Rink: Isolierung der Streitkräfte von der Zivilgesellschaft wäre gefährlich

Solidarität mit den Soldaten. Die wünscht sich Sigurd Rink, der seit 2014 als erster hauptamtlicher Militärbischof für die EKD aktiv ist. In seinem kürzlich erschienen Buch „Können Kriege gerecht sein?“ beklagt er den schlechten Ruf der Bundeswehr. Tilman Asmus Fischer fragt nach. Wie ist militärische Gewalt mit der biblischen Friedensbotschaft in Einklang zu bringen? Und wie lässt er sich definieren, der buchtitelgebende „gerechte Krieg“?

Früher demonstrierte Sigurd Rink als Fundamentalpazifist gegen den Nato-Doppelbeschluss. Der Völkermord in Ruanda brachte ihn dazu, seine Überzeugungen in Frage zu stellen. Seit er 2014 zum ersten hauptamtlichen Militärbischof der Evangelischen Kirche in Deutschland vom Rat der EKD ernannt wurde, reist er regelmäßig in Krisengebiete wie Afghanistan, Mali oder den Nahen Osten. Er erlebt hautnah, wie gefährlich und seelisch belastend ein Militäreinsatz ist, und sieht die moralische Herausforderung, mit der die Soldaten und auch die Seelsorger konfrontiert werden. Im Gespräch mit Tilman Asmus Fischer spricht er über Friedensethik, mangelnde Anerkennung von Soldaten in Gesellschaft und Kirche, die friedenspolitische Tradition der Kirche im Osten und Jugendoffiziere an Schulen.

Herr Bischof Rink, wie ist die biblische Friedensbotschaft für Sie mit militärischer Gewaltausübung in Einklang zu bringen?Für mich ist die wichtigste Erkenntnis das, was das Alte Testament ausführt: der Grundsatz „Frieden durch Recht“. Es geht darum, eine Rechtsordnung aufzubauen, die befriedet, die sich kristallisiert in den Zehn Geboten mit dem zentralen Gebot: „Du sollst nicht töten.“ Das Gewaltmonopol der Obrigkeit soll sich nicht willkürlich gestalten, sondern Gewalt limitieren und kanalisieren. Dementsprechend ist für Martin Luther zentral, dass ein Verteidigungskrieg geboten sein kann, um Familie, Dorf, Stadt, Land zu schützen – aber nur, wenn er den Kriterien des „gerechten Krieges“ genügt: legitime Autorität des Kriegsführers, gerechter Grund – etwa erlittenes Unrecht – und Wiederherstellung von Frieden als Ziel des Krieges.

Wie verhält sich diese Idee eines „gerechten Krieges“ mit derjenigen des „gerechten Friedens“?Hier haben wir es mit einem Komplementärverhältnis zu tun, und zwar dergestalt, dass die Vision einer Gesellschaft immer sein muss, eine Gesellschaft des nachhaltigen gerechten Friedens zu werden. In der Ultima Ratio des Geschehens – also im Extremfall – kann oder muss es aber auch vonseiten der Gesellschaft eine rechterhaltende oder rechterzwingende Gewalt geben.

Dies dürften Sie als junger Theologe anders gesehen haben. Wie hat sich in den vergangenen Jahren Ihre Haltung zum Pazifismus gewandelt?Es gehört zu einem christlichen Zeugnis immer dazu, dass solche Stimmen ihren Raum haben. Und der fundamentale Pazifismus ist zunächst einmal in der gesellschaftlichen Debatte eine notwendige Stimme. Ich selbst bin allmählich zu der Überzeugung gelangt, dass man, gerade wenn man christlichen Glauben gesellschaftspolitisch versteht, nicht um eine verantwortungsethische Sicht auf die Dinge herumkommt.

Wie sieht diese Perspektive für Sie konkret aus?Ausgehend von Besuchen in vielen Krisengebieten habe ich den Eindruck, dass uns in Deutschland manchmal gar nicht bewusst ist, wie wir durch die klare Ordnung und Durchsetzung eines staatlichen Gewaltmonopols auch eine Form der Befriedung für unsere Gesellschaft gewonnen haben. Es ist nämlich alles andere als romantisch, in einer Gesellschaft zu leben, die kein klares gesellschaftliches Gewaltmonopol hat und in der sich am Ende nicht die Stärke des Rechts, sondern das Recht des Stärkeren durchsetzt.

Innerhalb der EKD gibt es eine Vielfalt friedensethischer Positionen. Welche Bedeutung hat für Sie die friedensethische Tradition der östlichen Landeskirchen?Durch die DDR-Geschichte und das Unrecht dieser Zeit war der Blick auf weltliche Obrigkeit, zu der auch die Streitkräfte der Nationalen Volksarmee (NVA) gehörten, sehr kritisch. Die westlichen Landeskirchen sind zwar auch kritisch gegenüber Streitkräften, jedoch aus einer anderen Motivation heraus. Es ist wichtig, die spezifische kritische Perspektive der östlichen Landeskirchen zu hören. Aber gleichzeitig leben wir heute in der Bundesrepublik in einer Gesellschaftsordnung, wo die Streitkräfte – hoffentlich noch lange – eingebunden sind in ein System demokratischer Kontrolle und sich Soldaten als Bürger in Uniform verstehen, sodass die Bundeswehr über eine ganz andere Legitimation verfügt als die NVA.

In Ihrem aktuellen Buch beklagen Sie dennoch mangelnde Anerkennung, teils Missachtung gegenüber Soldaten in der deutschen Öffentlichkeit. Worin bringt sich diese abwertende Haltung zum Ausdruck?Die Tatsache, dass Soldaten bei uns in der Öffentlichkeit in aller Regel nicht Uniform tragen, ist ein Signum dessen. Denn in der Regel begegnet ihnen nicht – wie etwa im angelsächsischen Raum – eine Haltung der Wertschätzung, sondern im schlimmsten Fall Verunglimpfungen und Pöbeleien. Bis hin dazu, dass die Bundeswehr inzwischen so wenig in der Öffentlichkeit präsent ist, dass Leute kaum noch erkennen, ob es sich um eine Bundeswehruniform handelt oder etwa um eine der Feuerwehr oder eines anderen Dienstes. Das drückt für mich fehlende Solidarität mit den Soldaten aus.

Die Präsenz der Bundeswehr in der Öffentlichkeit ist vielfältig umstritten: wenn ein Musikkorps der Bundeswehr uniformiert an einem Gottesdienst oder Konzert in einer Kirche mitwirkt, wenn Jugendoffiziere an öffentlichen Schulen zu Gast sind. Wie positionieren Sie sich in diesen Debatten?Weil ich ein positives Verständnis der Institution Bundeswehr im Rahmen unserer Gesellschaftsordnung habe und auch weiß, dass viele Soldaten sich als Christen verstehen, habe ich hiermit kein Problem. Und: Wenn ich sage, zu einem geordneten Staatswesen gehört, dass die Ordnung nach Innen und Außen gewährleistet ist, dann können Soldaten ebenso in Schulen auftreten wie Polizisten oder andere Kräfte. Bei dem Wirken der Jugendoffiziere handelt es sich nicht um Rekrutenwerbung, sondern um politische Bildungsarbeit. Wo es diese nicht gibt, droht eine Isolierung der Streitkräfte von der Zivilgesellschaft – dies hatte, unter anderen Vorzeichen, in der Weimarer Republik fatale Folgen.

Ziviles Element innerhalb der Bundeswehr zu sein, gehört zum Selbstverständnis der Militärseelsorge. Wie verstehen Sie Ihr Amt? Dieses wird teils als das des „Militärbischofs“, teils als das des „Bischofs für die evangelische Seelsorge in der Bundeswehr“ bezeichnet. Erstes klingt militäraffin, letztes betont eine Distanz.Im Gegenüber zum Staat und zur Öffentlichkeit verwenden wir – entsprechend dem Militärseelsorgevertrag – die Bezeichnung „Militärbischof“. Der andere Begriff hat sich in der Diskussion mit den östlichen Landeskirchen in der Nachwendezeit ergeben und wird seither im binnenkirchlichen Bereich, also etwa in Synodalberichten, verwendet. Auch ich stehe voll hinter ihm, da er sehr präzise meine Aufgabe beschreibt. Aber medial – übrigens auch katholischerseits – wird eben vom „Militärbischof“ gesprochen. Und wer weiß, vielleicht ist ein solcher Stolperstein auch für etwas gut. Denn er führt dazu, dass man sich Fragen stellt: Wozu brauchen Soldaten überhaupt Seelsorge? Wie stehe ich zur Institution Bundeswehr?

Ende Mai erschien das Buch von Sigurd Rink „Können Kriege gerecht sein? Glaube, Zweifel, Gewissen – wie ich als Militärbischof nach Antworten suche“ im Ullstein-Verlag.