Norden will Regionalteil ins Gesangbuch bringen

Das Liedgut der lutherischen Kirchen in Norddeutschland stiftet Verbindung. Die arbeiten nun an einem gemeinsamen Regionalteil für das neue Gesangbuch.

Der Regionalteil soll viele verschiedene Gesangbücher vereinen.
Der Regionalteil soll viele verschiedene Gesangbücher vereinen.Julia Nolte

Wenn es Lieder gibt, die nach Meeresrauschen und Sturm, Watt und Weite klingen, dann müssen es wohl solche sein, die im Norden gesungen werden. Hier braust und saust der Sturmwind in den Textzeilen, hier bewegt und schlägt das Meer, und die Menschen bitten Gott, ihr Damm und Deich zu sein. EG 608. Wenn wir in Wassersnöten sein.

„In den Alpen würde das anders klingen“, sagt Hans-Jürgen Wulf, Landeskirchenmusikdirektor der Nordkirche, in seinem Büro im Dorothee-Sölle-Haus im Stadtteil Hamburg-Altona. Er hat kürzlich über Zoom drei Musikkollegen getroffen: Beate Besser aus Oldenburg, Karsten Krüger aus Braunschweig und Hans-Joachim Rolf aus Hildesheim – ebenfalls Landeskirchenmusikdirektoren. Ihr Ziel ist es, in einer Arbeitsgruppe einen gemeinsamen Liederteil für die Nordkirche, Bremen und die vier lutherischen Landeskirchen Niedersachsens zu entwickeln.

Gesangbuch bislang mit drei verschiedenen Regionalteilen

Bisher gibt es auf diesem Gebiet drei verschiedene Regionalteile im Evangelischen Gesangbuch, dazu zahlreiche Ergänzungsliederbücher und Beihefte wie LebensWeisen, freiTÖNE, ein deutsch-dänisches Gesangbuch, das Plattdüütsche Gesangbook oder den Band „Himmel, Erde, Luft und Meer“. In Wulfs Regal ist ein ganzes Fach für sie reserviert. Und daraus soll nun ein einziger Regionalteil werden?

Das evangelische Gesangbuch ist aus dem Gottesdienst nicht wegzudenken
Das evangelische Gesangbuch ist aus dem Gottesdienst nicht wegzudenkenepd-bild / Tim Wegner

Das erste Treffen sei positiv und freundlich gewesen, sagt Wulf. „Alle wollen versuchen, das hinzubekommen.“ Und: „Wir stehen ganz am Anfang.“

Den Beteiligten geht es nicht darum, bestimmte Lieder aus ihrer eigenen Region durchzuboxen, sondern eine Verbindung zu schaffen. Hans-Jürgen Wulf sagt: „Es ist ein schönes Signal, wenn wir über die Landeskirchengrenzen hinweg die Regionalteile des Gesangbuchs zusammenfassen und zeigen, dass es auf der anderen Seite der Elbe weitergeht.“

Gemeindegesang – Markenzeichen der lutherischen Kirche

Und dass es mit dem Singen weitergeht! 500 Jahre nach Erscheinen der ersten gedruckten Gesangbücher sei der Gemeinde­gesang noch immer ein Markenzeichen der lutherischen Kirche. Singen bezieht Menschen ein. Mit Chorälen, Liedern und Songs können sie ihren Glauben hinaussingen, ihren Zweifel, den Frust genauso wie große Freude.

Rund 100 Lieder wird der künftige Regionalteil für den Norden vermutlich umfassen, gegliedert nach vier Themen.

Liedgut aus Partnerkirchen geplant

Einer dieser Themenkreise wird die Lage am Meer behandeln und die besondere Bedeutung, die das Wasser hier hat. Der zweite Themenkreis nennt sich „Ökumene und Partnerschaft“ und soll Liedgut aus den Partnerkirchen zwischen die Buchdeckel holen, aus Schweden, Polen, dem Baltikum, und auch deutsch-dänische Lieder wie „Sieh, da hebt die Sonne sich aus dem Meer“.

Die dritte Gruppe von Liedern wird das Plattdeutsche abbilden. „Hier ist das Problem, dass es so viele verschiedene Versionen von Platt gibt“, sagt Wulf. „Wir wollen eine Schnittmenge schaffen, damit auch mal auf Platt gesungen werden kann, ohne dass man dafür ein extra Liederbuch oder Liedzettel hervorholen muss.“

Das Ende des großen Blätterns

Wie praktisch. So könnte der Nordteil auch das Ende des großen Blätterns sein, das regelmäßig einsetzt, wenn das Orgelvorspiel erklingt und die Gemeinde noch die Noten zusammensucht.

Der vierte Themenkreis im Regionalteil wird lokalen Musiktraditionen gewidmet sein, also Liedern von Dichtern und Dichterinnen, Komponistinnen und Komponisten aus Norddeutschland. Namen wie Detlev Block, Kurt Rose oder Susanne Kayser können hier zum Beispiel auftauchen oder auch Manfred Schlenker, Karl Scharnweber, Lothar Veit, Miriam Buthmann oder Jan Simowitsch. „Im Moment machen wir Suchbewegungen und sortieren die Lieder nach diesen Themen.“

Den „ollen Kram“ rausschmeißen?

Während Hans-Jürgen Wulf und seine Kolleginnen und Kollegen über den Regionalteil nachdenken, wird im Auftrag der Evangelischen Kirche Deutschland auch der Stammteil des Gesangbuchs überarbeitet, damit auch aktuelle Lieder ihren Platz darin finden.

Schon seit vier Jahren sichten und sortieren rund 80 Mitglieder einer „Gesangbuchkommission“ aus ganz Deutschland an die zehntausend Stücke – gregorianische Hymnen und Kirchenlieder aus dem 16. Jahrhundert genauso wie Neue Geistliche Lieder oder Songs von Kirchentagen. Letztlich wollen sie sich auf 500 bis 600 Lieder einigen. Das gedruckte neue Gesangbuch soll einen ähnlichen Umfang haben wie das jetzige und genauso heißen: Evangelisches Gesangbuch. Außerdem werden 1500 bis 2000 Lieder in einer App gesammelt und viele weitere in einer Datenbank archiviert.

Aus Niedersachsen ist Jochen Arnold Teil der Steuerungsgruppe dieser Kommission. „Im Norden werden andere Lieder gesungen als etwa im Südwesten, da ist es berechtigt, wenn um das eigene Liedgut gerungen wird“, sagt der Kirchenmusiker und habilitierte Theologe. Er ist Direktor des Zentrums für Gottesdienst und Kirchenmusik im Michaeliskloster Hildesheim.

„Sünde an unserer Tradition“

Bei der Auswahl gehe es nicht darum zu sagen, „Schmeiß den ollen Kram raus“, stellt Arnold klar, der einerseits für die ganz alten Kirchenlieder schwärmt und andererseits „gut singbare, poppige Lieder“ schreibt, „die grooven sollen“. „Das wäre eine Sünde an unserer Tradition.“ An Liedern von Martin Luther, Paul Gerhardt und Dietrich Bonhoeffer komme keiner vorbei. „Aber wir müssen den Mut haben zu sagen: Das hat uns gefallen, aber es wird nicht mehr benutzt, und dann muss es auch nicht mehr gedruckt werden.“

Eine gute Melodie alleine reicht nicht, findet Arnold. Er macht sich für Lieder stark, „deren Texte den Inhalt des christlichen Glaubens auf den Punkt bringen“. Andere favorisieren vielleicht Lieder, die sie von klein auf kennen und zu denen sie deswegen eine Verbindung haben.

Wie beim Zusammenstellen einer Playlist spielt das persönliche Erleben von Musik auch bei der Auswahl der Lieder für das neue Gesangbuch eine große Rolle. Das macht es für die Liederscouts in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern nicht leichter, zu einer gemeinsamen Entscheidung zu kommen. Trotzdem sagt Jochen Arnold: „Ich denke, dass wir das neue Gesangbuch zum Advent 2028 in den Händen halten.“ Dann muss auch der Regionalteil für den Norden fertig sein, mit seinen Liedern von Wind und Weite.