Neue Verfassung: Bremische Kirche vollführt Balanceakt

Die Bremische Kirche will sich eine neue Verfassung geben, ein Kompromiss scheint gefunden. Im Interview verrät Schriftführer Bernd Kuschnerus, warum die Kirche eine neue Verfassung braucht.

Die weitreichende Selbstständigkeit der Gemeinden soll erhalten bleiben: Schriftführer Bernd Kuschnerus
Die weitreichende Selbstständigkeit der Gemeinden soll erhalten bleiben: Schriftführer Bernd KuschnerusFoto: Bremische Evangelische Kirche/Karsten Klama

Mehr als zehn Jahre musste die Bremische Evangelische Kirche an einer neuen Verfassung feilen, bis sie mehrheitsfähig wurde und voraussichtlich im Mai verabschiedet wird. Was hat den Prozess so schwierig gemacht? Ein Gespräch mit Bernd Kuschnerus, dem Schriftführer der bremischen Kirche.

Die bisherige Verfassung der bremischen Kirche ist denkbar kurz, sie hat nur 17 Paragrafen. Reichen die nicht mehr?
Bernd Kuschnerus: Die Welt ändert sich. Die Verfassung der Bremischen Evangelischen Kirche ist 1920 entstanden und sollte nur das Nötigste regeln: Dass es einen Kirchentag, eine zentrale Kasse und verschiedene Ausschüsse geben soll. Im Kern hält sie fest, dass die bremische Kirche aus Gemeinden besteht, die weitgehend selbstständig sind und über ihr Bekenntnis selbst entscheiden. An dieser bremischen Prägung soll sich nichts ändern. Nun wird deutlicher beschrieben, wie sich die bremische Kirche neben den Gemeinden auch als Gesamtkirche versteht.

Deswegen gab es Kritik. Manche fürchteten, dass die neue Verfassung in eine hierarchische Kirche mündet.
Die neue Verfassung führt keineswegs zu einer hierarchischen Kirchenstruktur. Die Selbstständigkeit der Gemeinden gilt im Kern unverbrüchlich weiter. In der Vielfalt der Ausrichtungen der Gemeinden von fromm bis politisch, von evangelikal bis liberal finden sich viele Menschen wieder. Die neue Verfassung soll jedoch erstmals den unverändert fortgeltenden Grundsatz der Glaubens-, Gewissens- und Lehrfreiheit auch beschreiben.

Die Bremer Kirche St. Martini liegt nahe der Weser
Die Bremer Kirche St. Martini liegt nahe der WeserImago / Westend 61

Allzu viel Unabhängigkeit hat eine Kehrseite, wie der Fall des Pastors Latzel von St. Martini zeigt, der wegen seiner homophoben Äußerungen äußerst umstritten ist. Seine Gemeinde unterstützte ihn.
Pastor Latzel stand wegen Volksverhetzung vor einem staatlichen Gericht, und das Verfahren läuft nach Berufung und Revision weiter. Für uns als nicht an diesem Verfahren beteiligte Kirche geht es bei Herrn Pastor Latzel aber nicht um Verfassungs-, sondern um dienstrechtliche Disziplinarfragen.

Was sieht die Novellierung der Verfassung genau vor?
Sie nimmt bisher fehlende Regelungen auf, und sie beschreibt gesamtkirchliche Arbeitsfelder. Das schafft Transparenz im Blick auf Zuständigkeiten und Zusammenwirken der kirchlichen Organe. Ein Diskriminierungsverbot und die Beteiligung der Jugend werden aufgenommen. Auch neue Gemeindeformen sollen möglich werden. Außerdem werden Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung als Ziele festgehalten.

Das sind dringende Ergänzungen. Warum hat sich dieser Prozess so lange hinausgezögert
Seit 2007 besteht der Wunsch, die Verfassung zu modernisieren. Den einen waren die Vorschläge nicht modern genug, den anderen gingen sie zu weit. Doch jetzt – so hoffen wir – ist ein Kompromiss gelungen. Die erste Lesung des sechsten Entwurfs im März war erfolgreich. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass die neue Verfassung nächstes Jahr in Kraft treten kann.

Was erhoffen Sie sich für die bremische Kirche?
Wir können jetzt besser gemeinsam über inhaltlich-theologische Fragen sprechen, und die Jugend kann sich stärker einbringen. Die Zuständigkeiten sind klarer geregelt, und die Verfassung ist offen für neue Entwicklungen. Das sind wichtige Neuerungen, denen unsere bisherige, über 100 Jahre alte Verfassung nicht gerecht werden konnte.