Rainer Eppelmann der letzte Abrüstungsminister

Der Theologe, DDR-Bürgerrechtler und Politiker Rainer Eppelmann wird am 12. Februar 80 Jahre alt. Ein Besuch bei einem, der aneckte.

Saß vier Legislaturperioden im Bundestag: Rainer Eppelmann.
Saß vier Legislaturperioden im Bundestag: Rainer Eppelmann.epd/Hans Scherhaufer

Berlin. Da sitzt er in dem großen Besucherraum auf einem eleganten dunklen Ledersofa. Rainer Eppelmann, blaue Strickjacke, die Augen voller Schalk, Berliner Dialekt, treffe ich in Berlin-Mitte in der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, deren Vorsitzender er ist. Die moderne Deckenbeleuchtung ist grell, draußen senkt sich die Dunkelheit. Die Reise geht durch sein Leben, in dem er Maurer, Pfarrer, gleich zweimal Minister und Bundestagsabgeordneter war. Am 12. Februar wird er 80 Jahre alt.

In all den Jahren war Eppelmann Gehorsam und Anerkennung von Hierarchien ebenso suspekt wie Menschen, die bierernst und selbstbezogen durchs Leben gehen. Auch wenn er aus einem ganz und gar nicht kirchlichen Elternhaus kommt, hat er aus einem tiefen christlichen Glauben heraus als Pfarrer und später als Politiker die Gesellschaft mitgestaltet, war einer der wichtigen Akteure der Fried­lichen Revolution.

Im Bombenhagel auf Berlin im Februar 1943 geboren, wird er bei den Erinnerungen an die frühe Kindheit ernst. Da ist der „entsetzliche Hunger“, den er nie vergessen kann – so wenig, wie das Foto seines „Erzeugers“, das ihm die Mutter zeigte. Den suchten die Alliierten, weil er SS-Mann war. Auf einem Dachboden in Pankow hatte sich sein Vater, der später im Westen untertauchte, versteckt.

Der Mauerbau und geplatzte Träume

Neben der Mutter gibt es für Eppelmann vor allem die Großmutter, die dafür sorgt, dass der Junge – mit sechs Jahren – getauft wird. Später in Hohenschönhausen ist es die Gemeindehelferin, die für ihn zu einer Art „Vizemutter“ wird, ihm das Neue Testament als Rüstzeug fürs Leben nahebringt. Das kann er auch gebrauchen, denn 1961 platzen mit dem Bau der Berliner Mauer auch die Träume des damals 18-Jährigen.

Bis dahin hat er ein Gymnasium im Westberlin besucht, er wollte Pilot oder Architekt werden. Im Osten wird ihm nun das Abitur versagt, weil er eine Schule im Westen besucht hat. „Ulbricht meinte wohl, der Junge hat genug gelernt“, schmunzelt Eppelmann. Es folgt eine Maurerausbildung im Wohnungsbaukombinat in Berlin-Lichtenberg. Als er die abbricht, wird er zum NVA-Dienst eingezogen und verweigert.

Niemals unbedingt gehorsam sein

Pazifist ist er Zeit seines Lebens geblieben. Die Wurzeln liegen in einer tiefen Gläubigkeit und seiner Beschäftigung mit der Bibel in der Jungen Gemeinde. Hier hat er das 5. Gebot „Du sollst nicht töten“ verinnerlicht, hört aber auch von Mahatma Gandhi und Martin Luther King. Und lernt von Dietrich Bonhoeffer, dass es „unbedingten Gehorsam“ gegenüber Menschen nie geben darf.

Es folgt die Einberufung zum waffenlosen Bausoldatendienst. Er verweigert das Gelöbnis zum Gehorsam und wird von einem Militärgericht in Neustrelitz zu acht Monaten Haft verurteilt. Es ist eine Zeit, die tief in sein Leben eingreift. Dazu gehört nicht nur das Schuften in der Gießerei, sondern auch die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten.

Jeder Mensch ist politisch

Jörg Hildebrandt ist einer von ihnen. Eppelmanns „unerbittlich klare Ansage in freundlich warmem Berliner Sound“ sei auch für ihn ermutigend gewesen: „Meinen Weg suche ich mir selber, mit Gottes Hilfe, nicht auf Befehl des Militärs oder – viel später – auf Anweisung des Konsistoriums“, erinnert sich der langjährige Lektor der Evangelischen Verlagsanstalt und spätere Hörfunkjournalist. So sei Eppelmann für ihn zeitlebens ein Stachel im Fleisch geblieben. Denn es brauche Menschen, „die wohlgemut Anstoß erregen und die Lust nicht verlieren, lästig zu bleiben“.

Nach Haft und Bausoldatenzeit beginnt Eppelmann eine Ausbildung an der Ostberliner Predigerschule Paulinum. Hier konnten junge Menschen ohne Abitur ein Theologiestudium absolvieren. Schon damals habe ihm der spätere Konsistorialpräsident Manfred Stolpe, den Eppelmann immer wieder als treuen Beistand erwähnt, sehr geholfen. Er wird Pfarrer an der Berliner Samariterkirche und Jugendpfarrer seines Kirchenkreises. Inzwischen hat er auch seine erste Frau Eva geheiratet, mit der er fünf Kinder hat.

Dass Politik und Glauben keine zwei Welten sind, sondern sich bedingen – auch das hat er bei Bonhoeffer gelernt. „Jeder Mensch, egal wo und welchen Glaubens, ist ein politisches Wesen.“ Das hat ihn sein Leben als Pfarrer wie als Poli­tiker begleitet. Ebenso wie der Grundsatz: „Nimm den anderen genauso ernst wie dich selbst.“

Zu seinem Markenzeichen werden in den 1980er Jahren die von ihm verantworteten Bluesmessen – zunächst in der Samariterkirche, später, aus Platzgründen, in der Erlöserkirche, wo sich bis zu 8 000 Jugendliche aus der gesamten DDR versammeln. Gut bewacht von der DDR-Staatssicherheit, die es längst auch auf das Leben des Pfarrers abgesehen hat.

Als dann die Friedensarbeit immer mehr Gewicht bekommt, ebbt das Interesse an den Bluesmessen ab. Wieder sind für ihn Politik und Glauben untrennbar verbunden. Gemeinsam mit Freund Robert Havemann verfasst er 1982 den „Berliner Appell“ gegen die Hochrüstung in Ost und West – ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Friedlichen Revolution.

Gewaltlos auch gegenüber dem Feind

Unvergesslich ist ihm der Besuch bei Michail Gorbatschow im Februar 1990. DDR-Ministerpräsident Hans Modrow, der ihn gemeinsam mit fünf weiteren Vertretern der neuen Reformgruppen in sein Kabinett berufen hat, nimmt ihn nach Moskau mit. Im Gepäck hat Eppelmann ein besonderes Geschenk von seiner Tochter: eine Altarkerze, auf der das russische Wort „Spasibo“, also Danke, steht. Der sowjetische Präsident hat sie nicht ohne Rührung entgegengenommen.

Wenige Wochen später, nach den ersten freien Wahlen in der DDR, wird der Pazifist Eppelmann Minister für Abrüstung und Verteidigung. Doch wie hat er sich in der Armeehochburg Strausberg gefühlt? „Großes Fragezeichen“, sagt er, „ich wusste ja nicht, ob die Handgranaten in der Tasche haben.“ Für Rainer Eppelmann, der seinen Vorgänger Theodor Hoffmann zum Chef der Volksarmee macht, gilt auch hier, was für ihn immer gegolten hat: Veränderungen sind nur gewaltfrei möglich und das trifft auch für „Entfeindung“ zu. Dass ihm das gelungen ist, darauf ist er noch heute stolz.

In Schulen erzählen

Vier Legislaturperioden hat er im Bundestag gesessen, dann ist er auf eigenen Wunsch ausgeschieden. Heute ist er vor allem an Schulen des Landes unterwegs. „Alle, die heute 25 Jahre und jünger sind, kennen nur ein Leben in der Demokratie. So lernen sie nie den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur kennen“, sagt er.

Genau dazu passt auch sein Wunsch, einmal 93 Jahre alt zu werden. Schließlich sei er 46 Jahre alt gewesen, als die DDR aufhörte zu existieren. Mit 93 könnte er dann sagen: „Jetzt lebe ich schon ein Jahr länger in der Demokratie als zuvor in der Diktatur.“

Zum Nachhören und Nachlesen:
Christen auf dem Weg zur deutschen Einheit – „Irgendwie waren wir auch Träumer“. Ein Radiofeature über Rainer Eppelmann und damalige Mitstreiter im Deutschlandfunk unter:
www.deutschlandfunk.de/christen-auf-dem-weg-zur-deutschen-einheit-irgendwie-waren-100.html

TV-Hinweis:
Samstag, 11. Februar, 19 Uhr, Heimatjournal – Bänschstraße. In der Reportage wird auch die Samariter­kirche in Berlin-Friedrichshain besucht, in der die von Rainer Eppelmann gegründeten Bluesmessen stattfanden.

Buch-Tipp:
Rainer Eppelmann, Fremd im eigenen Haus. Mein Leben im anderen Deutschland, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017, 428 Seiten, 18,99 Euro