Gemeinde kritisiert Umgang der Kirchenleitungen mit Missbrauch

Der Vorstand der Kirchengemeinde St. Marien in Osnabrück hat den Umgang der evangelischen Kirche mit sexualisierter Gewalt scharf kritisiert. Mit „Scham und Entsetzen“ hätten sie die Ergebnisse der Ende Januar vorgestellten Missbrauchsstudie zur Kenntnis genommen, betonten die Mitglieder in einem auf der Homepage am Wochenende veröffentlichten Schreiben. Vor den Kirchenvorstandswahlen am 10. März fragten sich viele Kandidierende, „ob diese Kirche es wert ist, für sie Gesicht zu zeigen und in ihr ehrenamtlich Verantwortung zu übernehmen“. Der offene Brief richtet sich an die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die hannoversche Landeskirche.

Während der ersten Kirchenvorstandssitzung nach der Veröffentlichung der Studie hätten einige Mitglieder ihren Unmut geäußert, sagte Pastor Thorsten Both am Montag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Nach einer kontroversen Diskussion habe eine Kleingruppe das Schreiben formuliert, das alle ehren- und hauptamtlichen Mitglieder unterzeichnet hätten. Bislang habe keines der Mitglieder, die sich erneut zur Wahl stellen, seine Kandidatur zurückgezogen.

Die Unterzeichner des Briefes zeigen sich bestürzt, dass Schutzbefohlene über Jahrzehnte missbraucht worden seien. Die Betroffenen hätten keinen Beistand erhalten. Täter seien straffrei geblieben und Taten vertuscht worden. Der Brief kritisiert zudem „die möglicherweise mangelnde Bereitschaft der Landeskirchen, die von den Verfassern der Studie angeforderten Personalakten zur Verfügung zu stellen“.

Das Gremium fordert die hannoversche Landeskirche und den Rat der EKD auf, „unverzüglich einen überprüfbaren Aktionsplan zur rückhaltlosen und vollständigen Aufklärung“ zu erarbeiten. Eine erste Vorlage müsse noch vor den Kirchenvorstandswahlen präsentiert werden.

Die hannoversche Landeskirche will nach eigenen Aussagen demnächst Gespräche mit dem Kirchenvorstand führen. Eine öffentliche Stellungnahme werde es jedoch nicht geben, sagte Sprecher Benjamin Simon-Hinkelmann. Bischof Ralf Meister habe bereits in Interviews und in einem allgemeinen Brief an alle 7.411 Kirchenvorstandsmitglieder und -kandidaten seine Sicht der Dinge dargestellt.

In dem Brief betonte Meister, die Landeskirche befasse sich seit mehr als 15 Jahren intensiv mit Fällen sexualisierter Gewalt. „Viele Schritte wurden bereits unternommen.“ Die Landeskirche habe zudem alle für die Studie geforderten Daten fristgerecht zur Verfügung gestellt. Er räumte allerdings auch ein, „dass der Umgang mit sexualisierter Gewalt lange Zeit in unserer Kirche nicht ansatzweise die Bedeutung hatte, die notwendig gewesen wäre und die sie heute hat“.