Mehr als 200 Pastorinnen und Pastoren kritisieren eigene Landeskirche

Sie seien entsetzt über das Ausmaß: Mehr als 200 Pastorinnen und kirchliche Mitarbeitende haben die Leitung ihrer hannoverschen Landeskirche für deren Umgang mit Missbrauchsfällen kritisiert.

Geht Kirche angemessen mit Fällen sexualisierter Gewalt um? Diese Frage muss sie sich stellen
Geht Kirche angemessen mit Fällen sexualisierter Gewalt um? Diese Frage muss sie sich stellenImago / epd

Mehr als 200 evangelische Pastorinnen, Diakone und kirchliche Mitarbeitende haben die Leitung der hannoverschen Landeskirche für ihren Umgang mit Missbrauchsfällen kritisiert. Sie seien entsetzt über das Ausmaß sexualisierter Gewalt in der Kirche und den Umgang damit bis in die jüngste Vergangenheit, schreiben sie in einem Brief, der an den Landesbischof und weitere kirchenleitende Personen gerichtet ist. „Das Verhalten kirchenleitender Verantwortlicher hat unser Vertrauen in die Kirchenleitung beschädigt“, heißt es in dem Brief, der dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Landesbischof Ralf Meister reagierte mit Verständnis: Der Brief spreche wichtige Punkte an. Zuerst hatte die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ berichtet.

Die Unterzeichner beziehen sich auf die im Januar und Februar erschienenen Studien zu Missbrauchsfällen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und zu einem Fall in Oesede bei Osnabrück. Sie wünschen sich einen grundlegenden Kulturwandel innerhalb der Kirche. Die Kirche müsse sensibel für Grenzverletzungen und Machtmissbrauch werden. „Dafür muss sie selbstkritisch mit den Ergebnissen der Studien umgehen.“

“Aufarbeitung und Aufklärung dürfen nicht allein von Betroffenen geleistet werden”

Die Kirchenleitung müsse den Kulturwandel initiieren, gestalten und begleiten – „damit unsere Kirche nicht nur zukunftsfähig wird, sondern vor allem sicherer und glaubwürdiger“. Sie habe auch bei der Missbrauchsaufarbeitung eine besondere Verantwortung und eine Vorbildfunktion, heißt es in dem Schreiben. Sie müsse viel mehr als bisher auf Betroffene hören und proaktiv Fälle aufklären. „Aufarbeitung und Aufklärung dürfen nicht wie bisher allein von Betroffenen geleistet werden“, betonen die Verfasserinnen und Verfasser.

Konkret fordern die Briefschreiber, die Öffentlichkeit müsse regelmäßig zum Stand der Aufarbeitungen informiert werden. Die Aufklärungs- und Aufarbeitungsprozesse sollten evaluiert werden. „Der Schutz der Institution darf dabei keine Rolle spielen“, heißt es weiter. Die Landessynode müsse sich als Parlament der Landeskirche nach Ansicht der Unterzeichner schwerpunktmäßig um das Thema Missbrauch kümmern.

Der Landesbischof sagte, er sei sich mit den Briefschreibern einig, „dass in der Vergangenheit große Fehler gemacht wurden“. Die Ergebnisse der Studien müssten zu grundlegenden Veränderungen in der Kirche führen. Die Kirchenleitung werde diesen Prozess voranbringen und fördern. Allerdings müssten alle in der Kirche für diesen Kulturwandel Verantwortung übernehmen, forderte Meister. „Für mich ist deutlich: Die Kirche, auf die wir zugehen, darf und wird nicht die Kirche sein, die jetzt ist.“