Gedenken an NS-Widerstand von Liane Berkowitz und Friedrich Rehmer

Das Ökumenische Gedenkzentrum Plötzensee in Berlin erinnert an die jungen Gegner der NS-Herrschaft. Berkowitz’ Widerstand soll Jugendliche zur Auseinandersetzung mit der Nazizeit anregen.

Liane Berkowitz
Liane BerkowitzGedenkstätte Deutscher Widerstand

Berlin. „Wenn man bedenkt, wie jung wir sind, so kann man nicht an den Tod glauben. Mir scheint manchmal alles nur wie ein schlechter Traum, aus dem ich jeden Moment erwachen muss. Leider ist es die raue Wirklichkeit.“ So schrieb Liane Berkowitz, 19 Jahre alt, am 28. Februar 1943 aus dem Frauengefängnis in der Barnim­straße in Berlin-Friedrichshain an ihre Mutter. Fünf Monate war sie bereits dort inhaftiert, seit Januar vom Reichskriegsgericht zum Tod verurteilt wegen „Beihilfe zur Vorbereitung des Hochverrats und zur Feindbegünstigung“.

Mit Gleichgesinnten hatte sie am Abend des 27. Mai 1942 kleine Zettel an Litfaßsäulen, Straßenlaternen, Hauswände und Fensterscheiben geklebt, auf denen stand „Ständige Ausstellung – Das Naziparadies – Krieg – Hunger – Lüge – Gestapo – Wie lange noch?“ Die Aktion bezog sich auf die Ausstellung „Das Sowjet­paradies“ der Reichspro­pagandaleitung der NSDAP im ­Berliner Lustgarten, die den Krieg gegen die Sowjetunion durch verzerrte Darstellung der dortigen ­Zustände rechtfertigen und den Durchhaltewillen der deutschen ­Bevölkerung stärken sollte.

Zwischen drohendem Tod und werdendem Leben

Liane Berkowitz hatte das aus Überzeugung getan, aber vermutlich nicht mit den grausamen Folgen gerechnet, zu jung, zu leidenschaftlich, zu unbedacht war sie. Ihr Freund Friedrich Rehmer, der zu diesem Zeitpunkt wegen einer an der Ostfront erlittenen Beinver­letzung in einem Berliner Lazarett lag, hatte ihr davon abgeraten, obgleich auch er ein Gegner der NS-Herrschaft war.

Und so saß sie nun im Gefängnis, ein knappes halbes Jahr von ihrer Hinrichtung entfernt, an die sie nicht glauben wollte und konnte, anderthalb Monate vor der Geburt der gemeinsamen Tochter – zwischen drohendem Tod und werdendem Leben.

Mit Jugendlichen ins Gespräch kommen

Pfarrer Michael Maillard, Vorsitzender des Ökumenischen Gedenkzentrums Plötzensee „Christen und Widerstand“ hat sich seit einigen Jahren mit Liane Berkowitz und ihrem Freund befasst. Ihm ist daran gelegen, dass ihre Geschichte bekannt wird. Denn er meint, „dass das ein Schicksal ist, über das man sehr gut mit Jugendlichen ins Gespräch über die NS-Zeit kommen kann“.

Deshalb hat das Gedenkzentrum anlässlich des 80. Jahrestags der Hinrichtung von Berkowitz und Rehmer eine Veranstaltungsreihe organisiert, deren Titel an die Spitznamen der beiden erinnert: „Zehn Tage für Lanka und Remus“. Vom 29. Juni bis zum 8. Juli 2023 erinnert neben einem Gottesdienst mit Auszügen aus den Briefen von Liane Berkowitz an ihre Mutter, Vorträgen und einem Liederabend eine Ausstellung an Liane Berkowitz und Friedrich Rehmer. Der Abschlussabend „Mit Lanka und Remus im Restaurant Orient“ verweist mit Musik und Essen auf eine der Vorlieben der beiden.

Naturnahes Leben

Friedrich war Mitglied in einer später verbotenen Gruppe der Bündischen Jugend, die auf Wanderungen und Lagern im Freien ihre Kräfte erprobte und ein naturnahes Leben praktizierte. Dabei sangen sie gern und viel, bevorzugt auch gefühlvolle russische Lieder. Liane war als Kind russischer Eltern, die 1923 aus der Sowjetunion geflohen waren, bestens mit diesen Liedern vertraut. Auch sie sang und hörte sie gern. Dafür war das Charlottenburger Restaurant „Orient“ eine ideale Adresse, wo es neben hervorragenden Musikern ebenso hervorragendes Essen gab. Hier trafen sich Lanka und Remus mit ihren Freunden, plauderten, aßen und sangen zusammen.

Kennengelernt hatten sie sich am Heilschen Abendgymnasium in Berlin-Schöneberg, unweit vom Viktoria-Luise-Platz, wo Liane mit ihren Eltern wohnte. Beide machten dort ihr Abitur. Liane verliebte sich in Friedrich. Sie schlossen sich einem Freundeskreis an der Schule an, der sich einig in der Ablehnung der NS-Herrschaft war.

Tiefe Religiosität

Im Gegensatz zu dem begabten Arbeitersohn Friedrich, der kommunistischen und anarchistischen Vorstellungen anhing, war Liane durch ihre Mutter christlich-orthodox geprägt. Vermutlich war sie ­darin eine Zeit lang etwas nachlässig, worauf die spaßhafte Selbst­bezeichnung als „arme Heidin“, die sie in Briefen an ihre Mutter verwendet, hindeuten mag.

Eben diese Briefe aus der Haft bezeugen aber ihre tiefe orthodoxe Verwurzelung und Frömmigkeit, die Liane, je hoffnungsloser ihre ­Lage wird, immer stärker zum Ausdruck bringt. Sie betet für ihre Mutter und bittet diese darum, für sie zu beten. So heißt es etwa in ihrem eingangs erwähnten Brief vom ­28. Februar 1943: „Mamotschka, ­bete für mich, ich habe solche Angst.“ Ein großer Trost ist ihr eine Ikone, die die Mutter ihr schickt.

Stillen in der Zelle

Nach der Geburt ihrer Tochter Irina am 12. April, die sie zärtlich ­Irka nennt, gelten ihre Gebete ­neben dem Wohl der Mutter dem ihres Kindes und dem Wunsch, ihr eine gute Mutter zu sein. Sie darf ­Irka zunächst in der Zelle stillen. Ende Juni kommt das schwache Kind dann zu seiner Großmutter. Im ­Oktober 1943, als Liane schon nicht mehr lebt, stirbt es in einem Eberswalder Krankenhaus.

Immer wieder kreisen Lianes ­Gedanken und Gebete um die Schuld, die sie ihrer Mutter gegenüber empfindet, sei es wegen der Geburt eines unehelichen Kindes, vor allem aber wohl, weil sie der Mutter durch ihre Verhaftung und das Todesurteil Leid zugefügt hat.

Tod durch das Fallbeil

Einen Monat nach der Geburt der gemeinsamen Tochter, die Friedrich nie zu sehen bekommt, wird er am 13. Mai 1943 in Plötzensee hingerichtet. Liane weiß seit Juni 1943, dass sie nicht begnadigt wird. Am ­5. August wird sie vom Frauen­gefängnis in der Barnimstraße in die Haftanstalt Plötzensee gebracht. Dort stirbt sie noch am selben Tag unter dem Fallbeil. Eine Grabstätte erhält sie nicht. Ihre Mutter veranlasst später, dass auf ihrem eigenen Grabstein auf dem russisch-orthodoxen Friedhof in Berlin-Tegel auch Liane genannt wird.

Wenige Minuten vor ihrem ­frühen Tod kurz vor ihrem zwanzigsten Geburtstag erbittet Liane vom katholischen Gefängnispfarrer ­Peter Buchholz, dessen Gottesdienste sie mehrfach besucht hatte, die Kommunion und empfängt sie. Danach geht sie gefasst und betend in den Tod.

Aufrecht in den Tod

In Erinnerung daran schrieb Peter Buchholz: „Dieses Bild des betenden Mädchens auf dem Weg zum Schafott ist mir unvergeßlich. Dieses junge, blühende Menschenkind sterben zu sehen, die Augen nach oben – trotz aller blutigen Begleitumstände das Bild einer solchen Erhabenheit, daß ich unwillkürlich an Vorgänge denken mußte, die uns alte Märtyrerakten vom Sterben der ersten Christen berichten. Wie damals Frauen und Mädchen singend und betend für Christus in den Tod gingen, ist auch dieses Mädchen gestorben.“

Veranstaltungen der Gedenkreihe „10 Tage für Lanka und Remus“, bis Sonntag, 8. Juli, im Ökumenischen Gedenkzentrum Plötzensee. Heckerdamm 226, Berlin-Charlottenburg, E-Mail: kontakt@gedenkzentrum.de
Donnerstag, 6. Juli, 18.30 Uhr:
Vortrag von Johannes Tuchel: „Liane Berkowitz und Friedrich Rehmer und die Rote Kapelle“. In der Evangelischen Gedenkkirche Plötzensee, Heckerdamm 226, Berlin-Charlottenburg.
Samstag, 8. Juli, 18.30 Uhr:
„Mit Lanka und Remus im Restaurant Orient“ – Abschlussabend der „Zehn Tage für Lanka und Remus“. Lanka und Remus besuchten häufig das „Restaurant Orient“ in der Fasanenstraße. Diese russisch-kaukasische Gaststätte war ein „Ort genussvoller multikultureller Begegnungen mitten im Zweiten Weltkrieg“. Musik, ­Informationen und Gespräche mit Verpflegung. In der Evangelischen Gedenkkirche Plötzensee.
Donnerstag, 6. August, 15 Uhr:
„Lebensorte von Liane Berkowitz“ – Stadtspaziergang mit Pfarrer Michael Maillard durch Schöneberg und Charlottenburg zu Geburtshaus, Wohnhaus, Heilsche Abendschule, St. Wladimir-Kirche, Restaurant Orient, Ort der Zettelklebeaktion
Uhlandstaße/Ecke Kurfürstendamm. Treffpunkt am Viktoria-Luise-Platz, Berlin-Schöneberg am Springbrunnen. Teilnahmegebühr: 10 Euro.
Anmeldung unter E-Mail: kontakt@gedenkzentrum.de
Freitag, 7. August: 100. Geburtstag von Liane Berkowitz – ein Abend mit Lesungen und Musik im Gebäude der ehemaligen Heilschen Abendschule, mit Eröffnung einer Wandgestaltung zu den verurteilten Schüler*innen, darunter Liane Berkowitz und
Friedrich Rehmer.
Anmeldung und genaue Informationen unter E-Mail: kontakt@gedenkzentrum.de
Weitere Informationen unter:
www.charlottenburg-nord.de/blog/110676/lanka-und-remus