Letzte-Hilfe-Kurs: Ein Aperol für Sterbende

Bei der Begleitung Sterbender ist Empathie gefragt. Ihr Leiden soll gelindert, die Lebensqualität erhöht werden. Im Letzte-Hilfe-Kurs erfahren Angehörige, wie das geht.

Ein Letzte Hilfe Kurs soll zeigen, wie Sterbende begleitet werden können
Ein Letzte Hilfe Kurs soll zeigen, wie Sterbende begleitet werden könnenepd-bild/ Anna-Lisa Lange

Linda* macht aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Sie ist fast 60 Jahre alt, trägt ihr langes, blondiertes Haar zu einem Zopf gebunden und hat heute Abend noch was vor: Sie will später auf die andere Rheinseite, ins Kabarett. Kontrastprogramm sozusagen. Doch jetzt, im zwölften Stock des Deutschordens-Wohnstift, eines Pflegenheims in Köln-Neubrück, geht es um etwas anderes. Um etwas, das die meisten Menschen lieber aus ihrem Leben ausklammern, so lange es nur möglich ist. Es geht um den Tod und darum, wie man Menschen, die bald sterben werden, dabei begleitet. Das sollen die Teilnehmer des Letzte-Hilfe-Kurses hier lernen.

Lindas Mutter ist 95 Jahre alt und lebt jetzt in einem Altenheim – „das ist auch besser so“, sagt die 58-Jährige. Denn als sich Linda mit ihrer Schwester noch um die Mutter in deren Zuhause kümmerten, gab es brenzlige Situationen. „Einmal fiel mein Blick auf ein Kissen neben ihr. Da habe ich gedacht: Du gehst jetzt raus, sonst erstickst du sie“, berichtet Linda.

Die Pflege sei anstrengend gewesen; ständiges Gemecker und heruntergezogene Mundwinkel verfolgten die Tochter bis in ihre Träume. „Wie kann man sich selber herausziehen, wenn man aggressiv wird?“, fragt sie sich. Im Kurs möchte sie nun „Infos sammeln“, auch über die praktischen Dinge, die wichtig werden, wenn der Tod näher rückt – über Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten und Hilfsangebote für Angehörige.

Letzte-Hilfe-Kurs: Es gilt Verschwiegenheit

In einem Raum mit Fenstern, die so bunt sind wie in einer Kirche, sitzen mit Linda knapp 20 Menschen in einem ovalen Stuhlkreis. Es sind vor allem Frauen, darunter einige, die sich ehrenamtlich in der Hospizarbeit engagieren. Zwei Männer sind ebenfalls da, die wie viele andere auch die Sorge vor dem Tod der eigenen Eltern hergeführt hat. So berichtet Alexander: „Meine Eltern sind 83 Jahre alt und wurden gerade von einem Corona-Infekt niedergestreckt. Darum will ich mich mit Pflege beschäftigen.“ Auch Renates Mutter ist 87 Jahre alt. Sie sagt: „Das Thema ist so langsam dran.“

Barbara Thiel und Melanie Schneider geben den Letzte-Hilfe-Kurs zum vierten Mal. Sie sind Koordinatorinnen bei einem ambulanten Hospizdienst der Vinzentinerinnen Köln. Thiel ist Pädagogin, Schneider war früher Krankenschwester in der Onkologie. Die Nachfrage nach den Kursen sei groß, berichten sie.

Auch heute ist die vierstündige Schulung ausgebucht. „Wir könnten stundenlang über das Thema sprechen, aber den Kurs zum Beispiel auf zwei Abende auszudehnen, würde viele abschrecken“, erklärt Schneider. Gleich zu Beginn geben sie die Regeln vor: Es gilt Verschwiegenheit, die Kommunikation soll wertschätzend sein.

Ein Viertel der Menschen stirbt im Altenheim

Schneider erklärt den Teilnehmenden, dass mehr als 70 Prozent der Menschen zu Hause sterben wollen würden. Aber nur bei einem Viertel sei das auch der Fall; ein Viertel der Menschen stürbe im Altenheim. Die Leiterinnen geben im Verlauf des Lehrgangs einen Überblick an Stellen und Dienste, bei denen sich Angehörige Hilfe holen können. Sie versuchen mit den Teilnehmenden herauszufinden, was Lebensqualität bedeutet und berichten, was passiert, wenn jemand stirbt – psychisch und körperlich.

„Der Atem kann brodelnd werden. Das klingt, als ob ein Topf mit kochendem Wasser im Nebenzimmer steht“, beschreibt Barbara Thiel. Für Angehörige höre sich das nicht schön an, es sei aber kein Anzeichen von Atemnot. „Es sammelt sich einfach Schleim, der nicht mehr abgehustet werden kann“, erklärt Thiel mit sanfter Stimme.

„Es darf auch Aperol oder Schlagsahne sein“

Obwohl es so viel um Tod und Sterben geht, gibt es immer wieder Gelächter im Stuhlkreis. Zum Beispiel als Melanie Schneider fragt, ob schon mal jemand hochkalorische Kost probiert habe. „Jeden Tag“, wirft eine beleibtere Frau ein. Überhaupt kommt bei diesem Kurs heraus, wie groß die Bedeutung von Essen und Trinken auch noch am Lebensende ist. „Sinnenfreude“, „Erinnerung“, „Rituale“ brainstormen die Teilnehmenden. Judith berichtet, ihr Opa habe, als er im Sommer gestorben sei, fünf Tage vor seinem Tod nichts mehr zu sich nehmen wollen. Nur nach fruchtigem Capri-Eis habe er zweimal verlangt.

Jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin bekommt gegen Ende des Kurses zwei sogenannte Einweg-Mundpflegestäbchen überreicht. Mit dem grünem Wattebausch am blauen Plastikstiel kann man einem Sterbenden Wasser auf die Lippen streichen, gegen das Durstgefühl. „Es darf auch Aperol oder Schlagsahne sein“, sagt Schneider: Alles, was dem Sterbenden gut tut, sei erlaubt. Die Mundpflege ist ein intimer Vorgang, sagen die Kursleiterinnen – um ein Gefühl dafür zu bekommen, fordern sie die Teilnehmenden deswegen dazu auf, ihn einmal zu Hause mit einem Partner auszuprobieren.

Der Tod als heiliger Moment

Als Barbara Thiel später von dem eigentlichen Moment des Todes spricht, wird es im Raum noch einmal sehr still. Thiel, die schon mehrere Sterbende begleitet hat, sagt, der Tod habe wie eine Geburt etwas Ehrfurchtgebietendes. „Religiös gesprochen könnte man auch sagen, es ist ein heiliger Moment“, so die Hospizkoordinatorin.

Als es wenig später um Einäscherungen, Erdbestattungen und sogar Kompostierung geht, sagt Henriette sehr bestimmt, dass sie einmal unter die Erde kommen werde. Erhard, der neben ihr sitzt, findet das gut: „Das ist super Dünger für die Erde.“ Wieder wird gelacht. Am Ende bekommen alle eine Urkunde, die ihre Teilnahme bestätigt. Linda springt auf, winkt in die Runde und geht, um ihr Kontrastprogramm zu starten, im Kabarett.

*Name geändert