Forscher: Ostermarschbewegung muss alte Forderungen hinterfragen

Der Friedensforscher Tobias Debiel sieht in den Demonstrationen für Frieden, wie etwa zu den Osterfeiertagen, ein wichtiges Signal. Gleichwohl warnt der Professor für Internationale Beziehungen und Entwicklungspolitik der Universität Duisburg-Essen die Friedensbewegung davor, den Anschluss an die jüngeren Generationen und deren Anliegen zu verlieren. „Um auch für Jüngere attraktiv zu sein, muss es von den Aktionen, Rede- und Kulturbeiträgen her bunter werden“, sagte der stellvertretende Direktor des Instituts für Entwicklung und Frieden (INEF) an der Universität Duisburg-Essen im Gespräch mit der Evangelischen Pressedienst (epd). Auch müsse die Ostermarschbewegung ihre Forderungen stärker hinterfragen.

epd: Der Ukraine-Krieg dauert seit mehr als zwei Jahren an, im Gaza-Streifen herrscht Krieg, Russland droht mit Atomschlägen. Inwieweit profitiert die Friedensbewegung von dieser bedenklich Weltlage?

Debiel: Die äußerst kritische Weltlage kennt vor allem Verlierer. Friedensbekundungen sind in solch einer Situation enorm wichtig. Dies gilt heute ganz akut mit Blick auf einen Waffenstillstand in Gaza. Doch die Ostermarschbewegung versteht es nicht ausreichend, neue Bündnisse zu schmieden und viele ihrer althergebrachten Forderungen zu hinterfragen.

epd: Im vergangenen Jahr kamen zu den Ostermärschen in NRW mehrere Hundert, bundesweit mehrere tausend Menschen. Warum schlagen sich die aktuellen Bedrohungslagen nicht in den Teilnehmerzahlen nieder?

Debiel: Dass man in der aktuellen Lage für den Frieden mobilisieren kann, haben unmittelbar nach Beginn des Ukraine-Krieges 2022 die großen Demonstrationen in Berlin und am Rosenmontag in Köln gezeigt. Die Aufrufe und Redner und Rednerinnen dort haben weitaus mehr Menschen angesprochen, als dies bei den Ostermärschen der Fall gewesen ist. Dies zeigt: Kernforderungen müssen anschlussfähig sein an die vielen Friedensbewegten, die mit gängigen Schwarz-Weiß-Schemata nichts mehr anfangen können.

epd: Inwieweit sind Demonstrationen im Allgemeinen und Ostermärsche im Besonderen aus Ihrer Sicht noch zeitgemäß?

Debiel: Die eindrucksvollen Proteste gegen den Rechtsextremismus zeigen, dass die klassische Demo noch lange nicht ausgedient hat. Internet und neue Medien sind kein Ersatz hierfür, sondern können zur Mobilisierung genutzt werden.

epd: Selbst Grünen-Politiker sprechen sich mittlerweile für Waffenlieferungen aus. Inwieweit ist aus Ihrer Sicht die Friedensbewegung gespalten und droht zum Relikt Ihrer eigenen Vergangenheit zu werden?

Debiel: Im Moment gelingt es nicht, zwischen den verschiedenen Ausrichtungen innerhalb der Friedensbewegung Brücken zu bauen. Die Ostermärsche standen immer schon für ein recht traditionelles Verständnis von Friedensbewegung, das Pazifisten und Antiimperialisten vereint hat. Nur zeitweise gelang die Öffnung hin zu den friedensbewegten Realisten, insbesondere bei der Nachrüstungsdebatte Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre. Auch heute wäre es angezeigt, aus der Nische heraus zu kommen.

epd: Warum gelingt es den Friedensaktivisten nicht, verstärkt junge Leute ins Boot zu holen?

Debiel: Salopp formuliert: Es ist ‚uncool‘, auf Demos zu gehen, bei denen viele älter als die eigenen Eltern sind. Um auch für Jüngere attraktiv zu sein, muss es von den Aktionen, Rede- und Kulturbeiträgen her bunter werden.

epd: Warum fällt es den Aktivisten so schwer, Russland als Schuldigen des Krieges zu benennen?

Debiel: Tatsächlich bleiben einige Aufrufe seltsam vage, wenn es darum geht, beim russischen Angriffskrieg Ross und Reiter zu nennen. Hier scheinen linksorthodoxe Kräfte beharrlich zu sein, die sich immer schon mit Kritik an Moskau schwergetan haben. Bemerkenswerterweise verstummen sie heute sogar bei einem rechtsautoritären Diktator. Aber es gibt auch Gegenbeispiele. So heißt es im Bonner Aufruf zu den Ostermärschen unmissverständlich: „Wir verurteilen den militärischen Angriff der russischen Führung auf die Ukraine und die damit einhergehende Gewalt und Zerstörung. Hierfür gibt es keinerlei Rechtfertigung.

epd: Welche Form der Friedensbewegung würden Sie empfehlen – gerade mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit in Zeiten des demografischen Wandels?

Debiel: Der dezentrale Ansatz der Ostermärsche mit lokalen Veranstaltungen und Rednern sowie Rednerinnen geht eigentlich in die richtige Richtung. Um jüngere Menschen abzuholen, muss das Klima- und Umweltthema stärker mit Friedensfragen verbunden werden.

epd: Wie kann eine politische Lösung in der Ukraine aussehen – wenn Sie sich da jetzt eine vorsichtige Einschätzung zutrauen?

Debiel: Kurzfristig stehen die Chancen leider schlecht, den extrem opferreichen Zermürbungskrieg in der Ukraine mit Verhandlungen zu beenden. Zugleich müssen diese vorbereitet werden. Dabei sollten auch außereuropäische Staaten wie China, Indien oder Brasilien eine wichtige Rolle spielen. Zentral werden westliche Sicherheitsversprechen der NATO für die Ukraine sein, die knapp unterhalb einer Mitgliedschaft im Bündnis liegen. Außerdem lohnt es sich, für die derzeit besetzten Gebiete übergangsweise über internationale Treuhandschaftsmodelle nachzudenken.