Landesbischof Friedrich Kramer: Frieden ist möglich!
Friedrich Kramer ist seit Januar 2022 Friedensbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Seither hat sich die Welt verändert. Im Interview spricht er über Wege zum Frieden.
Zum Weihnachtsfest wurde vielfach der Gesang der Engel „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens“ gehört. Was löst das bei Ihnen aus?
Friedrich Kramer: Wenn wir diesen wundervollen Gesang hören, spüren wir, wie dringend wir diesen Frieden brauchen. In der Ukraine ist seit fast zwei Jahren Krieg, dazu kam das fürchterliche Pogrom durch die Hamas und der Krieg in Israel. Da sind uns Kriege nahegerückt, und wir merken, dass Frieden auf der Erde schwierig ist. Gleichzeitig wissen wir, dass an mehr als 20 Orten Kriege auf der Welt toben. Auch diese Kriege sind dramatisch und fürchterlich. Aber die haben wir nicht im Fokus, sie beunruhigen uns nicht. Die Weihnachtsbotschaft hat es uns gerade wieder gesagt: Wenn du Gott die Ehre gibst im Himmel, dann kann Frieden auf Erden werden bei den Menschen, die diesem Gott vertrauen und Wohlgefallen bei ihm haben. Damit ist Frieden immer und jederzeit möglich.
Es liegt also an uns?
Wir wissen natürlich: Der Mensch ist, wie er ist. Da sind wir als lutherische Christen relativ nüchtern. Aber Frieden ist möglich – jederzeit. Wir müssen dazu Gott die Ehre geben, uns nach Gottes Gebot und in Jesu Nachfolge bewegen. Dann wird Frieden geschehen. Im Großen scheint uns das zurzeit fast unmöglich. Im Kleinen ist es auf jeden Fall eine ganz wichtige Option, jeden Tag.
Viele Menschen haben Sehnsucht nach Frieden. Manche schalten ab. Viele sagen, so schlimm war es noch nie.
Ich erlebe, dass wir alle momentan in einer hohen Beunruhigung sind. Wir stehen unter Stress, weil sich grundlegende Dinge verändern in der Weltpolitik und im Klima, die uns unsere Zukunftshoffnungen zu rauben scheinen. Wir ahnen, dass es nicht weiterhilft, wenn wir unsere Ressourcen für Waffen ausgeben statt für Klimaschutz, für die dringend nötige Bewahrung der Schöpfung und den Erhalt der Vielfalt der Natur. Viele fühlen sich ohnmächtig.
Was hilft gegen die Ohnmacht?
Dass da Menschen manchmal abschalten, auch die Nachrichten abschalten, das verstehe ich und kann es nachvollziehen, wenn einer sagt, ich kann nicht alles auf meine Seele nehmen. Da ist es tröstlich, dass Gott auch den Schwachen etwas zutraut und nicht denen, die sich im Kampf durchsetzen, dass Gott Wege geht durch das Leid zum Heil. Jesus war ja auch keiner, der mit der Waffe durch die Welt lief und seine Feinde niederrang. Er wählte den Weg der Gewaltlosigkeit. Wir können daraus Hoffnung schöpfen, dass dieser Weg mit Gott einer sein wird, der zum Frieden führt, auch wenn wir das noch nicht sehen können.
Was bietet der christliche Glaube in der Krisensituation?
Jeder einzelne Christ ist berufen, Friedensbote zu sein – also in seinem Umfeld für Frieden und einen respektvollen Umgang einzutreten, sich einzusetzen gegen Hassrede und Beschimpfung, immer wieder anzumahnen, dass wir in einem friedvollen Gespräch auch mit den unterschiedlichsten Einstellungen und Zielen mehr erreichen für diese Welt.
Hilft beten?
Wichtig für uns als Christen ist, für den Frieden zu beten. Genauso wichtig ist, selbst für Frieden in unseren Herzen zu bitten, dass Gott uns in dieser wahnsinnigen Unruhe, die uns alle erfasst, nicht müde werden lässt, sondern wir den Kompass in Richtung Frieden behalten. Wir wissen, dass das Friedensreich, auf das wir zugehen, Gott schaffen wird. Gleichzeitig wissen wir aus der Heiligen Schrift, dass es auf dem Weg dorthin viele Versuchungen und schwere Zeiten gibt. Umso wichtiger ist es, an dem festzuhalten, der uns dahin durchführen kann und der uns hält. Insofern glaube ich, es braucht viel Gebet, und es braucht – in der Weihnachtszeit wichtig – viel Gesang, dass man sich miteinander einstimmt, auch wenn man verschiedener Meinung ist. Die Musik lebt nicht im Gleichschritt, sondern sie lebt aus verschiedenen Stimmen.
Friede auf Erden – geht es da mehr um den inneren Frieden?
Friede auf Erden ist die ganz große theologische Ansage. Es geht um den Frieden der Menschheit mit Gott, der im Christusgeschehen beginnt. Das ist nichts anderes als die echte und einzige Zeitenwende, die diese Welt erlebt hat: die Menschwerdung Gottes in der Geburt Jesu Christi. Von diesem Geschehen aus ist Frieden in allen Dimensionen möglich: wenn wir Frieden mit unseren Nächsten machen, aber auch wenn im universalen Weltgeschehen die Mächte des Bösen besiegt werden.
Jesus hat für den Frieden geworben, er hat ihn auch gelebt. Trotzdem hat sich die Welt nicht groß verändert…
Natürlich hat sich die Welt verändert. Dass wir eine Weltordnung haben, in der grundsätzlich gilt, dass Kriege nicht sein sollen, ist ganz bestimmt im Sinne Jesu. Allerdings sind wir gerade in der kritischen Situation, Kriege in einem moralischen Sinne wieder zu rechtfertigen, sozusagen als Normalität. Da sind ganz andere Wege möglich und auch nötig, wenn wir als Weltgemeinschaft überleben wollen. Jesus hat Wege gezeigt, wie du in Aktion kommen kannst, auch wenn du ohnmächtig bist, wie du dem Bösen nicht mit Bösem begegnest, die andere Backe hinhältst und eine zweite Meile mitgehst. Und Menschen erfahren auch heute, dass dies der Weg zum Frieden ist.
Sie sind knapp zwei Jahre Beauftragter der EKD. Als Sie angetreten sind, schien die Welt noch in Ordnung…
Auch im Januar 2022 war die Welt nicht in Ordnung, gab es viel zu viele fürchterliche Kriege in der Welt. Aber in der Tat war uns nicht vorstellbar, dass heute in Europa ein Krieg geführt wird, der in der Brutalität des Stellungskrieges und des Waffeneinsatzes an den Ersten und den Zweiten Weltkrieg erinnert, kombiniert mit hochmoderner Technik. Wir haben nicht vor Augen, was da täglich passiert, wenn junge Männer in den Gräben und in den Panzern zerfetzt werden. Durch das Ja zu Waffenlieferungen war auch klar, dass der Krieg eskaliert und in die Länge gezogen wird. Man kann aber auch wahrnehmen, dass die Kriegsbereitschaft auf beiden Seiten nachlässt und viele Männer beide Länder verlassen haben. Das mediale Interesse erlahmt, inzwischen sehen wir woandershin. Aber das Sterben geht weiter.