Grenzenlose Liebe

Auch 2022 ist die Kirche beim Christopher Street Day dabei

Musik, Party und gute Stimmung – beim Christopher Street Day (CSD), dem Fest-, Gedenk- und Demonstrationstag von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender-Personen, Intersexuellen, Queeren (LSBTIQ+), demonstrieren in Berlin eine Millionen ­Menschen für Gleichberechtigung und das Recht auf Selbstbestimmung. Auch 2022 macht sich der CSD dafür stark. Mit dabei ist die Landeskirche. Dafür gibt es auch Kritik

Von Sabine Hoffmann

Beim diesjährigen Christopher- Street-Day werden Vertreter*innen unserer Landeskirche im fünften Wagen des Demonstrationszuges dabei sein. Unter dem Motto: „Liebe tut der Seele gut“ wird dieser ­Wagen Teil des Ganzen sein. 

Manche kritisieren diese Teilnahme als Anbiederung an die schwul-lesbische Szene. Sie meinen, die Landeskirche wolle sich überall anbiedern, überall dabei sein und verliere so ihre Kernkompetenz. Aber ist die Kernkompetenz des Glaubens nicht die grenzenlose Liebe? 

Freunde von mir fühlen sich ­genervt von diesem „überall“ und „ständig“ queeren öffentlichen Bild. Ihnen wird das alles zu viel mit bunt und queer. Das sei zu weit weg von ­ihrer Normalität, meinen sie. Aber wer bestimmt denn die „Norma­lität“? 

Mein schwuler Patenonkel Rudi starb vor einem Jahr. Er und sein Partner lernten sich kennen, als ich 1962 geboren wurde. Es war damals undenkbar, dass die beiden bei ­meiner Taufe ihre Homosexualität öffentlich machen. So „etwas“ gab es öffentlich nicht. 

Beide haben erfahren, wie in Menschen in der Kirche ihre Art zu leben bewerteten:?als „abnorm“ oder „krank“. Das Höchste der Gefühle war Schweigen und Weggucken. Rudi wurde gerne mein Patenonkel, aber an der Institution Kirche ließ er kein gutes Haar. So viele Jahre konnten sich Rudi und Manne in der Gesellschaft nicht öffentlich zu ­ihrer Liebe bekennen. 

Viel hat sich seitdem geändert. Endlich hat auch die Kirche begriffen, dass die Liebe von zwei Männern oder zwei Frauen keine „Abnormität“ ist. Es freut mich so sehr, dass jetzt junge Pfarrer*innen in den ­Gemeinden arbeiten, die schwul, lesbisch oder queer sind. Endlich sind sie willkommen und mittendrin. Die EKBO hat da eine Vor­reiterrolle gespielt. 

Mit den neuen Pfarrer*innen werden sich auch gleichgeschlechtlich liebende Menschen nicht mehr von der Ortsgemeinde abwenden, die sich vorher ausgegrenzt fühlten. Diejenigen Mitmenschen, die sich davon bedroht und eingeengt fühlen, die es nicht ertragen können, dass die „Tunten“ jetzt mittendrin sind, werden auch erleben, was das für eine Bereicherung ist. 

Mein Patenonkel Rudi und sein Mann brauchten keinen CSD. Ihnen war das zu viel Trubel und zur Schau stellen. Sie fuhren lieber in die Mark Brandenburg und pflückten Kirschen. In Hauswirtschaft und Nachhaltigkeit lernte ich viel von ihnen. Die queere Gemeinschaft ist nicht homogen. Wo Menschen auf ein ­Lebensmerkmal reduziert werden, sich Stereotype bilden, da fängt ­Homophobie an. ­

Eine Gesellschaft kann nur überleben, wenn sie den Mut hat, sich zu verändern und offen dafür ist, unterschiedliche Lebensweisen zu ­akzeptieren und zu respektieren. Das trifft auch auf die Kirche zu. Und das ist gut so.

Sabine Hoffmann ist Vertriebsleiterin im Berliner Wichern-Verlag.

Veranstaltungen aus Anlass des ­Christopher-Street-Day (CSD)

Do, 21. Juli, 18 Uhr: „Internationales Netzwerktreffen Religion & Queere Community – Queer Faith Forum“ in Heilig Kreuz mit anschließendem Empfang; Gäste des Kirchenkreises Stadtmitte aus 10 Ländern stellen ihre ­Situation vor und vernetzen einander.

Fr, 22. Juli, 18 Uhr: Gottesdienst in ­multireligiöser Gastfreundschaft zum CSD, St. Marienkirche. Predigt: Gero Dimter, Vizepräsident Stiftung Preußischer Kulturbesitz

23. Juli, 12 Uhr: Paradewagen zum Gaypride „Liebe tut der Seele gut“ als Evangelische Kirche in Berlin mit ­Reden von Religionsvertretern aus den drei Buchreligionen