Orthodoxe Hymnen in ehemals katholischem Kloster

Dichter Nebel steigt an diesem Morgen über dem Kloster auf. Die ganze Nacht hindurch hat es geregnet, nun liegt das Tal der Lahn in dicken Schwaden, die gelben Türme der Klosterkirche hüllen sich in Dunst. In der dreischiffigen Basilika ist der Altarraum vom Dunst des Weihrauchs durchzogen, Kerzen brennen, dissonante Gesänge künden von der Entschlafung Mariä. Es ist ihr Festtag, der in der orthodoxen Welt zu den besonders wichtigen gehört.

Gefeiert wird dieser Ehrentag von den Nonnen des Heiligen Klosters Dionysios Trikkis und Stagon. Seit 2019 bewohnen sie die ehemalige Prämonstratenser-Abtei im Lahntal und beleben die im 12. Jahrhundert geweihten Räume wieder. 16 Nonnen gehören zum Konvent, der sich dem orthodoxen Patriarchat von Serbien zurechnet, in der Vergangenheit allerdings immer wieder jurisdiktionale Schwierigkeiten hatte.

Äbtissin ist Schwester Diodora, deren bürgerlicher Name Charlotte Stapenhorst lautet. Sie wurde durch Ilka Piepgras‘ Buch „Meine Freundin, die Nonne“ vor 13 Jahren auch weit über die orthodoxe Welt hinaus bekannt. Sie und ihre Schwestern hätten erst in Hildesheim gewohnt, berichtet sie, als sich die Möglichkeit auf die Übernahme des vormaligen Männerklosters unweit von Bad Ems ergab.

Zuvor gehörte Arnsteiner Patres das Kloster fast 100 Jahre lang. Als sie keinen Nachwuchs mehr fanden, gaben sie es auf und übergaben den Komplex an die orthodoxen Schwestern. Zum Festtag der Heiligen Nina, dem 1. Juni 2019, seien sie eingezogen, erzählt Äbtissin Diodora.

Seither gehört die Kirche zwar weiterhin zur katholischen Pfarrgemeinde, wird aber nur zweimal im Monat von dieser genutzt. Mit weniger als 400 Einwohnern ist der nahegelegene Ort Oberndorf zu klein, Wallfahrten finden nur selten statt. Der Kontakt zur katholischen Kirche im Bistum Limburg sei freundschaftlich und unterstützend, erzählt die Klostervorsteherin.

Während die Arnsteiner Patres Probleme hatten, die klösterliche Gemeinschaft zu erhalten, scheint dies für die orthodoxen Nonnen kein Thema zu sein. Interessierte und auch Novizinnen gehören fest zur Gemeinschaft.

An diesem Morgen haben sich neben den Schwestern und aus Griechenland stammenden orthodoxen Priestern auch einige Gäste zur Feier von Frühgottesdienst und Heiliger Liturgie eingefunden. Nahezu täglich kommen Menschen in das Kloster. Viele von ihnen seien Tagestouristen, manche würden aber auch über Nacht bleiben, erzählt Diodora. Dabei betont sie die „spürbare Spiritualität“, die von den orthodoxen Riten und Liturgien ausgeht.

Als konvertierte Protestantin weiß die gebürtige Göttingerin, wovon sie spricht. Und in der Tat: die dichten Weihrauchschwaden, das die Buntglasfenster durchdringende Morgenlicht und die Gesänge des byzantinischen Ritus – teils auf Griechisch, teils auf Deutsch – machen die großzügige Klosterkirche zu einem Ort, an dem Menschen Geistlichkeit erfahren können.

Eine von ihnen ist Liliya Papachristou. Zusammen mit ihrer fünfjährigen Tochter Marina hat sich die gebürtige Bulgarin aus dem Ruhrgebiet zu den Schwestern aufgemacht. Sie wolle ein paar Tage das religiöse Miteinander spüren und von der Welt etwas Abstand gewinnen, berichtet sie. Papachristou sitzt in einem der Chorstühle im Altarvorraum. Immer wieder bekreuzigt sie sich, betet zu Jesus und zur Jungfrau Maria, die nach orthodoxem Glauben nicht auferstanden, sondern lediglich mit ihrer Seele in den Himmel aufgefahren ist. Hier zu sein, das gebe ihr Kraft für den Alltag, sagt sie. Schwester Diodora, die auch mit dem Ehrentitel der Gerondissa angesprochen wird, habe sie schon vor dem persönlichen Kennenlernen beeindruckt.

Eine ähnliche Geschichte erzählen auch Franziska und Valeria. Die beiden jungen Frauen stammen aus der Nähe von Frankfurt am Main, haben ihre familiären Wurzeln in Rumänien und gehören der orthodoxen Kirche an. Aus dem Buch hätten sie von der Persönlichkeit Diodoras erfahren. Eine Recherche im Internet zeigte, dass die Nonne eine Gemeinschaft in Deutschland leitet. „Dann haben wir uns angemeldet und sind ins Kloster gekommen“, erzählt Franziska.

Aus Respekt tragen beide während ihrer gesamten Zeit ein Kopftuch. Sie unterstützen die Nonnen in der Küche und bei kleineren Hausarbeiten und dürfen dafür – so wie alle Gäste des Klosters – eine unentgeltliche Gastfreundschaft genießen. Belohnt werden sie mit Segen, Gebeten und der Atmosphäre, die nicht nur das Gold der Ikonen, sondern vor allem die den Nebel durchdringende Morgensonne erzeugt.