Schluss mit „Gelobt sei, was hart macht“

Die Hamburger Alt-Bischöfin Maria Jepsen trifft als junge Pfarrerin auf die raue Wirklichkeit von Leid und Benachteiligung. Sie selbst wird zur ersten lutherischen Bischöfin der Welt. Ihre Theologie entwickelt sich dabei ins Sanft-Feministische

© epd-bild / Stephan Wallocha

Maria Jepsen, erste lutherische Bischöfin der Welt, hat eine Kämpfernatur. Sonst hätte sie die ganzen Anfechtungen, die ihr als Frau im Pfarramt und später als Bischöfin begegneten, wohl nicht überstanden.
An diesem Tag trägt Maria Jepsen zur grauen Hose einen bunten, rot-grauen Pullover, rote Schuhe und einen Mantel mit Tupfen. Als Bischöfin kam sie im Amt stets streng und formal rüber. Das war wohl auch der weißen Halskrause geschuldet. Seit mehr als 400 Jahren tragen evangelische Pastoren in Hamburg zum Talar ein solches „Wagenrad“. Heute erscheint sie fröhlich und locker. Seit acht Jahren ist sie im Ruhestand, lebt mit ihrem Mann Peter in Husum an der Nordsee. Entspannt schaut sie zurück – auch auf die Kirche, die eine ganz andere war, als sie Theologie studierte.

1968: Theologen müssen auf der Straße sein

1968 war Maria Jepsen, die aus einem sehr konservativen norddeutschen Elternhaus stammt, 23 Jahre jung. „Als die Unruhen kamen, sollten wir auf Anordnung der Professoren, damals alles Männer, mitdemonstrieren“, erinnert sich die Altbischöfin. Sie habe sich nicht so richtig vorstellen können, was sie in Marburg und Tübingen, ihren Studienorten, ausrichten, wofür oder wogegen sie demonstrieren solle.
Ein Theologe müsse auf der Straße sein, bei den anderen, habe die Devise gelautet. Die Studentinnen und Studenten könnten das Geschehen nicht so einfach hinnehmen, sie müssten sich mit den Protesten kritisch auseinandersetzen, welche Position sie dann auch immer einnehmen würden.
Als artige Studentin sei sie der Aufforderung gefolgt. „Ich sah das als staatsstudentische Pflicht an, begreifen konnte ich es eigentlich nicht“, sagt Maria Jepsen. „An der Uni wollte ich so sein wie die Männer“, erinnert sie sich. Es habe ja auch gar kein anderes Vorbild gegeben. Als sie dann eine Pfarrstelle bekam in einer Gemeinde, fühlte sie sich herausgefordert, „ordentlich“ aufzutreten. „Es gab weit und breit keine Pastorin in einer Gemeinde. Ich musste zeigen, dass Frauen das auch können.“ Sie habe Angst gehabt, dass es sich sonst erledigt hätte mit Frauen im Gemeindepfarramt.

Beweisen, dass Frauen das auch können

Auch ihr Mann Peter war Pfarrer. Die beiden arbeiteten als erstes Ehepaar gemeinsam in einer Gemeinde. „Ich habe meinen Mann damals immer beneidet, denn er hatte keinen Druck. Er konnte faul sein, was er auch war. Das fand ich immer faszinierend. Ich konnte es nicht, denn zusätzlich hatte ich viele Ehrenämter übernommen. Es gab noch nicht einmal einen halben freien Tag für mich selbst“, klagt sie.
Nach und nach lernte Maria Jepsen, eigene Bedürfnisse zu formulieren. Außerdem stellte sie im Rahmen ihrer Arbeit fest, dass es Frauen gab, die nicht so privilegiert waren wie sie selbst. Zum Beispiel bei der Visitation eines Müttergenesungsheimes. „Das waren Frauen aus dem Ruhrpott. Als ich ihre Lebensgeschichten hörte, hat es bei mir einen Knacks gegeben.“ Da sei Schluss gewesen mit ihrem Mantra „Gelobt sei, was hart macht“. Denn es habe ja viele Menschen gegeben, die Hartes hätten ertragen müssen. Sie hätten das nicht noch fröhlich loben können.

Klar auftreten, nicht kneifen

In dieser Zeit sei die feministische Theologie aufgekommen. Sie habe gelernt, die Dinge aus dem Blickfeld von Frauen und für Frauen zu sehen. Auf der anderen Seite habe sie auch gesellschaftlich das männlich Geprägte wahrgenommen und versucht, beides zusammenzubringen. „Die Belange von Frauen sollten nicht mehr unterdrückt werden, auch theologisch nicht. Ich habe die Bibel ganz neu kennengelernt“, erinnert sich Maria Jepsen.
Das trug ihr den Beinamen sanfte-feministische Bischöfin ein. „Ich war im Pastorenkonvent oder in Gemeindekreisen meistens die einzige Frau. Ich musste klar auftreten, konnte nicht kneifen, musste standhalten, deshalb war ich manchmal ein bisschen zurückhaltender, wenn es um Frauenfragen ging“, erklärt sie.
Dennoch gab es einen Sturm der Entrüstung, als sie Anfang der 1990er-Jahre für das Amt der Bischöfin für den Sprengel Hamburg der nordelbischen Kirche kandidierte – und als erste Frau weltweit dann auch gewählt wurde. Sie bekam sehr viele Drohbriefe, die bis zur Mordankündigung reichten. Es sei eine geistliche Kastastrophe, Pastoren wollten aus der Kirche austreten, sie werde in der Hölle landen. „Das war hart“, befindet Maria Jepsen kurz.

Der Respekt vor Frauen war nicht groß

1968 war da lange vorbei. Man schrieb das Jahr 1992. Hat sich seither nichts geändert?
„Doch, eine ganz Menge“, findet die Theologin. „Aber was nützen 20 Zentimeter, wenn der Weg fünf Meter lang ist?“, fragt sie. Sie hätten längst nicht das erreicht, was die junge Generation 1968 sich vorgenommen hatte und wovon sie selbst Mitte der 1970er Jahre noch ausgegangen sei. „Ich kenne das ja auch noch gut aus den kirchlichen Gremien in den 1980er Jahren. Sobald eine Frau den Mund aufmachte, schauten die Männer auf die Uhr. Und machten Bemerkungen wie: ,Das reicht, Sie wiederholen sich.‘ Während die Männer endlos redeten.“ Der Respekt vor Frauen sei bis in die 1990er Jahre hinein nicht sehr groß gewesen.
2010 ist Jepsen nicht ganz freiwillig aus dem Bischofs-Amt geschieden. Es gab Missbrauchsvorwürfe gegen einen Pastor in Ahrensburg – seit 1999. Passiert sein sollen die Fälle in den 1980er Jahren. Sie soll den Anschuldigungen nicht entsprechend nachgegangen sein, lautete der Vorwurf.

Keine Ruhe geben beim Kampf der Geschlechter

Sie habe dazu keinen eindeutigen Auftrag gehabt, sagt Jepsen. Es ist eh Schnee von gestern. Frauen übernähmen eben eher Verantwortung als Männer.
Auch heute noch sieht sie eine Ungleichheit der Geschlechter. „Wir dürfen erst Ruhe geben, wenn es drei Generationen lang normal ist, dass Frauen nicht benachteiligt werden. Bis dahin müssen wir wachsam sein und kämpfen. Wir dürfen nicht nachlassen. Deswegen kann ich mich aufregen, wenn Jüngere sich zurücklehnen und sagen: Ist doch alles erreicht. Nichts haben wir erreicht.“
Aber einiges habe sich durchaus verändert. Inzwischen seien weltweit viele Bischöfinnen im Amt. Frauen im Pfarramt seien heute in Deutschland normal. Es gäbe halbe Stellen, die Basis würde mitreden. Gottesdienste in anderen Formen und an anderen Orten seien entstanden. Es existiere viel Freiheit in der Kirche, zugleich sei aber auch ein Verlust an theologischer Tiefe zu beklagen. Die Verwaltung sei eine Zwangsjacke.

Die Anrede „Herr“ in der Bibel stört sie nicht

Maria Jepsen hadert mit manchem. „Ich habe zum Beispiel meine Schwierigkeiten mit der Übersetzung der Bibel in gerechte Sprache“, bekennt sie. „Ich bin konservativ und finde das lutherische Deutsch schön!“
Für sie sei Gott Gott. Die Anrede „Herr“ störe sie in biblischen Texten nicht. In Liedern könne sie es allerdings nicht ertragen, wenn dort nur die männliche Form vorkomme. „Wir sind verpflichtet, das zu ändern, weil es keine sakrosankte Sprache ist“, findet die Altbischöfin. Und wenn sie von etwas überzeugt ist, dann sagt sie es auch.
Und sie handelt. Zum Beispiel engagiert sie sich als Vorsitzende des Freundeskreises für die KZ-Gedenkstätte Husum-Schwesing, ein Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme.
Und was macht sie besonders gerne? Sie besucht Galerien, Ausstellungen, Kunst- und Flohmärkte. Sie liebt den weiten Blick über das Land. Und immer noch liest sie Texte aus dem hebräischen Alten Testament: „Hebräisch ist voller Poesie und durchdringt das Leben bis in den profanen Alltag hinein.“