In Königshain bei Görlitz trat der katholische Pfarrer, den seine Kirche ausgrenzte, zum Protestantismus über. Er wurde Pfarrer in der Bethlehemsgemeinde in Berlin und leitete ein Krankenhaus. In seiner Person vereinte er Verkündigung und soziale Hilfe. Goßner trennte Innere und Äußere Mission nicht. Für ihn zählte nur eine Mission, die Ausbreitung des Evangeliums durch Predigen, Unterweisen, Seelsorge und soziales Tun. Er richtete die ersten Kindergärten für Arbeiterkinder ein und gründete Krankenhilfsvereine. Deren Mitglieder besuchten und pflegten Kranke in ganz Berlin. Dort leitete Goßner das Elisabeth-Krankenhaus und bereitete gleichzeitig junge Menschen für ihren missionarischen Einsatz im Ausland vor.
„Zwar scheint jetzt die ganze Welt voll Christen zu sein, und sie ist auch voll – von Maul- und Namenchristen –, aber der lebendig gläubigen Christen, wie sie Christus will, sind leider jetzt sehr wenige. Dagegen ist ein Christentum aufgekommen und allgemein herrschend geworden, welches diesen ehr -würdigen Namen nicht nur nicht verdient, sondern ihn schändet und brandmarkt unter allen Nationen der Erde.“ Zornige Worte. Geäußert hat sie Johannes Evangelista Goßner, ein wortgewaltiger Prediger im frühen 19. Jahrhundert. Er wollte das Christentum erneuern und aus den „Maul- und Namenchristen“, wie er sie sarkastisch nannte, vom Glauben ergriffene und geprägte Menschen machen.
Vom katholischen Priester zum pietistischen Prediger
Goßner kam am 14. Dezember 1773 in Hausen, einem kleinen Ort in Bayrisch-Schwaben in einer katholischen Familie zur Welt und wollte schon früh Priester werden. Leicht zu entflammen und begierig, vom eigenen Glauben zu erzählen, traf er am ersten Studienort im schwäbischen Dillingen auf ebenso religiös ernsthafte Menschen, nicht nur unter den Studenten. Vor allem Professor Johann Michael Sailer stärkte ihren Enthusiasmus, eine dem Glauben gemäße Lebenswandlung zu vollziehen.

Sailer war einer der geistigen Väter der sogenannten Allgäuer Erweckungsbewegung. Sie wandte sich gegen eine aus ihrer Sicht in Lehrformeln und Organisation erstarrte Kirche sowie gegen die Aufklärung und ihre Überbetonung der Vernunft. Stattdessen stellte sie das Gefühl und das Herz als Ort religiösen Ergriffenseins in den Mittepunkt. Darin war sie den verbreiteteren Erweckungsbewegungen im protestantischen Raum des 18. und 19. Jahrhunderts verwandt und von Schriften, Praktiken und Personen evangelischer Erweckung wie dem Pietismus und der Herrnhuter Brüdergemeine geprägt. Das brachte ihr den Argwohn der katholischen Hierarchie ein.
Eindrucksvolle Predigten als Kaplan in Augsburg
Den bekam auch Goßner zu spüren. Als Kaplan in Augsburg machte er großen Eindruck auf der Kanzel. Anders als gewohnt predigte er ohne schmückendes Beiwerk und Pathos, ohne die gewohnten Bezüge zu Maria und den Heiligen – bot fassliche Bibelausdeutungen, konzentriert auf die Erlösung durch Jesus Christus. Und geriet so in den Verdacht, ein verkappter Protestant zu sein. Nach strengen Verhören kam er für einige Wochen ins Priestergefängnis zu Göggingen, eine Art strenge Klausur zur geistlichen Besinnung und Anpassung an die Forderungen seiner Kirche. Die harsche Reaktion der katholischen Kirche auf Goßner und andere Erweckte hatte wohl auch mit der Befürchtung zu tun, eine sektiererische Abspaltung innerhalb der Kirche wäre im Entstehen. Und Goßner erwog durchaus die Loslösung einer Gemeinschaft der Erweckten aus der katholischen Kirche. Auch den Beitritt zu einer protestantischen Gemeinde.
Zunächst verwarf er diesen Schritt. Als Pfarrer in München beeindruckte er wieder durch seine Predigten. Im Bürgersaal unterwies er Erwachsene und Kinder. Die Menschen kamen in Scharen, darunter der Kirche Fernstehende. Auch Protestanten. Goßner ließ unter anderem evangelische Lieder singen. Sein Verständnis von der Eucharistie empfanden viele als protestantisch. Das brachte ihn erneut in Misskredit bei seiner katholischen Kirche. Predigt und Seelsorge wurden ihm untersagt.
In St. Petersburg durch Zar Alexander I.
1820 erreichte ihn eine äußerst attraktive Anfrage: Zar Alexander I. berief ihn als Pfarrer der deutschen Malteserkirche in Petersburg. Er sollte ihm helfen, über den Geist der Erweckung und Bibelfrömmigkeit Russland geistlich zu erneuern. Goßner enttäuschte ihn nicht. Wieder war der Zustrom zu seinen Gottesdiensten und Andachten enorm. Neben wohlhabenden Petersburgern kamen Arbeiter und Mittelständler, neben Katholiken auch Protestanten und Orthodoxe. Aber Goßner sparte nicht mit Kritik am Lebenswandel der Gläubigen. Zudem teilte er die Eucharistie in beiderlei Gestalt aus, in Brot und Wein. Und seine Auffassung von Maria widersprach katholischer und orthodoxer Lehre gleichermaßen.
Nach Predigtverbot Übertritt zur evangelischen Kirche
Inzwischen war mit dem Wiener Kongress eine nachrevolutionäre europäische Ordnung entstanden, für die religiöse Einheitlichkeit ein stabilisierendes Element bedeutete. Für Fürst Metternich, den österreichischen Politiker, Architekten und Hüter dieser Ordnung, waren bibelfromme erweckte Menschen eine Gefahr. Er nötigte Zar Alexander, Goßners Tätigkeit zu unterbinden und ihn des Landes zu verweisen. Fortan war Goßner jede Tätigkeit als Pfarrer in der katholischen Kirche verboten. Und so tat er, was er schon so lange erwogen hatte: In Königshain bei Görlitz nahm er am evangelischen Abendmahl teil und vollzog so den Übertritt in die evangelische Kirche.

In Berlin bewarb er sich um eine Anstellung als evangelischer Prediger und erhielt eine Stelle an der Bethlehemskirche in Neukölln. Da war er 54 Jahre alt. Goßner predigte nicht nur. Er richtete für Arbeiterkinder die ersten Kindergärten ein, gründete Krankenhilfsvereine, deren Mitglieder Kranke in ganz Berlin besuchten und pflegten. Und schließlich das evangelische Elisabeth-Hospital, das es heute noch gibt.
1837 wurde das Krankenhaus eingeweiht. Im selben Jahr entsandte Goßner zum ersten Mal vom Glauben ergriffene junge Handwerker und einen Theologen für ihren Einsatz in Australien: einmal christliches Wirken im Land, „innen“, und einmal in einer anderen Weltgegend, „außen“. Goßner kannte keine Trennung in Innere und Äußere Mission. Für ihn gab es nur eine, die Ausbreitung des Evangeliums – durch Predigen, Unterweisen und Seelsorge sowie durch soziales Tun. Ganz gleich an welchem Ort. In Indien gibt es bis heute Gemeinden, die mit Goßners Unterstützung entstanden sind.
Goßners Mission: Seelsorge und Diakonie in Berlin und weltweit
Bis zu seinem Tod am 30. März 1858 in Berlin lebte er nach seinem ganzheitlichen Verständnis von der Mission Gottes. Er leitete das Elisabeth-Krankenhaus und bereitete gleichzeitig junge Leute für ihren missionarischen Einsatz im Ausland vor. Er blieb streitbar und umstritten. Und war doch hoch anerkannt. An die tausend Menschen nahmen an seiner Beerdigung auf dem Friedhof am Mehringdamm teil. Er ist dort bestattet neben seiner langjährigen Gefährtin und Unterstützerin Ida Bauberger, die er nie geheiratet hat.
Der Mann, dem das Ergriffenwerden von Gott so wichtig war, sagte kurz vor seinem Ableben, ganz im Tonfall der Erweckten: „Mein Lämmlein, Jesus Christus, nun ist alles gut, nun bin ich ausgezogen, nun ist kein eigener Faden mehr an mir!“
Orte, an denen an Goßners Wirken erinnert wird
- auf dem Gelände der Evangelischen Elisabeth-Klinik eine Tafel, die auf ihn verweist
- eine die Form der Bethlehemskirche nachahmende Stahlskulptur an ihrem alten Standort, dem heutigen Bethlehemkirchplatz an der Krausen- und der Mauerstraße in Mitte
- sein Grab auf dem Friedhof der Bethlehems- oder Böhmischen Gemeinde in Berlin-Kreuzberg am Mehringdamm
Literaturhinweis
- Berliner Beiträge zur Missionsgeschichte Bd.9 Klaus Roeber: Johannes Evangeliste Goßner und Albert Ludwig Carl Büchsel ISBN 978-3-88981-184-4 Preis 5 Euro Wichern-Verlag Berlin 2006
