Katholikentag in Blau und Gelb

„Die Welt ist in Unordnung“ – das hört man oft auf dem dem Stuttgarter Katholikentag. Ukraine-Krieg, Corona-Pandemie und Klimakrise bestimmen das Treffen.

Auch beim Schlussgottesdienst dominieren Blau und Gelb
Auch beim Schlussgottesdienst dominieren Blau und GelbYvonne Seidel / epd

Stuttgart. Anders leben, anders wirtschaften, auf manches verzichten: Bereits zum Auftakt des 102. Deutschen Katholikentages in Stuttgart stimmte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Teilnehmer auf einen bevorstehenden gesellschaftlichen Wandel ein. Man müsse nachdenken über „unseren Anteil an der weltweiten Klimakrise, über unseren Lebensstil und unsere Verantwortung für die Welt“, sagte er. Am Sonntag ging das Christentreffen, an dem rund 27.000 Menschen teilnahmen, zu Ende.

Für Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) passt der Begriff Zeitenwende für die Gegenwart, vor allem mit Blick auf den Ukraine-Konflikt. Der russische Präsident Wladimir Putin wolle zurück zu einer Welt, in der der Stärkere den Schwächeren regiert, sagte Scholz am Freitag unter anhaltendem Applaus. Putin „darf mit seinem zynischen, menschenverachtenden Krieg nicht durchkommen“.

Käßmann sieht keine Zeitenwende

„Ich finde es immer schwierig zu sagen, die Welt sei aus den Fugen, weil ich mich nicht erinnern kann, wann die Welt mal in den Fugen war“, relativierte die 1982 geborene Schriftstellerin Nora Bossong, die gemeinsam mit Scholz auf einem Podium saß. Die frühere Ratsvorsitzende der EKD, Margot Käßmann, sieht keine „Zeitenwende“ wegen des Ukraine-Kriegs, denn seit elf Jahren tobe schon der Krieg in Syrien, seit sieben Jahren im Jemen.

Bischöfin Kirsten Fehrs beim Katholikentag
Bischöfin Kirsten Fehrs beim KatholikentagJens Schulze / epd

Die Ukraine prägte den Katholikentag wie kein anderes Thema. Kurzfristig hatte das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) als Veranstalter auf den Ende Februar begonnenen russischen Angriffskrieg reagiert. Viele Redner gingen auf den Konflikt ein. Auf einer Friedenskundgebung bekannten sich Christen zur Solidarität mit den Ukrainern.

Hamburgs Bischöfin Kirsten Fehrs rief dazu auf, sich trotz des Ukraine-Kriegs nicht vom Hass überwältigen zu lassen. „In Zeiten des Hasses die Liebe lieben – das ist unser Auftrag, mehr denn je“, sagte die stellvertretende Ratsvorsitzende der EKD. Sie berichtete beispielhaft von einer Ukrainerin, die bei einem Bombenangriff ihren Mann und ihr ungeborenes Baby verloren habe und danach gesagt haben soll: „Meinen Hass bekommen sie nicht.“

Fehrs hält Predigt

Fehrs hielt die Predigt in einem Gottesdienst zur Vorbereitung der internationalen Vollversammlung des Weltkirchenrates (ÖRK) Anfang September in Karlsruhe. Die Liturgie leitete der Magdeburger katholische Bischof Gerhard Feige, der auch „Ökumene-Bischof“ der katholischen Deutschen Bischofskonferenz ist.

Das Motto „Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt“ der ÖRK-Vollversammlung im Sommer in Karlsruhe treffe den Nerv der Zeit, sagte Fehrs. Sie wünsche sich sehr, dass sich die Spitze der Russischen Orthodoxen Kirche den Stimmen aus der weltweiten Ökumene öffne.

Für mehr Freundlichkeit

Unter Hinweis auf die biblische Geschichte des geldgierigen Zöllners Zachäus, der durch Jesus zu einem freundlichen Gastgeber wurde, warb Fehrs für mehr Freundlichkeit gegenüber Schutzbedürftigen. Asyl zu geben, sei Christenpflicht, und es müsse alles dafür getan werden, dass Millionen Menschen auf dieser Erde nicht fliehen müssten, sondern bleiben könnten, wo sie leben, sagte die Hamburger Bischöfin.

Eindeutiger Protest auf dem Katholikentag
Eindeutiger Protest auf dem KatholikentagJens Schulze / epd

Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche nahm breiten Raum ein. Nach Auffassung des Autors Heribert Prantl ist dieser ein Verrat an den Opfern und „Spucke ins Angesicht Gottes“. Es brauche mehr als eine kleine Auszeit für „Bischöfe und Kardinäle mit anschließendem Weitermachen“, sagte er zur Zukunft der Kirche. Es sei Zeit für eine neue Reformation.

Johanna Rahner, Leiterin des Instituts für Ökumenische und Interreligiöse Forschung in Tübingen, erklärte, ein Problem sei der Anspruch der katholischen Kirche, in alle Dimensionen menschlicher Existenz regulierend eingreifen zu wollen, bis hin zur Sexualmoral.

„Es wird unbequemer“

Als Weckruf wurde der Katholikentag angesichts der Klimakrise verstanden. Experten warnten mit drastischen Worten vor einem „Weiter so“. Die Folgen des Klimawandels können nach Überzeugung des Klimaforschers Hans Joachim Schellnhuber sehr viel dramatischer ausfallen als bislang angenommen. Im schlimmsten Fall könnten drei Milliarden Menschen ihren Wohnraum verlieren und deshalb in andere Regionen ziehen.

Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) sagte, 80 Prozent der klimabedingten Vertreibung seien noch vermeidbar: „Unser Lebensstil wird sich zwangsläufig ändern – es wird für alle unbequemer, aber erträglicher und sicherer.“

Der Stuttgarter Katholikentag sei nicht mit vorangegangenen zu vergleichen, erklärte Stetter-Karp. Es habe lange die Sicherheit gefehlt, ob er wirklich analog stattfinden könne. Für die relativ niedrige Beteiligung wurde auch die noch nicht überwundene Corona-Pandemie verantwortlich gemacht.

Ökumenischer Kirchentag in Planung

Der 103. Deutsche Katholikentag findet 2024 in Erfurt statt, der 38. Deutsche Evangelische Kirchentag vom 7. bis zum 11. Juni 2023 im mittelfränkischen Nürnberg. Laut ZdK-Generalsekretär Marc Frings gibt es bereits Überlegungen für einen vierten Ökumenischen Kirchentag, nach dem ersten 2003 in Berlin, dem zweiten 2010 in München und dem dritten 2021 in Frankfurt am Main. (epd)