatter hinterhergetrauert hätte (lacht). Aber er hat sich einfach umgedreht und weitergefressen. Natürlich hat er es genau richtig gemacht: Er hat die Zeit mit mir genossen, aber auch ohne mich ging das Leben weiter. So könnten wir von Tieren also lernen, mehr im Moment zu leben.

KNA: In Ihrem Buch geht es um eine existenzielle gesundheitliche Krise. Kann man aus einer solchen Erfahrung gestärkt hervorgehen?

Hansen: Ehrlich gesagt, hätte ich gern darauf verzichtet. Ich bin kein Fan von Sprüchen wie „in jeder Krise liegt eine Chance“ oder „daran wachsen wir“. Aber ich glaube, dass ich jetzt besser damit umgehen könnte, sollte mich noch einmal eine ähnliche Krise erwischen.

KNA: Warum?

Hansen: Ein Punkt ist die Akzeptanz. Eben nicht zu grübeln, warum es gerade mich getroffen hat. Bei mir lag ein Behandlungsfehler zugrunde, und ich habe lange damit gehadert: Wäre ich doch in ein anderes Krankenhaus gegangen, hätte doch ein anderer Arzt gerade Dienst gehabt. Das war rückwärtsgewandt und führte zu nichts. In der Hand hat man nur, wie es weitergeht – sich das klarzumachen und entsprechend zu handeln, ist eine große Leistung. Dazu gehört auch jenseits von schweren Krisen die Erkenntnis, dass es nicht immer an allen Fronten toll sein muss – oder kann.

KNA: Was hat Ihnen noch geholfen?

Hansen: Als ich krankheitsbedingt ausschließlich liegen konnte, dachte ich: „Jeder, der draußen herumlaufen kann, müsste eine Sektflasche aufmachen.“ So erlebt man plötzlich Dankbarkeit für scheinbar normale Dinge. Wichtig ist, sich auf das zu besinnen, was man hat, was gut läuft, sich das Schöne vor Augen zu halten – denn vieles ist eben keine Selbstverständlichkeit.

KNA: In Ihrem Buch beschreiben Sie vieles, auch Krisenmomente, in heiterem Ton. Wie wichtig ist Humor in schwierigen Zeiten?

Hansen: So blicke ich wohl aufs Leben: Ich sehe immer auch etwas Ironisches. Daher sind alle meine Bücher humorvoll, und auch diesmal wollte ich kein bedrückendes Buch schreiben. Für mich ist Humor existenziell – wenn er uns vergeht, haben wir wirklich ein Problem. Natürlich gibt es einschneidende Erlebnisse und Zeiten, in denen einem nicht zum Lachen zumute ist. Gerade dann ist es wichtig, immer wieder Schönes zu suchen – und kleine Anlässe zum Schmunzeln, bevor daraus wieder ein richtiges Lachen werden kann.

KNA: Generell erleben viele Menschen die Zeiten als turbulent und belastend. Haben Sie einen Tipp, wie man damit umgehen kann?

Hansen: Das stimmt, generell scheinen wir uns alle von Krise zu Krise zu hangeln. Hilfreich kann es sein, sich dem zu stellen und sich eine Art Panzer zu schaffen, um diese Zeiten durchzustehen. Dazu kann auch gehören, an den eigenen Erwartungen zu schrauben. Wenn alles immer perfekt sein muss, können wir daran eigentlich nur scheitern. Die Natur erdet zum Beispiel unglaublich – in meiner Zeit mit den Schafen haben mich Themen beschäftigt wie: Hoffentlich hat „Lämmchen“ bald keinen Durchfall mehr. In Berlin hatte ich schon manchmal „fomo“, also die Angst, etwas zu verpassen. Dabei braucht es oft weniger, als man meint.

KNA: Zum Glück gehört manchmal auch der Zufall …

Hansen … und dafür braucht man Offenheit. Vieles weiß man nicht im Voraus – ich hatte nicht geplant, die Schafe so ins Herz zu schließen. In ein solches Glück stolpert man eher hinein, wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht. Dann muss nicht alles perfekt sein, sondern dann denkt man plötzlich: „Ich sitz am Deich, streichle ein Schaf – und alles ist gut.“