Kirchenmusiker: Warum auch Pop ins Gesangbuch gehört

Moderne Musik ist beliebt in der Kirche. Schafft sie es ins neue Gesangbuch? Ein Beitrag von Michael Schütz, Beauftragter für Popularmusik der EKBO.

Michael Schütz ist Beauftragter für Popularmusik in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO).
Michael Schütz ist Beauftragter für Popularmusik in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO).privat

Was ist das neue Lied, zu dem uns der Psalm 98,1 auffordert? Das neue Lied ist das Singen, das aus dem Leben der Menschen heraus entsteht, das seine Wurzel in der Freude über Gott hat und das Glaubensaussage in der Gemeinschaft mit anderen Menschen sein will. Es ist das wohlbekannte Lied, das immer neu ­erklingt, das mir vertraute Heimat ist, in die ich immer wieder gerne zurückkomme, um sie aus einer anderen Lebensperspektive wahrzunehmen. Und es ist das Lied, das neu entsteht, dessen Botschaft erst in poetisches Wort gegossen werden muss und dessen Klanglichkeit in einer bislang noch ungehörten ­Melodie Gestalt annehmen wird.

Der Psalm legt uns damit einerseits nahe, uns selbst immer wieder neu zu erkennen und immer wieder neu auf das zu besinnen, was wir sind, woher wir kommen und was uns Halt gibt. Andererseits ermutigt er zu Bewegung und dem Betreten von Neuland, er lockt uns hervor und möchte, dass wir unseren Glauben aus unserem Leben heraus kreativ äußern.

Popmusik fördern in jeder Landeskirche

In wunderbarer Weise verwirklicht das Singen des neuen Lieds die Kernbedürfnisse eines jeden Menschen: das Streben nach Bindung und das Streben nach Autonomie. Was Mitte der fünfziger Jahre mit dem Nachsingen von afroamerikanischen Spirituals, den ersten Jazz-Messen, dem religiösen Schlager („Danke“-Lied) und den ersten Werken im Bereich des Neuen Geistlichen Lieds, die sich am reformatorischen Choral orientieren, beginnt, ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Christenmenschen sich aus ihrem Leben heraus äußern. Und wie sie immer wieder ein neues Lied singen, also wie sie aus der Gewissheit der sicheren Heimat (Bindung) immer wieder den Mut finden, Neuland zu betreten (Autonomie).

Bis heute nehmen wir in der christlichen Kirchenkultur zunehmend einen komplexen Musik­bereich wahr, der sich analog zu fast allen Genres der weltlichen ­Musik ausgebildet hat und mit dem Begriff christliche Popularmusik zusammengefasst werden kann. Pop, Rock, Jazz, Gospel: Verlage veröffentlichen Lieder mit zeitgemäßen Texten und eingängigen Melodien, Bands und Chöre musizieren in Gottesdiensten und Konzerten, Gemeinden singen zunehmend auch modernere Lieder. In jeder Landeskirche der EKD sind heute Personen angestellt, die der Auf­gabe nachgehen, Popmusik zu ­fördern, Jazz- und Rockinitiativen, Verbände und Vereine entstehen, an Hochschulen und Universitäten sind Bachelor- und Masterstudiengänge im Bereich der Popularmusik längst keine Seltenheit mehr.

Immer wieder neue Lieder in Gesangbüchern

Es ist willkommen, dass immer wieder neue Lieder Einzug in Gesangbücher finden, so auch in das neue Evangelische Gesangbuch, das voraussichtlich noch vor 2030 erscheinen wird, nicht zuletzt, weil dies eindrucksvoll die Aktualität des Psalmworts belegt und – ganz im Sinne von Bindung und Autonomie – sowohl alte Choräle als auch neue Popsongs beinhalten wird.

Sicher tut sich hier und dort die Frage nach der liturgischen Trag­fähigkeit von neu entstandenen Liedern auf, was in erster Linie ­deren Texte betrifft. Aber auch die Melodie, formale Strukturen und weitere Aspekte im Bezug auf den Gemeindekontext haben die Aufgabe, Eingängigkeit und Substanz auszutarieren.

Als der Beauftragte für Popularmusik der EKBO wünsche ich mir für ein neues Lied, dass es eigenständig ist und dass es sich am Wahren, Schönen und Guten orientiert, an Wert, Poesie und menschlichem Leben, an Klarheit, Freude am ­Singen und dem Evangelium.

Michael Schütz ist Beauftragter für Popularmusik der EKBO.