Kettensäge im Kanzleramt

Diese Woche kommt Argentiniens Präsident Javier Milei erstmals nach Deutschland. Am Samstag bekommt er in Hamburg einen Preis von der libertären Hayek-Gesellschaft verliehen, die wegen ihrer mangelnden Abgrenzung zu AfD immer wieder in der Kritik steht. Tags darauf empfängt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Milei mit militärischen Ehren in Berlin.

Seit sechs Monaten ist der exzentrische 53-Jährige, der im Wahlkampf symbolisch eine Kettensäge gegen die aus seiner Sicht zu hohen Staatsausgaben schwenkte, im Amt. Am wohlsten fühlt er sich unter Gleichgesinnten, Hamburg wird ein Heimspiel.

Doch das Treffen mit einem ausgebufften Politprofi wie Kanzler Scholz ist eine ungewohnte Herausforderung. Ob er Realpolitik kann, muss Milei nämlich erst noch zeigen. Die Deutschlandreise ist daher sein bisher wohl wichtigster Staatsbesuch. Sowohl Scholz als auch Milei wollen das umstrittene Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten verabschieden.

Vergangene Woche hatte Milei einen blassen Auftritt auf dem G-7-Gipfel im italienischen Apulien. Zu seinen einzigen bilateralen Terminen traf er die Vorsitzenden von Weltbank und Internationalem Währungsfonds. Bei seinen kurzen Begegnungen mit Spitzenpolitikern oder Papst Franziskus trat er übertrieben herzlich und sichtbar nervös auf. Anschließend sicherte er dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auf dem Ukraine-Friedensgipfel in der Schweiz seine Unterstützung zu.

Argentinien, so bekräftigt Milei immer wieder, stehe fest aufseiten der „freien Welt“. Sein Leitstern sind die USA. Während des jüngsten Argentinien-Besuchs von Generalin Laura Richardson, die das Südkommando der US-Streitkräfte leitet, kündigte Milei den Bau einer gemeinsamen Marinebasis an. Den bereits beschlossenen Beitritt zum Staatenbund Brics, dem unter anderem Brasilien, Russland, China und Südafrika angehören, zog er gleich nach Amtsantritt zurück – obwohl China und Brasilien die größten Handelspartner Argentiniens sind.

Fünfmal flog Milei in die USA. Um Lateinamerika und selbst die benachbarten Mercosur-Staaten Brasilien, Uruguay, Paraguay und Bolivien machte er einen großen Bogen. Nur in El Salvador traf er mit Staatschef Nayib Bukele seinen Gesinnungsgenossen. Gleich zweimal zeigte er sich mit seinem prominentesten Sympathisanten, dem US-Milliardär Elon Musk.

Bislang verfolgte Argentinien parteiübergreifend eine multilaterale Außenpolitik, nur der Neoliberale Carlos Menem, ein Vorbild Mileis, setzte vor 30 Jahren ähnlich stark auf die USA. Doch seitdem China vergangene Woche eine Kreditlinie in Milliardenhöhe verlängert hat, gibt sich das Präsidialamt kleinlaut – demnächst soll Milei sogar nach Peking reisen.

Mileis Außenpolitik speist sich laut dem Soziologen Juan Gabriel Tokatlian von der Universität Torcuato Di Tella in Buenos Aires aus mehreren Quellen. Dazu zähle ein religiös-dogmatisches Vorgehen, aber auch das einflussreiche Buch „Kampf der Kulturen“ des US-amerikanischen Politikwissenschaftlers Samuel Huntington. Darin vertritt Huntington die These, dass Konflikte zwischen verschiedenen Kulturkreisen zunehmend das internationale Geschehen prägen. Für Argentinien sei eine solche Außenpolitik gefährlich, meint Tokatlian.

In Spanien beschwor Milei zuletzt einen diplomatischen Eklat ersten Ranges herauf: Auf einer Wahlkampfveranstaltung der rechtsextremen Vox-Partei beschimpfte er die Frau des sozialdemokratischen Regierungschefs Pedro Sánchez als korrupt und pöbelte nach seiner Rückkehr auch gegen Sánchez. Daraufhin zog Madrid die Botschafterin ab. Spanische Firmen sind die zweitgrößten Investoren in Argentinien.

In seiner Heimat löst Milei mit solchen Auftritten immer mehr Kopfschütteln und Fremdschämen aus – selbst bei Unternehmern und Medien, die ihn durchaus wohlwollend begleiten. Seiner Popularität bei vielen Menschen in Argentinien tut das bisher jedoch keinen Abbruch.